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Obama und Merkel zur Ukraine Noch ein bisschen Geduld

Waffenlieferungen an die Ukraine? Oder Russland eine weitere Chance geben? Beim Besuch der Kanzlerin in Washington zeigten sich die Gegensätze zwischen Europa und den USA. Und dann doch gemeinsamer Wille.

Was haben der Nahostkonflikt, der Streit um das iranische Atomprogramm und der Krieg in der Ostukraine gemeinsam? Wenn man Angela Merkel glaubt, dann das Gefühl, die Sache ziehe und ziehe sich, scheinbar ohne jedes Ende.

Meint die Kanzlerin ihre Vergleiche in der Pressekonferenz mit US-Präsident Barack Obama an diesem Montag ernst, wird man sich im Streit mit Russland auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte der kleinen Fortschritte und ebenso großen Rückschläge einstellen müssen - und zugleich darauf, nichts anderes tun zu können, als es trotzdem immer wieder neu zu versuchen.

Diese Botschaft wollte die Kanzlerin unbedingt in Washington platzieren, wo die Stimmen beständig lauter werden, die eine andere, eine militärische Gangart im Streit mit Russland fordern, Waffenlieferungen an die Ukraine nämlich. "Es wird ein sehr langer Prozess", mahnte Merkel und zog eben jenen Vergleich zur amerikanischen Iran-Politik. Wie es der Zufall will, findet sich Obama da in ähnlicher Lage wieder, in der Merkel im Fall Ukraine steckt: Der US-Präsident muss die Hardliner im Senat - Republikaner sowie vereinzelte Demokraten - immer wieder um Geduld für neue Verhandlungsanläufe bitten.

"Wir müssen es noch und noch einmal versuchen", wiederholte Merkel, und Obama war so höflich, ihr öffentlich nicht zu widersprechen, was er hinter den verschlossenen Türen des Oval Office im Weißen Haus getan haben dürfte. Ihm genügte es, vor den Journalisten darauf zu verweisen, dass bei einem Scheitern der anstehenden Gespräche Merkels mit Russlands Präsident Wladimir Putin, "alle anderen Optionen geprüft würden". Darunter natürlich auch die, sogenannte defensive Waffen an die ukrainische Armee zu liefern, damit sie sich besser gegen die von Moskau gut ausgerüsteten Rebellen wehren kann.

Merkel macht den Punkt

Er habe sich, sagt Obama, noch nicht entschieden in dieser Frage. Von einer "fortwährenden Analyse" ist die Rede. Damit gewährt ihr der Präsident, der schon kurz nach Beginn der Krise im vergangenen Jahr der Kanzlerin die Führung überlassen hatte, ein weiteres Mal Aufschub für den neuerlichen diplomatischen Versuch. Es entspricht ja auch seiner eigenen Auffassung von Außenpolitik: So wenig amerikanische Alleingänge wie nur möglich.

Im Umgang mit Russland geht es um Geduld, diesen Punkt macht Merkel in Washington. Und Obama akzeptiert das, vorerst.

Schon jetzt ist der Druck auf den Präsidenten aus dem US-Kongress, aus dem Verteidigungs- und Außenministerium allerdings gewaltig, die von der Ukraine angeforderten Waffen zu liefern, um so die Kosten für Putin zu erhöhen. Verbreitet ist die Meinung, dass Putin nur auf Härte reagiere; dass er nur dann zurückzucken werde, wenn die Ukraine keine leichte Beute mehr sei. Die Amerikaner sehen Putin als einen Spieler, der seine Grenzen austestet. Gibt man ihm zu sehr nach, greift er nach dem nächsten Stein auf dem Spielbrett. Das könnten dann die baltischen Staaten sein.

Der Haken an dieser Strategie: Putin könnte gleich doppelt profitieren. Erstens würden mehr Waffen mehr Tote im Osten der Ukraine bedeuten, die Wunden würden tiefer, Aussöhnung immer schwieriger. Putin hätte mit dieser dauerhaften Destabilisierung des Nachbarlandes eines seiner zentralen Ziele erreicht. Und zweitens drohte bei US-Waffenlieferungen die Spaltung des Westens. Genau darauf legt es Putin seit Monaten an.

Geduld und Hintertüren

Wie bewusst Obama und Merkel die Gefahr der Spaltung ist, zeigen ihre Versuche, sich am Montag öffentlich und gegenseitig so viel Spielraum wie möglich einzuräumen. Für die Deutsche ist das noch ein bisschen schwieriger als für den Amerikaner, weil Merkel oft in der politischen Kategorie der Alternativlosigkeit denkt, während US-Politiker sich traditionell viele Optionen offenzuhalten suchen.

Obama also übt sich in der merkelschen Geduld, während ihm die Kanzlerin eine Hintertür für Waffenlieferungen offen lässt. Sie macht das, indem sie das Problem umdeklariert zu einem Nicht-Problem. Das geht so: Zuerst sagt Merkel, ihre Meinung zu Waffenlieferungen sei ja bekannt, also ablehnend. Dann fügt sie hinzu, man könne davon ausgehen, dass die Allianz zwischen Europa und den USA "in jedem Falle" fortbestehe, "egal ob es unterschiedliche Meinungen gibt". Merkel versucht so, die Spaltungsdebatte zu entkräften.

Und zum Schluss, da hat sie auch noch einen Vergleich parat, der mehr Hoffnung macht als Nahostkonflikt und Iran-Verhandlungen. Was haben also der Ukraine-Konflikt und die deutsche Einheit gemeinsam? Laut Merkel, dass eine Zeit lang niemand mehr glaubte, es würde sich jemals etwas nennenswert zum Besseren bewegen. Dann, nach 28 Jahren, fiel die Mauer.

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