Whistleblower-Affäre aus ukrainischer Sicht Die Kiew-Connection

US-Präsident Trump drängte seinen ukrainischen Amtskollegen Selenskyj zu Ermittlungen gegen Joe und Hunter Biden. Wie sauber waren deren Deals? Eine Kiewer Antikorruptionskämpferin gibt Antworten.
Joe und Hunter Biden (2010): Politische und private Interessen in der Ukraine?

Joe und Hunter Biden (2010): Politische und private Interessen in der Ukraine?

Foto: Alexis C Glenn/ EPA-EFE/ REX

Für eine "neue Ukraine" stehe er - ein Land, das man nicht immer nur im Kontext mit Korruption erwähnt, sagt Wolodymyr Selenskyj. Der Präsident, seit Mai im Amt, müht sich seit Monaten, eine positiv besetzte Geschichte seiner Ukraine zu erzählen, eine Geschichte der Zukunft. Für dieses Narrativ versuchte er auch bei seinem Treffen mit US-Präsident Donald Trump am Rande der Uno-Vollversammlung in New York Gehör zu finden. Aber natürlich war das angesichts der alles übertönenden Nachrichten um die Ukraine-Affäre Trumps zum Scheitern verurteilt.

Der US-Präsident steht nun vor einem Amtsenthebungsverfahren, weil er Selenskyj und dessen Berater offenbar zu Ermittlungen gegen den zurzeit aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Joe Biden, drängen wollte. Im Zentrum steht dabei ein Telefonat am 25. Juli (Lesen sie hier das veröffentlichte Protokoll ).

Die Ukraine ist zu einem Reizthema in der US-Politik geworden, Selenskyj wird dabei von Ereignissen eingeholt, die Jahre zurückliegen. Angeblich habe Biden als Vizepräsident sein Amt missbraucht, um seinen Sohn Hunter, tätig im Aufsichtsrat eines ukrainischen Gaskonzerns, vor Ermittlungen der Kiewer Justiz zu schützen.

Was ist dran an den Anschuldigungen? Der Überblick aus Kiewer Perspektive:

1. Welche Rollen spielten Joe und Hunter Biden in der Ukraine?

US-Vizepräsident Biden in Kiew (2015): Einsatz für Korruptionsbekämpfung

US-Vizepräsident Biden in Kiew (2015): Einsatz für Korruptionsbekämpfung

Foto: Valentyn Ogirenko/ REUTERS

Joe Biden war als Vizepräsident unter Präsident Barack Obama zuständig für die Ukraine-Politik. Kiew besuchte er nach eigenen Angaben 12 bis 13 Mal. Im Dezember 2015 trat er im Parlament auf und ermahnte die Abgeordneten, stärker gegen Korruption vorzugehen. Er stellte auch neue US-Hilfen in Aussicht.

Hunter Biden, Anwalt und Sohn des demokratischen Politikers, wurde Mitte 2014 als Aufsichtsratsmitglied des ukrainischen Gaskonzerns Burisma berufen. Die Besitzverhältnisse im ukrainischen Energiesektor sind allerdings Ergebnisse von Filz und Korruption. 50.000 Dollar bekam der Biden-Sohn über Jahre hinweg pro Monat dafür, dass er vor allem seinen Namen für das Unternehmen hergab (Lesen Sie hier die Hintergründe) - zu einem Zeitpunkt, als dem Burisma-Eigentümer Mykola Slotschewskij bereits Ermittlungen drohten, einem Unterstützer des gestürzten prorussischen Ex-Präsidenten Wiktor Janukowytsch.

Als dessen Umweltminister war Slotschewskij auch für jene Behörde zuständig, die Lizenzen für die Erschließung von Öl- und Gasfeldern vergibt. Sein eigener Fimenkomplex bekam sehr viele davon zugeteilt - so viele, dass die Generalstaatsanwaltschaft 2014 mehrere Strafverfahren gegen den Millionär eröffnete. Slotschewskij verließ zwischenzeitlich die Ukraine.

2. Sorgte Joe Biden dafür, dass Generalstaatsanwalt Schokin gefeuert wurde?

Wiktor Schokin: 2016 entlassener Generalstaatsanwalt der Ukraine

Wiktor Schokin: 2016 entlassener Generalstaatsanwalt der Ukraine

Foto: Michail Palinchak/ Presidential Press-Service/ AFP

Joe Biden brüstete sich 2018 bei einer Veranstaltung in Washington damit (Sehen Sie hier den Videoausschnitt ), dafür gesorgt zu haben, dass der ukrainische Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin gehen musste. Wenn Schokin nicht innerhalb von sechs Stunden gefeuert sei, würden die USA eine Milliarde Dollar an Kreditgarantien streichen, habe er in der Ukraine gesagt, erzählte Biden und fügte hinzu: "Tja, Mistkerl! Er wurde gefeuert!" Das alles soll sich nach Medienberichten im Dezember 2015 zugetragen haben. Erst im Februar 2016 sprach der damalige Präsident Petro Poroschenko jedoch erstmals über die mögliche Entlassung Schokins.

Biden war nicht der einzige, der Schokins Entlassung forderte: Der Internationale Währungsfonds und westliche Geldgeber drängten Poroschenko damals, das Amt neu zu besetzen - aus Furcht, Finanzhilfen könnten im Sumpf der Korruption versickern. Schokin wurde im April 2016 entlassen.

3. Gibt es Beweise für Trumps Behauptung, Biden habe seinen Sohn vor der ukrainischen Justiz schützen wollen?

Rudy Giuliani mit Ex-Präsident Poroschenko (2017): Trumps Anwalt und Strippenzieher

Rudy Giuliani mit Ex-Präsident Poroschenko (2017): Trumps Anwalt und Strippenzieher

Foto: Mikhail Palinchak/ Presidential Press Service/ AP

Nein, gibt es nicht, sagt Daria Kaleniuk, Leiterin des Anti-Corruption Action Center (AntAC) in Kiew. Seit 2014 verfolgt sie die Vorgänge um den Gaskonzern Burisma. "Joe Biden hat Schokins Entlassung nicht gefordert, weil er seinen Sohn schützen wollte, sondern der Generalstaatsanwalt eben gerade nicht ermitteln wollte und Verfahren wie im Fall von Burisma einschlafen ließ", sagte die Aktivistin dem SPIEGEL.

Schokin habe die Korruptionsermittlungen bei Burisma laut Kaleniuk sogar sabotiert. Unter anderem habe der Generalstaatsanwalt zwei Monate, bevor Hunter Biden Mitglied des Aufsichtsrats von Burisma wurde, eine Anfrage der britischen Behörden ignoriert, die damals gegen den Burisma-Eigentümer Slotschewskij wegen Geldwäscheverdachts ermittelten.

Unter Schokin sei es in der Generalstaatsanwaltschaft "wie im Supermarkt" gewesen. "Man konnte Schmiergelder dafür bezahlen, dass Verfahren eröffnet und geschlossen wurden", sagt Kaleniuk. Tatsächlich wurden die Verfahren gegen Slotschewskij bereits 2014 zurückgestellt. "Dabei hat Slotschewskij seine Macht als Minister missbraucht - ein klarer Fall von Korruption", so Kaleniuk.

Während Hunter Bidens Tätigkeit im Aufsichtstrat von Burisma zwischen 2014 und 2019 sieht die Korruptionsbekämpferin keine Gesetzesverstöße. Gegen ihn wurde in der Ukraine zu keinem Zeitpunkt ermittelt. "Aber es war ethisch falsch, dass er den Posten übernahm", meint Kaleniuk.

4. Wie kommt Trump zu seinen Behauptungen?

Ex-Generalstaatsanwalt Luzenko: Traf sich dreimal mit Giuliani

Ex-Generalstaatsanwalt Luzenko: Traf sich dreimal mit Giuliani

Foto: Sergei Supinsky/ AFP

In seinem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj am 25. Juli spricht Trump von einem ehemaligen Generalstaatsanwalt, der "sehr gut gewesen" sei. "Er wurde entlassen, und das ist wirklich unfair", so der US-Präsident weiter. Meinte Trump damit Wiktor Schokin, der inzwischen gegen seine Suspendierung klagt?

Aus der Beschwerde des Whistleblowers, vermutlich ein CIA-Agent, der die Affäre um Trumps Verhalten gegenüber der ukrainischen Führung ins Rollen brachte (Lesen Sie hier die Hintergründe), geht eher hervor, dass Trump Jurij Luzenko meinte. Der Nachfolger Schokins ist inzwischen ebenfalls nicht mehr im Amt. Nach Selenskyjs Wahlsieg versuchte er vergeblich, seinen Posten zu behalten - wohl auch durch Einflussnahme Washingtons.

Luzenko war es wohl auch, der den persönlichen Anwalt von Trump, Rudy Giuliani, mit Informationen aus der Ukraine versorgte. Der ehemalige Generalstaatsanwalt soll auch einen Brief  nach Washington geschickt haben, um auf die angeblich zweifelhafte Tätigkeit Hunter Bidens für Burisma aufmerksam zu machen.

Giuliani ist es, der in dieser Affäre die Strippen für Trump zieht und mehrfach in die Ukraine reisen wollte. Er interessierte sich neben Biden auch für die Umstände, wie die Schwarzgeldzahlungen der Partei von Ex-Präsident Janukowytsch an Trumps ehemaligen Wahlkampfmanager Paul Manafort von 2016 bekannt wurden. Laut eigenen Angaben   traf sich Luzenko insgesamt dreimal mit Giuliani. Der ehemalige Generalstaatsanwalt sagt heute über Hunter Biden: "Aus der Sicht ukrainischer Gesetzgebung hat er nichts verbrochen."

Mitarbeit: Katja Lutska, Kiew
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