
Kiews Armee in der Ostukraine: Wut der Zivilisten
Aufstand im Osten Zivilisten stellen sich ukrainischen Panzern in den Weg
Auf einem Hügel am Horizont glaubt Valentina, 53 Jahre, ihren Feind zu erspähen. "Da, da ist ein Panzer!", ruft die weißblonde Ukrainerin ihrer Freundin Jelena, 44 Jahre, zu. Diese steigt auf einen Hocker und blickt in die Ferne. Die beiden Frauen aus Kramatorsk fürchten die ukrainische Armee, die seit Dienstag in der Ostukraine aufzieht. Die Regierung in Kiew hat eine Operation angekündigt, um das Donezk-Becken wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Doch Valentina und Jelena wollen davon nichts wissen.
Im Osten des Landes sehen viele die neue Regierung in Kiew kritisch. Wie Valentina und Jelena haben einige sogar panische Angst vor ihr. Sie glauben, was die Kreml-treuen Kanäle ihnen ständig predigen. "Das sind Faschisten", sagt Valentina über Kiew. "Sie schicken nun Soldaten, um uns russischsprachige Ukrainer im Osten umzubringen." Ihre Mission: Sie wollen die Panzer aufhalten.
Kiew hat in der Ostukraine einen heiklen Feldzug gestartet. Die neue Regierung versucht, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. Seit Montag halten Aufständische in neun Städten Gebäude besetzt. Anders als auf der Krim sind die Besetzer hauptsächlich Einheimische. Die neue Regierung ist in der Ostukraine nicht sonderlich beliebt.
Die Führung in Kiew steht vor einem Dilemma: Tut sie nichts, verliert sie Rückhalt im eigenen Lager. Doch geht sie entschieden gegen die Aufständischen vor, könnten sich noch mehr Ostukrainer mit diesen solidarisieren - und ihre Forderungen möglicherweise radikaler werden. Bisher wollen die meisten mehr Autonomie von Kiew, nicht Unabhängigkeit. Unklar ist auch, auf wen die Regierung bei einer solchen Operation überhaupt zählen könnte.
Ein paar Frauen gegen die Panzer
Einen Kilometer von Jelena und Valentina entfernt auf dem Hügel hat der Panzer inzwischen haltgemacht. Acht Soldaten steigen aus und warten auf einen zweiten Panzer, der die Flagge der Luftlandetruppen trägt. Die Soldaten sind nicht sonderlich gesprächig, verraten aber zumindest, dass sie ihre Kameraden auf dem Flughafen verstärken sollen.
Auf dem Flughafen waren am Dienstag 30 ukrainische Soldaten mit Helikoptern eingeflogen. Seitdem sind immer wieder weitere Hubschrauber auf dem Stützpunkt gelandet. Wie viele Soldaten inzwischen dort stationiert sind, ist unklar. Am Mittwochmorgen ließen sich aus der Ferne vier Panzer auf dem Gelände entdecken, denen sich die zwei auf dem Hügel noch anschließen sollten.
Die jungen Soldaten auf dem Hügel legen plötzlich ihre alten Sowjet-Sturmgewehre an. Denn von dem Feldweg vor ihnen nähern sich drei Autos. Es ist eine Gruppe wütender Einheimischer, darunter auch Jelena und Valentina. Sie kommen immer näher auf die Soldaten zu.
"Sie werden uns zerstören"
Die Soldaten auf dem Hügel zögern. Was sollen sie tun? Nach kurzer Beratung springen alle schnell auf die Panzer. Abfahrt zum Flughafen, sofort. Die Panzer heulen auf. Die Autos bleiben stehen. Nur Jelena und Valentina nicht.
Sobald der erste Panzer an ihnen vorbeirast, bilden die zwei Frauen eine menschliche Kette. Mit einer weiteren Freundin an der Hand kommen sie auf den zweiten Panzer zu. Sie wollen ihn hindern, zum Flughafen zu fahren - und das mit ihrem Leben.
Die Soldaten geben Vollgas. Sie rasen auf die Frauen zu. Die weichen nicht. Der Fahrer reißt das Steuer nach links, kommt ab vom Feldweg. Die drei Frauen versuchen noch, ihm in den Weg zu springen, doch er ist zu schnell. Sie leben, doch Jelena bricht enttäuscht in Tränen aus. "Wir wollen nicht, dass die Junta in Kiew unsere Länder erobert", schluchzt sie. "Sie werden uns zerstören."
Valentina versucht, sie zu trösten. Sie denkt bereits an ihre nächste Mission. "Wenn die Soldaten vom Flughafen aus in die Stadt fahren, werden wir uns ihnen in den Weg stellen."

Zum Aufklicken: Überblick über die Ostukraine
Foto: SPIEGEL ONLINE