TV-Duell der Vize-Kandidaten Palin gut vorbereitet, Biden routiniert

Alter Hase gegen Pitbull mit Lippenstift: Im TV-Duell der Vize-Kandidaten kann Sarah Palin ihr angekratztes Image aufpolieren. Sie schlägt sich ordentlich. Doch Rivale Joe Biden gibt sich keine Blöße. Lesen Sie die Höhepunkte des Showdowns der Stellvertreter im Liveticker auf SPIEGEL ONLINE.

Berlin/St. Louis - Wie lange dauert es bis zum erstem Patzer? Blamiert sich Sarah Palin bis auf die Knochen? Oder tappt Joe Biden in die Sexismus-Falle? Nie wurde eine Debatte der US-Vizepräsidentschaftskandidaten mit so viel Spannung erwartet wie die zwischen den running mates von John McCain und Barack Obama. Tausende Journalisten sind an der Universität in St. Louis vor Ort, 50 Millionen Amerikaner verfolgen das Aufeinandertreffen am Bildschirm. Der Nebenkriegsschauplatz ist zum Hauptschlachtfeld geworden, es ist High Noon im Mittleren Westen.

Biden, Palin: Disziplinierter Auftritt

Biden, Palin: Disziplinierter Auftritt

Foto: REUTERS

Sarah Palin, 44, galt nach ihrer fulminanten Antrittsrede auf dem Republikanerparteitag erst als Shooting Star - nun ist sie nach einigen peinlichen Interview-Auftritten zur politischen Lachnummer geworden, die John McCain mehr schaden als helfen könnte. Laut einer "Washington Post"-ABC-Umfrage glaubt mittlerweile nicht einmal die Hälfte der Wähler mehr, dass die bisherige Gouverneurin von Alaska in der Lage ist, "komplexe" Zusammenhänge zu verstehen. Längst murren auch streng konservative Parteifreunde und melden ernste Zweifel an der Tauglichkeit der Gouverneurin von Alaska an, die bis vor ein paar Jahren noch Bürgermeisterin eines 9000-Einwohner-Städtchens war.

Obamas Nummer zwei, der erfahrene Senator Joe Biden, 65, ging in der Aufregung um Palin in den vergangenen Tagen fast unter. Für ihn gilt es, endlich die öffentliche Aufmerksamkeit zu erobern. Doch in der Debatte muss er vorsichtig agieren - nicht umsonst haben Kommentatoren ihm einmal den Spitznamen "Fauxpas-Maschine" gegeben. Und gefährlicher noch: Er muss unbedingt den richtigen Ton treffen. Sollte er herablassend oder belehrend wirken, käme das besonders bei den weiblichen Wählern nicht gut an.

Lesen Sie die Höhepunkte der Vize-Debatte im SPIEGEL-ONLINE-Liveticker nach.

+++ Countdown in St. Louis +++

[2.50 Uhr MEZ] Es ist angerichtet: Das "Field House", eine Sporthalle auf dem Campus der Universität von St. Louis, dient als TV-Studio: roter Teppichboden, volle Sitzreihen, zwei Stehpulte, dahinter ein Pappadler. Nur die Hauptdarsteller fehlen noch: Sarah Palin, 44, und Joe Biden, 65.

+++ Moderatorin Gwen Ifill wartet auf die Vize-Kandidaten +++

[2.55 Uhr] Moderatorin Gwen Ifill sitzt an ihrem Schreibtisch, wartet auf die Protagonisten. Das McCain-Lager soll mit der Wahl der Moderatorin nicht glücklich sein. Man glaubt, sie könnte parteiisch sein, weil sie im Januar ein Buch über den Aufstieg von Barack Obama veröffentlicht. Das allerdings hat die Gastgeberin der "Washington Week" nie verheimlicht. Offiziell protestiert hat McCain ohnehin nicht. Ifill kommt an Krücken, sie hat sich den Knöchel gebrochen.

+++ Los geht's +++

[3.00 Uhr] Gwen Ifill erklärt kurz die strengen Regeln und Zeitlimits. Die beiden Vize-Bewerber werden von den Zuschauern im Saal mit begeistertem Beifall begrüßt, später sollen sie sich zurückhalten. Palin erscheint im schwarzen Kleid, Biden trägt dunklen Anzug mit hellblauer Krawatte. Beide tragen die US-Flagge als Anstecker am Revers. Die Begrüßung ist herzlich: Handshake, Höflichkeitsfloskeln, beide legen die linke Hand auf den rechten Arm des anderen. Palin wirkt nervös, aber charmant und offensiv. "Schön Sie zu treffen", sagt sie. "Ich darf doch Joe sagen, oder?"

+++ Die Wirtschaft ist das erste Thema : Es geht um die Finanzkrise +++

[3.05 Uhr] Die Finanzkrise sei der Beleg dafür, dass die USA zuletzt unter der "schlimmsten Wirtschaftspolitik" litten, "die wir je hatten", sagt Biden. Dass John McCain noch vor kurzem erklärt habe, die fundamentalen Daten der Wirtschaft seien in Ordnung, dass er für Deregulierung gesprochen habe, beweise, dass er "out of touch" sei. Palin verteidigt den republikanischen Präsidentschaftsbewerber umgehend: Der habe sich dabei nur auf die Arbeitskraft bezogen. Sie greift die Wall Street an: "Es gab Gier und Korruption."

+++ Palin, die Hockey Mom +++

[3.11 Uhr] Palin erklärt, wo man am besten spürt, wie die Amerikaner über die wirtschaftliche Lage denken: beim Fußball der Kinder. Sie setzt auf ihre Stärken: Ich bin eine von Euch, will sie sagen, eine "Hockey Mom", "Joe Sixpack", Max Mustermann.

+++ Biden und Palin tasten sich ab, sind vorsichtig +++

[3.20 Uhr] Noch keine harschen Angriffe. Man merkt, beide hangeln sich an der vorgegebenen Taktik entlang: immer beim Thema bleiben. Die Moderatorin stellt fest, dass keiner ihre Fragen beantwortet. Palin sagt, sie will lieber direkt zum amerikanischen Volk sprechen.

+++ Energie ist das Thema: Biden sucht Unstimmigkeiten zwischen McCain und Palin +++

[3.33 Uhr] Biden versucht einen Keil, zwischen Palin und McCain zu treiben. McCain wolle Ölfirmen in Alaska steuerlich begünstigen, die Gouverneurin des Staates, Palin, diese dagegen mehr belasten. "Unabhängigkeit in Energiefragen ist der Schlüssel zu Amerikas Zukunft", sagt Palin. Da kann der Senator zustimmen.

+++ Palin schlägt sich achtbar +++

[3.38 Uhr] Erste Bilanz: Palin strauchelt nicht, spricht flüssig, wirft mit Zahlen um sich, widerspricht Biden. Es wirkt allerdings oft antrainiert - das Debatten-Camp auf der Ranch von John McCain scheint Wirkung zu zeigen.

+++ Wer ist schuld am Klimawandel? +++

[3.40 Uhr] Thema Klimawandel. Palin behauptet, der Klimawandel sei nicht nur von den Menschen verursacht, sondern auch in zyklischen Temperaturschwankungen begründet. Biden schüttelt den Kopf: "Wenn Sie die Ursachen nicht verstehen, können Sie keine Lösung anbieten."

+++ Homo-Ehe: "Schön, dass Sie beide sich mal einig sind" +++

[3.45 Uhr] Sollen gleichgeschlechtliche Partnerschaften das Recht auf Vergünstigungen haben - wie Ehepaare auch? Biden bejaht. Palin schickt erst einmal voraus, dass sie sehr tolerant sei. Sie stimmt Biden zu, betont aber, dass sie niemals gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit der traditionellen Ehe gleichsetzen würde. Das würde Biden auch nicht. "Schön, dass Sie sich einig sind", sagt Moderatorin Ifill.

+++ Jetzt wird es spannend: Außenpolitik! +++

[3.50 Uhr] Hier taumelte Palin zuletzt von Patzer zu Patzer: Irak, Afghanistan und Co. Außenpolitik, das Spezialthema von Senator Biden. Mal sehen, was Palin, die unerfahrene Gouverneurin, die ihre außenpolitische Erfahrung nach eigener Aussage durch die Nähe Alaskas zu Russland gesammelt hat, gelernt hat.

+++ Wie geht es weiter im Irak? +++

[3.55 Uhr] Der Irak-Krieg betrifft beide Redner persönlich. Ihre Söhne stehen vor einem Einsatz im Kriegsgebiet. Doch zum Thema machen sie diese Tatsache nicht.

Palin wirft Biden erst einmal vor, er habe für den Krieg gestimmt, während Obama immer dagegen gewesen sei. Er hatte damals allerdings auch nicht abzustimmen. "Wir werden diesen Krieg beenden", stellt Biden klar. Mit McCain gehe der Krieg weiter.

Palin unterstellt Obama/Biden, die weiße Flagge der Kapitulation zu schwenken. Der Krieg sei vorbei, wenn der Irak sich selbst regieren könnte - wann es soweit ist, müssten die Militärs vor Ort entscheiden. Sie wirft Obama vor, die Truppen nicht ausreichend zu unterstützen. Palin hat sich auf ihr Krisenthema gut vorbereitet und sie will alles loswerden, was sie gelernt hat: "Ich würde gern noch was zu Afghanistan sagen."

+++ Iran: Reden oder nicht +++

[4.00 Uhr] Palin warnt vor Nachgiebigkeit gegenüber Iran. Sie kritisiert scharf, dass Obama mit politischen Führern von Ländern wie Iran oder Venezuela sprechen will. Diese Regierungen hassen die USA, sagt Palin. Biden erwidert, man müsse immer alle diplomatischen Mittel ausschöpfen.

+++ Nur ein Herzschlag vom Präsidentenamt +++

[4.15 Uhr] Was passiert eigentlich, wenn der Präsident stirbt? Dann muss der Vize übernehmen. John McCain ist schon 72 - wäre die unerfahrene Sarah Palin bereit? Moderatorin Ifill wirft die Frage auf, ohne die Gefahr eines Ablebens von McCain zum Thema zu machen: Wie würde sich eine Biden-Regierung von einer Obama-Regierung unterscheiden? Gott bewahre, es möge nie passieren, sagt Biden betroffen. Aber er würde Obamas Politik fortführen. Palin erklärt recht trocken, dass auch sie die gute Arbeit ihres Präsidenten fortsetzen würde.

+++ Biden verzichtet auf Attacken gegen Palin, er greift lieber McCain an +++

[4.20 Uhr] Joe Biden lässt sich nicht gehen: Viele hatten befürchtet, er könnte Sarah Palin direkt attackieren und dabei schlecht aussehen. Doch er greift lieber immer wieder John McCain an. Keiner der beiden macht einen größeren Patzer - jedenfalls keinen, der sofort aufgefallen wäre.

+++ Disziplin und Erfahrung +++

[4.23 Uhr] Die Kandidaten sprechen über ihre angeblichen Schwächen: Ist Joe Biden manchmal undisziplinert? Ist Sarah Palin zu unerfahren?

Bidens bester Beweis, dass er sich selbst disziplinieren kann, ist sein Auftritt. Wenn Palin ihn attackiert, wehrt er sich - aber ohne Palin persönlich anzugehen. "Ich bin 35 Jahre im Geschäft, ich werde mich nicht ändern", sagt Biden. Er spricht von Leidenschaft. Palin spricht einmal mehr von ihrer Erfahrung als Gouverneurin in Alaska.

+++ McCain ein Maverick? "Er ist kein Maverick!" +++

[4.25 Uhr] John McCain, der Maverick, der Einzelgänger, der sich nicht der Parteidisziplin unterordnet. Immer wieder bemüht Palin dieses Bild. Am Ende reicht es Joe Biden. Nein, John McCain sei kein Maverick, nicht in der Bildungspolitik, nicht in Kriegsfragen. "Nein, ein Maverick ist er nicht", beharrt Biden.

+++ Palins Abschluss-Statement: Sie greift die Medien an +++

[4.30 Uhr] 90 Minuten sind um. Beide habe die Chance zum Schluss-Statement: Palin forsch mit einem Lächeln im Gesicht, wie die meiste Zeit, sie blickt geradeaus in die Kamera. Dann attackiert sie die "Mainstream-Medien". Sie bevorzuge, ungefiltert zum Volk zu sprechen und wünsche sich noch mehr Debatten wie diese. So erinnert sie selbst an ihre peinlichen Interview-Ausschnitte der letzten Tage. Ob das clever war am Ende der Show, fragen die Kollegen der "New York Times"? Noch einmal skizziert sie sich und McCain als die Kandidaten der Druchschnittsamerikaner. Es gebe nur einen in diesem Rennen, der sein Leben lang für die Menschen gekämpft habe: John McCain

+++ Bidens Schlussworte: Emotional - zum ersten Mal +++

[4.30 Uhr] Joe Biden ist dran: "Unser Land befindet sich in einem tiefen Loch", sagt Obamas Nummer zwei. Er meint nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Glaubwürdigkeit der USA im Ausland - und seine Stimme klingt so düster wie die Diagnose. Dann stellt auch er sich und Obama auf die Seite der kleinen Leute. Es ist vielleicht sein stärkster Moment, sein emotionalster, vorher wirkt er oft recht kühl. Es komme nicht darauf an, wie gut es den Managern gehe oder wie viel Steuern Ölfirmen wie Exxon Mobile zu zahlen hätten. Es komme darauf an, ob jemand seine Kinder aufs College schicken könne.

Als emotionales Finale zitiert er seinen Vater: "Champ, wenn Du umgehauen wirst, steh wieder auf." Nun sei es an der Zeit für Amerika, gemeinsam wiederaufzustehen.

+++ Finale mit Familie +++

[4.33 Uhr] Die Duellanten kommen hinter den Pulten hervor, Applaus, sie geben sich die Hand, bedanken sich freundlich, gehen zur Moderatorin. Dann kommen die Familien der beiden auf die Bühne, man reicht sich die Hände, Smalltalk. Nun schlägt die Stunde der spin doctors.

Palin hat sich ordentlich geschlagen, sie wirkte selbstbewusst, am Ende zufrieden. Sie kommt unbeschadet aus der Debatte. Weil sie gut vorbereitet war, bleibt die schon herbeigeredete Blamage aus. Reicht das? Joe Biden gab sich keine Blöße, er tappte nicht in die Falle, sie herablassend zu behandeln, konzentrierte sich darauf, McCain zu attackieren.

phw

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