Putin und Poroschenko in Berlin Warum der Minsker Friedensprozess so verfahren ist

Prorussische Einheiten in der Ukraine
Foto: Alexander Ermochenko/ dpaEin Jahr ist vergangen, seit Russlands Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Kollege Petro Poroschenko sich zuletzt gemeinsam an einen Tisch gesetzt haben. Seither überschütteten sie sich nur noch mit gegenseitigen Beschuldigungen und Vorwürfen - aus der Ferne. Der Konflikt in der Ostukraine blieb derweil ungelöst, auch wenn er in den vergangenen Monaten in der öffentlichen Wahrnehmung von den blutigen Kämpfen in Syrien verdrängt wurde.
Gering sind deshalb auch die Erwartungen an das Zusammentreffen an diesem Mittwoch in Berlin, wo Putin und Poroschenko mit Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande im sogenannten Normandie-Format sprechen werden. Kreml-Sprecher Dimitrij Peskow sagte, er rechne nicht mit konkreten Vereinbarungen in Berlin; lieber sprach er von einem "Uhrenvergleich", ein Abgleich der Positionen. Auch Merkel warnte, "Wunder" werde es in Berlin nicht geben.
Hier der Stand zum verfahrenen Minsker Friedensprozess:
Warum sind die Treffen im Normandie-Format so wichtig?
Die Vierergespräche zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich, benannt nach dem ersten Treffen im Juni 2014 in Nordfrankreich, haben eine Befriedung des Konflikts im Osten der Ukraine überhaupt erst möglich gemacht. Formal haben die Normandie-Treffen zwar keine Bedeutung für den Friedensplan, der in einem diplomatischen Kraftakt am 12. Februar 2015 im weißrussischen Minsk beschlossen und von Vertretern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Ukraine, Russlands und den Separatistenführern der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk unterzeichnet wurde.
Faktisch waren die Vierertreffen aber die Vorbereitung, sie haben das Minsker Abkommen "auf die Welt gebracht", so formulierte es unlängst Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Moskau betont, bei den Verhandlungen nur als Vermittler am Tisch zu sitzen. Konfliktpartei sind formal die prorussischen Separatisten, auch wenn Russen an ihrer Seite kämpfen und Waffen aus Russland eingesetzt werden.
Wird in der Ostukraine weiterhin gekämpft?
Ein regelrechter Krieg wie noch vor gut zwei Jahren herrscht seit dem Minsker Abkommen im Osten der Ukraine zwar nicht mehr, aber Frieden eben auch nicht. Es ist ein Schwebezustand, in dem sich der Donbass befindet, Gefechte mit kleinerem Kaliber gehören zum Alltag. Auch schwere Waffen kommen nach wie vor zum Einsatz. Eigentlich war deren Rückzug von der Frontlinie vereinbart worden, dieser wurde aber nie ganz umgesetzt.
Die OSZE-Beobachtermission stellt deshalb immer wieder fest, dass der Waffenstillstand gebrochen wird. Wie die "FAZ" nach einer Analyse der OSZE-Tagesberichte meldet , sind ukrainische Streitkräfte in den vergangenen Wochen in die Offensive gegangen, vor allem am strategisch entscheidenden Frontabschnitt östlich der Hafenstadt Mariupol und nordwestlich der Rebellenhochburg Donezk. Dort würden auch schwere Waffen eingesetzt. Die Soldaten versuchten so, weitere kleine Gebietsgewinne prorussischer Kämpfer zu verhindern. Noch im Sommer hatten demnach die prorussischen Einheiten viel öfter den Waffenstillstand gebrochen als die Ukrainer.
Was ist mit dem neuen Versuch von Außenminister Steinmeier, für eine echte Waffenruhe zu sorgen?
Frank-Walter Steinmeier war im September im Donbass, am 21. September wurde ein "Rahmenabkommen zur Truppenentflechtung" unterzeichnet. Es sieht vor, dass an der Kontaktlinie zwischen den ukrainischen Soldaten und prorussischen Separatisten in kleinen Abschnitten schwere Waffen abgezogen und alle Kämpfer getrennt werden. Bisher hat das aber nur in zwei von drei vereinbarten Orten geklappt. Zudem kann die OSZE den Prozess wegen nicht geräumter Minen kaum beobachten.

Ukrainischer Präsident Poroschenko bei Truppenbesuch
Foto: POOL/ REUTERSWelche Interessen hat Kiew?
Im Ringen um den Minsker Friedensprozess geht es vor allem darum, in welcher Reihenfolge die vereinbarten Punkte umgesetzt werden müssen. Die Prioritäten der Kiewer Regierung sind eine stabile Waffenruhe und Kontrolle über die russisch-ukrainische Grenze. Würde die Grenze geschlossen, könnten die prorussischen Kommandeure nicht mehr aus Russland versorgt werden. Erst dann - so Kiews Position - könne über alles andere gesprochen werden. Moskau hingegen fordert, die Themen parallel zu verhandeln. Das ukrainische Parlament weigert sich bisher, eine neue Verfassung mit Autonomie für die Separatistengebiete zu verabschieden. In Kiew wird sie als "Kapitulation" vor den Separatisten gesehen, die aufgewertet würden, zudem würde die Regierung den Zugriff auf die Gebiete im Osten verlieren und Russland, so die Befürchtung, seinen Einfluss weiter ausbauen. Auch Zugeständnisse für lokale Wahlen hat es aus Kiew bisher nicht gegeben.
Was wollen die prorussischen Separatisten?
Sie fordern einen Sonderstatus für den Donbass und eine Amnestie für ihre Kämpfer. Die Kontrolle über die Grenze wollen sie nicht hergeben. Offiziell sagen sie, sie könnten die Sicherheit ihrer nicht anerkannten Volksrepubliken sonst nicht garantieren. Auch weigern sich die moskautreuen Kämpfer, Abstimmungen nach ukrainischem Gesetz durchzuführen, weil sie sich die politische Macht dann womöglich mit proukrainischen Parteien teilen müssten. Sie wollen Abstimmungen in Donezk und Luhansk nach ihren eigenen Regeln durchführen. Anfang Oktober veranstalteten sie bereits eigene "Vorwahlen", die ukrainische Parteien von der Teilnahme ausschließen sollten. Allerdings ist die Sicherheitslage in den Reihen der Separatisten angespannt, zuletzt wurde ihr bekannter Truppenkommandeur Arsenij Pawlow, Kampfname "Motorola", in Donezk im Fahrstuhl in die Luft gesprengt. Die Rede ist von möglichen internen Rivalitäten. Separatistenanführer Alexander Sachartschenko beschuldigte Kiew, an der Explosion beteiligt gewesen zu sein, und sprach sogar von einer "Kriegserklärung".

Trauerzug für Truppenkommandeur Arsenij Pawlow
Foto: ALEXANDER ERMOCHENKO/ REUTERSWas bedeutet das alles für den Minsker Friedensprozess?
Die Fortschritte sind winzig, zu verfahren ist die Situation. Auch der Austausch von Gefangenen stockt. Dabei sollten ursprünglich alle Punkte des Abkommen bis Ende 2015 umgesetzt sein. Experten überrascht der Stillstand nicht, sie kritisierten die schwammig formulierte Vereinbarung von Anfang an als zum Scheitern verurteilt: Minsk sei per se nicht erfüllbar.