Krise in der Ukraine Kiews Regierung riskiert einen Bürgerkrieg

Rechtsextremisten in der Koalition, Proteste im Osten des Landes: Die provisorische Regierung hat die Lage in der Ukraine nicht unter Kontrolle. Das bestätigen Experten, die der Bundesregierung zuarbeiten. Doch Premier Jazenjuk weigert sich, Konsequenzen aus seiner verfehlten Politik zu ziehen.
Ukraines Ministerpräsident Jazenjuk: "Meine Frau spricht meist Russisch"

Ukraines Ministerpräsident Jazenjuk: "Meine Frau spricht meist Russisch"

Foto: FRANCOIS LENOIR/ REUTERS

Die Geste des amtierenden Premierministers Arsenij Jazenjuk sollte versöhnend wirken. Auf Russisch wandte sich der Premier in der vergangenen Woche im Fernsehen an die Bewohner der russischsprachigen Regionen im Süden und Osten.

"Meine Frau spricht meist Russisch", sagte Jazenjuk und versprach den Erhalt des vom Parlament annullierten Sprachengesetzes, das den Gebrauch des Russischen regelt. Der Regierungschef offerierte vage eine "Dezentralisierung von Macht" mit Wahlen von Bürgermeistern und Stadträten "im kommenden Jahr".

Doch der Appell verhallte wirkungslos. Am Wochenende demonstrierten im Osten und Süden der Ukraine erneut Tausende gegen die Kiewer Regierung und für Volksabstimmungen über den Status ihrer Regionen. Die meisten Menschen im russischsprachigen Osten der Ukraine glauben den Versprechungen des Regierungschefs einfach nicht.

Dabei hat das Kabinett in Kiew gerade einen Stellvertreter Jazenjuks zum Verantwortlichen für den "Schutz der nationalen Minderheiten" ernannt. Der Schönheitsfehler: Vizepremier Alexander Sytsch gehört zur Swoboda. Zur selben rechtsextremen Partei also, deren Parlamentsabgeordneter Igor Miroschnitschenko den Chef des staatlichen Fernsehens in der vergangenen Woche mit Schlägen zum Rücktritt zwang.

Mit solchem Personal kann die Versöhnung des nationalukrainischen Westens und russlandfreundlichen Ostens nicht gelingen. Das sieht der Regierungschef jedoch nicht ein - er hält an der Koalition mit den Nationalisten fest. Jazenjuk beurteilt die Lage außerdem unrealistisch: So spricht er in der Botschaft an die Ostukrainer davon, bei ihnen gebe es nur "künstliche Konflikte", die von "äußeren Kräften" geschürt würden - gemeint ist Russland.

Regierung gegen Föderalismus

In der Tat - die Führung in Moskau ermuntert zweifellos etwa im Staatsfernsehen die russischen Kräfte. Doch es sind Ukrainer, die zu Zehntausenden gegen die Regierung auf die Straße gehen.

Die im Osten immer lauter werdende Forderung nach einer neuen föderalen Ordnung des Landes ist aus Sicht Jazenjuks nur ein Schachzug Moskaus: "Mehr Föderalismus ist der erste Schritt, um die ukrainische Souveränität zu zerstören", sagte er der "Süddeutschen Zeitung".

Das Problem des Premiers aber ist: Föderalismus etwa nach deutschem Vorbild könnte er, selbst wenn er wollte, mit seinem rechtextremen Koalitionspartner Swoboda nicht durchsetzen. Die neue "Nationalgarde", zu der Jazenjuk die jungen Ukrainer ruft, spaltet die Nation. Denn die Garde wird zum Sammelbecken von Nationalisten vor allem aus dem Westen des Landes. Im russischsprachigen Odessa begrüßten junge Demonstranten die Truppe mit dem Ruf "Verräter!"

So treibt die Kiewer Führung das Land auf den Weg in einen Bürgerkrieg. Im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt weiß man inzwischen, welche Risiken die Politik der ukrainischen Übergangsregierung in sich birgt. Dort kursiert ein achtseitiges Dossier aus der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit dem Titel "Die Ukraine inmitten der Krise" . Die Analyse stellt den totalen Vertrauensverlust der Kiewer Führung im Osten des Landes fest und warnt, es gebe "kaum Vertreter in der Regierung, mit denen sich die Mehrheit der Bewohner der östlichen und südlichen Regionen identifizieren kann".

Präsidentenwahlen fraglich

Die Regierung, heißt es in dem Dossier, habe "verheerende Botschaften an die Bewohner der östlichen Regionen" gesandt und als Folge in diesen Gegenden "kaum Einfluss". Durch die Ernennung von Oligarchen zu Gouverneuren im Osten, so die Analyse, untergrabe die Regierung ihre Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit.

Die Autoren der Studie bezweifeln, ob die für den 25. Mai angekündigten Präsidentenwahlen stattfinden können. Sie halten es für fraglich, ob es der Regierung gelingen werde, "ein Maß an Stabilität zu gewährleisten, das ausreicht, die Wahl ordnungsgemäß durchführen zu können".

Das Dossier der vom Bundeskanzleramt mitfinanzierten Stiftung ist diplomatisch formuliert. Doch es zieht das Fazit eines Fiaskos. Die Autoren analysieren treffend, dass Russlands Präsident Wladimir Putin "um jeden Preis eine Konsolidierung der einen ukrainischen Regierung zu verhindern sucht".

Nur ersparen die Autoren ihren Lesern die logische Schlussfolgerung: Dass die Regierung in Kiew, ein Konglomerat aus pragmatischen Dilettanten, dubiosen Oligarchen und hemmungslosen Ultranationalisten, die Ukraine nicht stabilisieren kann. Und dass sie damit unweigerlich zum Scheitern verurteilt ist.

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