Twittern per Festnetztelefon Google trickst Ägyptens Internetblockierer aus

Demonstrantin in Kairo: Unterstützung vom Internetriesen Google
Foto: MIGUEL MEDINA/ AFPSan Francisco - Es sollen so viele kommen wie noch nie: Die ägyptische Opposition will an diesem Dienstag eine Million Menschen auf die Straßen in Kairo bringen und damit Präsident Husni Mubarak zum Rücktritt zwingen.
Die Koordination der Proteste wird aber immer schwieriger: Das Regime hat inzwischen sämtliche Internetzugänge gekappt, die Handynetze sollen folgen.
Doch Unterstützung bekommen die Demonstranten nun von unerwarteter Seite: will der ägyptischen Opposition helfen. Wie das US-Internetunternehmen in seinem Firmenblog mitteilte, soll es in Ägypten ab sofort möglich sein, per Telefonanruf zu twittern. Die Nachricht muss dabei als Voicemail bei den internationalen Rufnummern +1.650.419.41966 oder +39 06 2.207.294 oder +97.316.199.855 hinterlassen werden. Die Nachrichten werden dann mit dem Schlagwort "egypt" augenblicklich bei Twitter veröffentlicht. Sie können über dieselbe Nummer empfangen oder über twitter.com/speak2tweet gehört werden.
Nach Google-Angaben hat eine kleine Expertengruppe von Twitter, Google und SayNow (eine Firma, die Google in der vergangenen Woche gekauft hat), den Service erarbeitet. Google schreibt in seinem Blog weiter, dass das Unternehmen hoffe, den Menschen in Ägypten in dieser sehr schwierigen Zeit bei ihrer Kommunikation helfen zu können. Die Nachricht wurde von Ujjwal Singh, dem Mitbegründer von SayNow, und dem Google-Produkt-Manager für den Nahen Osten und Nordafrika, Abdelkarim Mardini, veröffentlicht. Sie ist für das Unternehmen natürlich auch ein willkommener PR-Coup.

Hintergrund des Hilfsangebots von Google: Der letzte ägyptische Internetprovider, die Noor Group, wurde am Montagabend von Netz genommen. Das teilte Renesys mit, ein amerikanisches IT-Unternehmen, das für Internetanbieter die Sicherheit und die Infrastruktur des Netzes überprüft. Die Noor Group war nach der Abschaltung der vier größten Online-Anbieter Lin Egypt, Vodafone/Raya, Telecom Egypt und Etissalat Misr am vergangenen Freitag der letzte verbliebene aktive größere Internetanbieter in Ägypten. Renesys hat sich auf die Überwachung des Internetverkehrs spezialisiert.
Mehrere Internetfirmen haben unterdessen Fundraising-Aktionen gegen die Zensurpolitik der ägyptischen Regierung gestartet. Das Tor-Projekt, ein Dienstleister zur Anonymisierung von Online-Verbindungsdaten, und die Bürgeraktivisten-Bewegung Avaaz haben Netznutzer gemeinsam zum Spenden aufgerufen. Das Geld soll in IT-Ausrüstung für Aufständische fließen.
Regime unterbricht Eisenbahnverkehr
Zur Unterbindung der Kommunikation will die Regierung außerdem das Mobiltelefonnetz kappen. Das berichteten Medien und Regierungsvertreter in der Nacht zum Dienstag. Am frühen Morgen funktionierten in Kairo aber zahlreiche Handynetze noch.
Auch auf anderem Wege will die ägyptische Regierung den angekündigten Massenprotest gegen Präsident Husni Mubarak in Kairo behindern. Der Eisenbahnverkehr sei landesweit unterbrochen worden, berichtete der arabische Fernsehsender al-Dschasira.
Eine Millionen Menschen wollen die Gegner von Ägyptens Präsidenten Mubarak auf die Straße bringen. Die Armee hatte am Montagabend versichert, keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten anzuwenden. "Wir erkennen die Legitimität der Forderungen der Bürger an", hieß es in der Erklärung der Militärführung, die am Montagabend veröffentlicht wurde. "Wir werden keine Gewalt gegen die Bürger einsetzen." In der Nacht zum Dienstag gingen die Proteste gegen das Regime von Mubarak ungeachtet der Ausgangssperre weiter. Wie al-Dschasira berichtete, hielten sich gegen drei Uhr Ortszeit Hunderte von Demonstranten auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo auf. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP strömten am Dienstagmorgen Tausende Demonstranten ins Stadtzentrum.
Präsident Mubarak beauftragte unterdessen seinen Vizepräsidenten Omar Suleiman, mit der Opposition zu sprechen. Das Büro Suleimans sagte dem US-Nachrichtensender CNN, dass erste Kontakte zur Opposition geknüpft worden seien. Es gab nach CNN-Angaben aber keine Hinweise, welche Vorschläge gemacht worden seien. Auch lägen keine Reaktionen von Oppositionellen vor. Zudem fehlten Angaben über die Gesprächspartner.
Niebel will Entwicklungshilfe nicht stoppen
Die USA haben vor den geplanten Massenprotesten zu Zurückhaltung aufgerufen. Die US-Regierung hoffe, dass der am Dienstag in Kairo angesetzte "Marsch der Million" ruhig und ohne Gewalt verlaufen werde, teilte das Weiße Haus mit. Die bisher von den Sicherheitskräften gezeigte Zurückhaltung sei erfreulich. Angesichts der Protestwelle in Ägypten forderten die USA in den vergangenen Tagen immer wieder einen geordneten Übergang zu einer Demokratie. Den Rücktritt von Staatschef Mubarak, wichtiger Verbündeter der USA in der arabischen Welt, verlangte Washington bislang nicht.
Der frühere US-Botschafter in Ägypten, Frank Wisner, wurde als Sondergesandter nach Kairo geschickt. Wie das Außenministerium in Washington mitteilte, soll der pensionierte Diplomat Gespräche mit hochrangigen Vertretern der ägyptischen Regierung führen und der Forderung nach mehr Demokratie Nachdruck verleihen. Anschließend werde Wisner Präsident Barack Obama über die Situation in Ägypten Bericht erstatten.
In der US-Regierung wird der Wunsch nach einem Ägypten ohne Mubarak offenbar stärker: Einem Bericht der Nachrichtenagentur AP zufolge haben sich Vertreter der US-Regierung dafür ausgesprochen, dass Mubarak bei den Präsidentschaftswahlen, die für September angesetzt sind, nicht erneut antritt. Die Regierungsmitarbeiter wollten demnach nur anonym zu dem Thema sprechen. Offiziell hat sich Washington bislang nicht zu Mubarak geäußert, sondern lediglich stets angemahnt, Wahlen müssten frei und fair von statten gehen.
Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) sieht derweil trotz der Unruhen derzeit keinen Anlass für ein Einfrieren der deutschen Hilfen für Ägypten. "Im Augenblick ist es viel zu früh, um über mögliche Konsequenzen für die deutsch-ägyptische Entwicklungszusammenarbeit zu sprechen", sagte Niebel dem "Hamburger Abendblatt".
Scharfe Kritik am Auswärtigen Amt in Berlin übt der Grünen-Politiker Omid Nouripour: "Das Auswärtige Amt scheint sehr nachlässig mit der Situation umzugehen. Ich verstehe nicht, weshalb keine Reisewarnung ausgesprochen wird. Deutschen sollte nicht das Gefühl gegeben werden, dass es sicher ist, nach Ägypten zu fahren", sagte der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag der "Berliner Morgenpost". Das Auswärtige Amt hat bislang nur von Reisen nach Ägypten abgeraten, insbesondere von Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez sowie in die urbanen Zentren im Landesinnern und im Nildelta.