TV-Debatte im Europaparlament Vorteil Vestager

Wer wird neuer EU-Kommissionschef? Die sechs Anwärter lieferten sich nun eine lebendige Diskussion - am interessantesten war der Auftritt von Geheim-Kandidatin Margrethe Vestager.
Margrethe Vestager bei der Debatte in Brüssel

Margrethe Vestager bei der Debatte in Brüssel

Foto: Francisco Seco/ AP

Die Frau, die eigentlich gar keine Spitzenkandidatin sein will, ist um keine Antwort verlegen. Es gebe viele Gründe, warum die Bürger sich von der EU abwenden, sagt Margrethe Vestager. Die ganzen Abkürzungen, damit fange es schon an. "Wie können wir erwarten, dass die Bürger das wertschätzen? Wir müssen die Etiketten abreißen", schimpft sie und erntet Applaus im Plenarsaal des Brüsseler Europaparlaments.

Es mag nicht ganz fair sein, aber natürlich ist es an diesem Mittwochabend besonders spannend, Vestager zuzuhören, der Frau, die sich in die Debatte ein bisschen reingeschummelt hat. Von Frans Timmermans (Sozialdemokraten), Manfred Weber (Europäische Volkspartei), und auch Ska Keller (Grüne) weiß man ja, dass sie als Spitzenkandidaten ihrer Parteien im Wahlkampf stehen. Vestager, die liberale Wettbewerbskommissarin, aber hält sich offiziell zurück, auch wenn sie natürlich ebenfalls Termine macht, wie zuletzt bei der Re:publica-Konferenz in Berlin. Anders als der Rest auf der Bühne lehnt die Liberale die Idee des Spitzenkandidaten ab .

Vieles, was Vestager sagt, klingt daher neu und frisch, auch wenn es nicht gerade revolutionär ist. "Es braucht nicht viel, um zu beeindrucken", sagt sie scherzhaft, als sie bei der kleinen Pressekonferenz nach der Diskussion etwas arg pompös angekündigt wird. Das stimmt auch für die Debatte selbst.

Beispiel Jugendarbeitslosigkeit: "Wer einen Ganztagesjob hat, sollte ein ordentliches Leben führen können", sagt Vestager. Oder zum Klimawandel: "Wir haben die Technologie, die wir brauchen. Wir können jetzt loslegen." Wenn die Geheim-Kandidatin Vestager einen angreift, dann ist es Weber, den wahrscheinlichen Wahlsieger. "Wir arbeiten als Kommission zusammen, da hat Parteizugehörigkeit keine Rolle", sagt sie einmal, als Weber einen Kommissar der EVP besonders lobt. So stellt man Augenhöhe her.

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Das Europaparlament hat zur Debatte geladen, 90 Minuten, das Haus ist voll. Der Plenarsaal wurde seit Wochen aufwendig umgebaut, wo sonst der Parlamentspräsident sitzt, prangt jetzt eine riesige Videoleinwand, Europas Wahlkampf mag nicht sexy sein, der Plenarsaal in Brüssel ist es jetzt aber schon, jedenfalls bis zum Wahlabend. Geld spielte offenbar keine Rolle.

Die Organisatoren der Debatte haben, Absicht oder nicht, schon mal ausgesiebt: links auf der Bühne stehen die drei Kandidaten, die keine Aussicht darauf haben, je Kommissionschef zu werden. Rechts von den Moderatoren nehmen jene Aufstellung, denen gewisse Chancen nachgesagt werden, Jean-Claude Juncker zu folgen: Vestager, Weber, Timmermans, zwei davon offizielle Spitzenkandidaten.

Von links: Jan Zahradil, Nico Cué, Ska Keller, Margrethe Vestager, Frans Timmermans, Manfred Weber

Von links: Jan Zahradil, Nico Cué, Ska Keller, Margrethe Vestager, Frans Timmermans, Manfred Weber

Foto: Francisco Seco/ AP

Es geht schwungvoll los, Weber verrät schon mal das Motto seiner möglichen Kommission: "Kommission des Neustarts" soll sie heißen, Parteifreund und Vorgänger Juncker wird sich freuen. Timmermans rückt den Klimaschutz ins Zentrum und endet mit seinen Statements auf die Sekunde genau, Debattenprofi, keine Frage. Später bringt er auch den Satz des Abends, als es um die Gefahr durch Populisten geht. Schaut, was sie in Großbritannien angerichtet haben, sagt er. Das Vereinigte Königreich wirke seitdem "wie 'Game of Thrones' auf Steroiden".

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47 TV-Stationen in 25 Ländern sind zugeschaltet, so die Parlamentspressestelle, sogar in Aserbeidschan und Georgien will man sehen, was Jan Zahradil von der Allianz der Konservativen und Reformer und Nico Cué von der Europäischen Linken (ja, sie stehen auf der Bühne links) zu sagen haben, Politiker, von denen auch in Europa die meisten Bürger noch nie etwas gehört haben dürften.

Im Grunde kämpfen alle Kandidaten, mit Ausnahme Vestagers, dafür, dass die Staats- und Regierungschefs das Spitzenkandidatensystem nicht einfach beerdigen, wenn sie sich zwei Tage nach der Wahl zum Abendessen in Brüssel treffen. Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich schon länger als Kritiker der Idee hervorgetan. Freilich liegt der Verdacht nahe, dass es dem Franzosen einfach nicht passt, dass er nicht rechtzeitig geeignetes Personal aufbieten konnte und nun nicht gewillt ist, Europas Topjobs der EVP zu überlassen.

Die Migration wird auf der Bühne routiniert abgehandelt, dann geht's zur Jugendarbeitslosigkeit. Lebhaft wird es erstmals, als die Runde auf den Klimaschutz zu sprechen kommt. Weber gibt sich als Mann pragmatischer Lösungen, betont seine Expertise als Umweltingenieur.

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Die Grüne Ska Keller, auch sie wird natürlich nicht Kommissionschefin und steht links, hat jetzt ihr Paradethema - wie Vestager als es um die Besteuerung der Internetgiganten geht. Keller schlägt sich gut, ihr Englisch sitzt, ihre Argumente zumeist auch.

Der Konservative Zahradil aus Tschechien bringt ein bisschen Fundamentalopposition zum "Europa wird's schon richten"-Mainstream auf der Bühne, gut so. Europa ist kein Staat, sagt er, schaffe keine Arbeitsplätze, könne niemanden besteuern. Schadet nicht, dass jemand kurz daran erinnert.

Podcast Cover

Zwischenfazit, knapp eineinhalb Wochen vor der Wahl: Jeder hat sein Thema, Weber die Migration, Vestager die Steuern, Timmermans den Rechtsstaat. Vestager ist an diesem Abend am interessantesten, Timmermans kommt als leidenschaftlicher Kämpfer für soziale Themen rüber, Weber als Macher, der integrieren will.

Kommissionspräsident, das ist die gute Nachricht dieses Mittwochabends, könnte jeder der drei.

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