
Wahl in Finnland: Der Triumph der Rechtspopulisten
Überraschungswahl in Finnland Revolution der zornigen Männer
Frauen haben es nicht leicht in der finnischen Politik. Die Amtszeit der ersten Regierungschefin Anneli Jäätteenmäki endete 2003 nach nur zwei Monaten und einem Tag. Nun muss auch Mari Kiviniemi, 42, weichen, nach zehn Monaten Amtszeit landete sie bei den Parlamentswahlen am Sonntag mit ihrer Zentrumspartei lediglich auf dem enttäuschenden Platz vier, mit 15,8 Prozent (35 Sitzen). Kiviniemi ist erst der zweite weibliche Premier in dem Nordland, das sich so gern zugute hält, 1906 als erste Nation in Europa das Frauenwahlrecht eingeführt zu haben. Die Wahl wurde für sie zum Debakel. Das Zentrum verlor 7,3 Prozent - ein ungewöhnlicher Absturz für finnische Verhältnisse und das schlechteste Ergebnis für das Zentrum seit dem Krieg.
Die Pleite des Zentrums ist dem fulminanten Erfolg der "Wahren Finnen" geschuldet, die - wie das Zentrum - ihre Hochburgen auch in den strukturschwachen ländlichen Regionen haben. Die Rechtspopulisten konnten ihr Wahlergebnis überraschend auf 19 Prozent steigern und sind die eigentlichen Wahlsieger. Die Rechtsausleger steigerten ihr Ergebnis von 2007 (4,1 Prozent) um das Viereinhalbfache, das hatten selbst die kühnsten Wahlforscher nicht zu prophezeien gewagt, zumal die Werte in ihren Umfragen in den letzten Tagen vor dem Urnengang eher nach unten zeigten. "Das Land wurde durcheinandergeschüttelt," jubelte Timo Soini, 48, der Wortführer der Wahren Finnen, nach der Verkündung des Ergebnisses begeistert.
Es war ein Wahlabend der Sensationen. Die konservative Sammlungspartei unter ihrem jungen Vorsitzenden und Finanzminister Jyrki Katainen wurde zum ersten Mal stärkste Partei mit 20,4 Prozent (44 Sitze) - soweit lag das Ergebnis noch im Trend der Prognosen. Dass die Aufholjagd der Sozialdemokratin Jutta Urpilainen mit 19,1 Prozent und 43 Mandaten mit Platz zwei belohnt werden würde, war dagegen schon eine Riesenüberraschung.
Doch woher kommt der dramatische Rechtsruck? Es waren wohl vor allem männliche Wähler, jüngere, mit einfachem Bildungsniveau und eher geringem Einkommen, die Kiviniemi abgewählt haben und nun zum ersten Mal einen rechtsbürgerlichen erklärten Europa-Gegner in Helsinki an die Macht bringen. Denn dass die Kollegen vom rechten Rand in der künftigen Regierung sitzen werden, das gilt nicht nur für Sozialdemokratin Urpilainen als "selbstverständlich".
Die Parteienlandschaft im Norden Europas hat sich gewandelt
Das Wahlergebnis von Sonntag macht deutlich, wie sehr sich die Parteienlandschaft im Norden Europas gewandelt hat, dort, wo gemeinhin die Sozialdemokraten als Erfinder der nordischen Wohlfahrtsmodelle ihre politische Bastion haben. Im Nachbarland Schweden zogen die rechtsextremen Schwedendemokraten voriges Jahr zum ersten Mal in den Stockholmer Reichstag ein und sind seitdem das Zünglein an der Waage zwischen rot-grüner Opposition und bürgerlicher Minderheitsregierung.
In Kopenhagen sichert die rechtspopulistische Dänische Volkspartei der Mitte-rechts-Minderheitsregierung die notwendige Mehrheit im Parlament. Und in Oslo avancierte die rechte Fortschrittspartei 2009 mit 22,9 Prozent zur zweitstärksten Kraft hinter den regierenden Sozialdemokraten.
Nun also auch in Finnland. Dort punkteten die Rechtspopulisten unter ihrem redegewandten Anführer Soini mit rechtskonservativen Gesellschaftsbildern, anti-europäischen Forderungen und ausländerfeindlichen Parolen. Mehr "Finnischtum" und weniger Ausländer, keine Homo-Ehe und Ablehnung der EU-Finanzhilfen für krisengeschüttelte Länder wie Griechenland, Irland und erst recht Portugal - aus einem Mix von Protest und Populismus schöpfen die Rechten ihr Potential. Zudem profilierten sich die Wahren Finnen mit einer Haltung, die den Grünen in Deutschland schon vor 30 Jahren zur Existenzgründung verhalf - als Anti-Parteien-Partei.
Wahlforscher sprechen von einer "Revolution der zornigen Männer"
Dass die drei Großen - Konservative, Zentrum und Sozialdemokraten - seit Jahren die Macht unter sich aufteilten und ihre politischen Unterschiede bis zur Unkenntlichkeit verwischten, kam besonders bei einfachen Wählern gar nicht gut an. Skandale um illegale Parteienfinanzierung, Filz und Korruption taten ein Übriges.
Die Leute haben "die Schnauze voll", freute sich Seppo Huhta, Kandidat der Wahren Finnen. 70 Prozent seiner Sympathisanten seien männlich, "mit geringem bis normalem Einkommen", die wollten weder Ausländer in Finnland noch notleidende Portugiesen durchfüttern.
Wahlforscher wie der Politik-Professor Heikki Hiilamo, der nebenbei für die Grünen kandidierte, sprechen von einer "Revolution der zornigen Männer". Die noch amtierende Regierungschefin Kiviniemi warnte von einer "maskulinen Partei, die sich eher an Männer richtet".
Kiviniemi sagt auch, dass die Wahren Finnen zwar "sehr, sehr rechts angesiedelt" seien, aber deren "Programm nicht offen rassistisch" ist. Immer wieder betonte sie das, vor allem gegenüber ausländischen Beobachtern. Es war wohl der Versuch einer Schadensbegrenzung, um das Ansehen ihres Landes in Europa nicht zu stark zu ramponieren.
Dass die Rechten von allen außer den Grünen als Partner einer künftigen Koalitionsregierung akzeptiert werden, daran gibt es keinen Zweifel. In den meisten europäischen Ländern würden nach so einem Wahlabend Allianzen gegen die rechten Außenseiter geschmiedet. Nicht so in Finnland, das sich mehr noch als die anderen nordischen Nachbarn als Konsensgesellschaft definiert. Es ist Teil der politischen Kultur, einen De-Facto-Wahlgewinner nicht von der Machtteilhabe auszuschließen.
Nach dem Einzug der Rechtspopulisten gilt eine neue Zeitrechnung
Ein Zusammengehen von Konservativen, Sozialdemokraten und Rechtspopulisten gilt deshalb als wahrscheinlichste Regierungskonstellation. Wahlsieger Katainen von den Konservativen wird Nachfolger von Kiviniemi, das dürfte sicher sein. Der jungenhafte Finanzminister gilt zusammen mit seinem Parteifreund und Außenminister Alexander Stubb, 42, als Verkörperung der neuen Politikergeneration Finnlands: jung, charmant und männlich, intellektuell und integer. Gemeinsam halten sie die Konservativen seit Monaten konstant an der Spitze aller Umfragen und wurden dafür jetzt belohnt.
Die beiden sind gesetzt. Sozialdemokratin Urpilainen dürfte das Amt der Finanzministerin anstreben - das gilt in Finnland traditionell als wichtigstes nach dem Premier und noch vor dem Außenamt.
Und Soini? Den konnte sich vor der Wahl so recht kaum einer der politischen Analysten in einem Ministeramt vorstellen. Vielleicht in einem neugeschneiderten Ministerium für Migration? Noch weniger als Soini, der immerhin im Europaparlament sitzt, gilt irgendeiner seiner Weggefährten als ministrabel. "Die Regierungsbildung wird schwierig", glaubt Soini selbst, "aber interessant."
So schwierig denn wohl aber auch wieder nicht. Denn Noch-Premier Kiviniemi hat bereits allen Spekulationen vorgebeugt. "Unser Platz ist in der Opposition", sagte sie noch am Wahlabend, "die Wähler haben gesprochen." Dort will sie ihre Partei neu aufbauen.
Und auch die Grünen, die bislang mit in der Regierung saßen und für ihre Kompromisse etwa in der Atompolitik mit 7,2 statt bisher 8,5 Prozent abgestraft wurden, haben sich festgelegt: auf einen Wechsel in die Opposition.
Auch das ist neu in Finnland. Bislang war nach Wahlen alles möglich. Drei-Parteien-Koalitionen, auch mal Bündnisse mit vier oder fünf Parteien, "wie auf dem Basar", hatte Ville Pernaa, Politik-Professor aus Turku, die Regierungsbildung genannt, "auch das ist finnische politische Kultur".
Das war einmal. Nach dem Einzug der Rechtspopulisten gilt eine neue Zeitrechnung. Der Basar hat geschlossen.