Kiews Mauerbau-Pläne Grenzwertige Kalkulation

Ukrainischer Soldat in Grenzregion zu Russland: Mauern gegen den Feind
Foto: ANATOLII STEPANOV/ AFPWer in der Ukraine der Ansicht ist, es sei Zeit, eine Mauer an der Grenze zu Russland zu bauen, kann im Internet Gleichgesinnte finden. Eine Bürgerinitiative sucht Freiwillige für den Arbeitseinsatz, mehr als 10.000 Ukrainer sind einer Facebook-Gruppe bereits beigetreten. Es gibt auch eine Webseite, sie heißt bezeichnender Weise "Ukrainische Idee", das lässt vermuten, dass der militärische Nutzen des Grenzwalls für die Initiatoren womöglich nur zweitrangig ist.
Die Regierung in Kiew hat in dieser Woche medienwirksam mit den Bauarbeiten des Projekts "Stena - Mauer" begonnen. TV-Sender zeigten Bilder von Arbeitern mit Drahtrollen. 8000 Militärstellungen sollen die Ukraine in Zukunft vor Moskauer Übergriffen schützen, dazu Befestigungsanlagen entlang der 2000 Kilometer langen Grenze zu Russland. Farbige Simulationen zeigen ein System von Stacheldrahtsperren, Wassergräben und mehreren Zäunen, nebst Straße für Grenzpatrouillen. Präsident Petro Poroschenko - vor den Parlamentswahlen Ende Oktober bereits erkennbar im Wahlkampfmodus - versprach Befestigungsanlagen "nach dem neuesten Stand der modernen Verteidigungswissenschaft".
Das steht in einem gewissen Widerspruch zu der bislang einzigen verfügbaren Kostenkalkulation für das Projekt. Sie stammt von Igor Kolomoisky, er ist Gouverneur der Großstadt Dnipropetrowsk und Milliardär, ein Mann, der eigentlich korrekt kalkulieren können sollte. Kolomoisky hat von 100 Millionen Euro gesprochen, das entspricht Ausgaben von 50 Euro pro Meter, eine Summe für die Kolomoisky in Dnipropetrowsk womöglich ein Blumenbeet anlegen lassen könnte, aber keine Grenzfestung.
Die Mauer ist viel zu teuer
Laut Premierminister Arsenij Jazenjuk verfüge Kiew zwar über eigene Mittel für den ersten Bauabschnitt. Weitere Gelder erwägt er, bei Gebern im Westen einzuwerben. Den tatsächlichen Finanzierungsbedarf für das Projekt schätzen Experten allerdings viel höher, als die von Kolomoisky taxierten 100 Millionen Euro. Nikolaj Sungurowsky vom Kiewer Thinktank Rasumkow-Zentrum schätzt die Kosten für eine Grenzanlage nach dem Vorbild Israels auf mehrere Milliarden Euro. Kiew brauche das Geld aber dringend für wichtigere Zwecke, für den Wiederaufbau der Armee und Wirtschaftsreformen.
Die Bauarbeiten sind kompliziert
Die Grenze zwischen Russland ist nicht nur lang, sie ist auch unübersichtlich. An vielen Stellen ist sie nie formal markiert worden. Zwischen Luhansk und der Küste hat Kiew zudem die Kontrolle über die Grenze zu Russland verloren. Die Separatisten werden die Errichtung einer Mauer nicht dulden. Im Gegenteil: Sie wollen ja den Anschluss an Russland. Selbst wenn es Kiew gelänge, den Zaun um die Separatistengebiete herum zu bauen: Die Arbeiten würden wohl Jahre, nicht Monate in Anspruch nehmen, wie die Regierung beteuert.
Der Schutzwall ist militärisch nutzlos
Die Regierung in Kiew will "die ukrainische Grenze schnellstens vor dem Aggressor schließen". Dafür sind Sperren wie die von der Ukraine geplante nicht geeignet. "Solche Anlagen stoppen illegale Einwanderer, Migranten und Terroristen, aber sie helfen nicht gegen bewaffnete Kräfte", sagt Experte Sungurowsky. Reguläre Verbände der russischen Armee könnten die Sperranlagen leicht durchbrechen, schwer bewaffnete russische Freischärler wohl auch. Waffenlieferungen an die Separatisten im Osten könnten per Luft aus Russland erfolgen, in Luhansk kontrollieren die Rebellen den Flughafen. "Militärisch", sagt Sungurowsky, "ist die Mauer nicht von Nutzen."
Politisch aber vielleicht schon. Experte Sungurowsky spricht von einem "psychologischen Effekt", der Mauerbau würde den Bruch mit dem slawischen Brudervolk Russland zementieren, genauso wie Kiews Wende nach Westen. Bei den Parlamentswahlen im Oktober kämpft Präsident Petro Poroschenko zudem um eine breite Mehrheit, um Reformen durchsetzen zu können. Der Kreml hat ihm mit der verdeckten Entsendung russischer Soldaten in der Ostukraine eine Niederlage beigebracht. Jetzt wollen Poroschenko und sein Premierminister Arsenij Jazenjuk Härte gegenüber Moskau zeigen. Der Politologe Denis Bogusch nennt die Mauerpläne deshalb auch eine "PR-Kampagne".
Eine ziemlich teure - Geld, das die klamme Ukraine eigentlich gar nicht hat.
