
Krise in der Ukraine: Kampf dem Kompromiss
Proteste in Kiew Radikale stellen Janukowitsch Ultimatum
Kiew - Aufgebrachte Demonstranten in Kiew haben die Einigung der Opposition mit der Regierung am Freitagabend abgelehnt. Dmitrij Jarusch, Anführer der radikalen Splittergruppe Rechter Sektor, kündigte auf dem Maidan an, die Waffen nicht niederzulegen, bevor Präsident Wiktor Janukowitsch nicht zurücktrete.
Nationalistische Aktivisten bekamen Applaus für ihre Ankündigung, am Samstagvormittag das Präsidialamt zu stürmen, falls Janukowitsch bis dahin nicht gegangen sein sollte. Tausende Demonstranten auf dem Maidan riefen "Tod dem Verbrecher!"
Der Präsident soll Medienberichten zufolge am Freitagabend die Hauptstadt Kiew verlassen haben. Der Staatschef sei mit einem engen Kreis Vertrauter zunächst in die ukrainische Stadt Charkow geflogen, berichtete das Internetportal der Zeitung "Serkalo Nedeli" unter Berufung auf Funktionäre . Auch andere Medien berichteten darüber und beriefen sich auf jeweils eigene Kontakte in der Präsidialverwaltung. Demnach habe Janukowitsch persönliche Dinge aus seiner Residenz abholen lassen.
In der Nacht von Freitag zu Samstag bestätigte auch ein ranghoher US-Diplomat die Abreise des ukrainischen Präsidenten nach Charkow, berichtet die Nachrichtenagentur AFP. Janukowitsch sei dort bereits eingetroffen. Der Vertreter der Regierung in Washington sagte, es sei "nicht ungewöhnlich", dass der Staatschef nach einer wichtigen politischen Entscheidung den Osten besuche, wo er seine "Basis" habe.
In Charkow ist an diesem Samstag ein Kongress der regierenden Partei der Regionen geplant. Daran könnte Janukowitsch teilnehmen wollen. Der Ex-Sowjetrepublik könnte im Ernstfall eine Spaltung drohen. Die Partei hatte bereits 2004 über eine Abspaltung vom proeuropäischen Westen des Landes diskutiert.
Pfiffe gegen Klitschko
Bei Zusammenstößen auf dem Unabhängigkeitsplatz und vor dem Parlament waren nach Regierungsangaben seit Dienstag 67 Demonstranten und zehn Polizisten getötet worden (lesen Sie hier die Entwicklung am Freitag im Minutenprotokoll). Ärzte aus dem Oppositionslager sprachen von fast 100 Todesopfern. Am Freitag unterzeichneten Janukowitsch und die drei wichtigsten Oppositionsführer, darunter Vitali Klitschko, ein Übergangsabkommen, das Präsidentschaftswahlen bis Jahresende, die Einsetzung einer Übergangsregierung sowie eine Verfassungsreform vorsieht, die die Macht des Präsidenten dauerhaft beschneidet.
Vielen auf dem Maidan reicht das nicht. Als Klitschko die Entwicklungen des Tages als "sehr wichtig" beschrieb, brach die Menge in ein Pfeifkonzert aus. Er entschuldigte sich später dafür, Janukowitsch die Hand gegeben zu haben. Die Geste stieß auch anderen Demonstranten übel auf. "Wir werden Klitschko und den anderen nicht folgen", sagte ein Demonstrant. "Sie haben einem Verbrecher die Hand geschüttelt und mit dem Teufel getanzt."
Zwar war die Lage in Kiew am Abend relativ ruhig, die Stadt schien schrittweise zum normalen Leben zurückzukehren, und auch der U-Bahn-Verkehr lief wieder an. Doch gleichzeitig wappneten sich radikale Regierungsgegner für mögliche neue Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften. In einem improvisierten Lager hielten sie Hunderte Glasflaschen und Benzinfüllungen für Molotow-Cocktails bereit. Derartige Brandbomben waren in den vergangenen Tagen wiederholt auf Polizeikräfte geschleudert worden.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der maßgeblich an dem Kompromiss von Kiew beteiligt war, sagte am Freitagabend nach seiner Rückkehr: "Wir wollen uns nicht zu früh freuen." Es sei eine Rahmenvereinbarung getroffen worden, die jetzt durch die Politik ausgefüllt werden müsse. Der SPD-Politiker fügte hinzu, er sei jedoch zufrieden, dass offenbar auch die Führung in der Ukraine erkannt habe, dass die Eskalation der Gewalt keine Lösung ist. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sah nach den Verhandlungen eine vorsichtige, letzte Chance, nun zu einem politischen Prozess zu kommen.