

Kiew/Washington/Berlin - Der Appell des ukrainischen Oppositionspolitikers Vitali Klitschko war anscheinend nicht mehr notwendig. Er forderte am Donnerstag einen stärkeren internationalen Druck auf Präsident Wiktor Janukowitsch. Der Westen reagiert nämlich bereits schärfer als bislang auf die Gewalt in Kiew: Die USA drohten der Führung um Janukowitsch mit Sanktionen, wenn die anti-demokratischen Gesetze, die kürzlich in der Ukraine verabschiedet wurden, nicht wieder zurückgenommen würden.
Das Parlament in Kiew hatte das umstrittene Gesetzespaket zur Beschneidung des Demonstrationsrechts vergangene Woche verabschiedet, Janukowitsch setzte es per Unterschrift in Kraft. Jay Carney, Sprecher von Präsident Barack Obama, forderte die Regierung in Kiew auf, die "legitimen" Beschwerden der Bevölkerung anzuerkennen. Das Weiße Haus verurteilte die Gewalt in der Ukraine, die in den vergangenen Tagen massiv zugenommen hat.
Regierungsgegner demonstrieren seit Monaten gegen Janukowitsch. In den vergangenen Tagen waren die Proteste eskaliert. Bei den Zusammenstößen gab es nach Angaben der Opposition neben fünf Toten auch 1700 verletzte Demonstranten.
Merkel und Barroso telefonierten mit Janukowitsch
Auch Kanzlerin Angela Merkel setzte Janukowitsch unter Druck. Sie forderte ihn auf, die Einschränkung der Bürgerrechte in seinem Land aufzuheben. Die Kanzlerin habe am Donnerstagnachmittag mit Janukowitsch telefoniert, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Abend in Berlin mit. Dabei habe sie an den Präsidenten appelliert, "mit der Opposition einen ernsthaften Dialog zu führen und zu greifbaren Ergebnissen zu kommen". In der Stellungnahme Seiberts hieß es weiter: "Dazu gehörten die Überprüfung und Rücknahme von im Eilverfahren verabschiedeten Gesetzen, mit dem die Bürgerrechte eingeschränkt worden seien". Die Kanzlerin sei bestürzt über die "jüngsten Gewaltausbrüche" in Kiew und verurteile diese. Es liege in der Verantwortung des Staates, die freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlungen zu schützen.
Bislang hat es jedoch keine Annäherung zwischen der ukrainischen Führung und der Opposition gegeben. "Das Regime Janukowitsch hat mit Terror gegen das eigene Volk begonnen", sagte Klitschko nach Angaben seiner Partei Udar (Schlag). "Menschen kommen um, Aktivisten verschwinden, Verletzte werden aus Krankenhäusern entführt", sagte der Ex-Boxweltmeister.
Premier Asarow: Keine vorzeitige Präsidentenwahl
Janukowitsch spielt auf Zeit. Eine "rasche" Sondersitzung des Parlaments solle über die Forderungen der Opposition und einen Rücktritt der Regierung von Premier Nikolai Asarow beraten. Das kündigte Parlamentschef Wladimir Rybak nach einem Treffen mit Staatschef Janukowitsch an. Im Parlament, der Obersten Rada, hat das Regierungslager eine breite Mehrheit.
In einem Telefonat versicherte Janukowitsch einem EU-Sprecher zufolge Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, zum politischen Dialog bereit zu sein. Am Freitag wird Erweiterungskommissar Stefan Füle in Kiew erwartet.
Gänzlich unversöhnliche Töne schlug dagegen Ministerpräsident Asarow an. Er sprach von dem Versuch eines Staatsstreichs durch die Demonstranten, wie russische Nachrichtenagenturen Asarow zitierten. Angesichts der Gewalt sei es "absolut unrealistisch" die für 2015 geplante Präsidentenwahl vorzuziehen. Pläne für die Ausrufung des Notstands gebe es nicht, sagte er Reuters beim Weltwirtschaftsforum in Davos. "Bringen Sie die Regierung jedoch nicht in eine ausweglose Lage", warnte er.
Zum Abschluss der Koalitionsklausur in Meseberg hatte Merkel am Donnerstag Mittag Sanktionen ausgeschlossen. "Wir erwarten von der ukrainischen Regierung, dass sie die demokratischen Freiheiten - insbesondere die Möglichkeiten zu friedlichen Demonstrationen, sichert", sagte die Kanzlerin. Die Regierung müsse das Leben der Menschen schützen und die Anwendung von Gewalt verhindern.
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Gegner der Regierung harren in eisiger Kälte auf einer Barrikade in Kiew aus.
Bedrohliche Stimmung: Über dem Protestlager in Kiew lag schwarzer Rauch von brennenden Autoreifen.
Bei eisiger Kälte kam es in Kiew zunächst vereinzelt zu Zusammenstößen. Dann vereinbarten beide Seiten einen "Waffenstillstand". Die Barrikaden in der Stadt sind wortwörtlich eingefroren.
Ein Demonstrant zeigt Überreste von Munition, die angeblich von der ukrainischen Polizei benutzt worden war.
Weiße Fahne auf dem Maidan: Es gibt Hoffnungen auf Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. Doch in den Trümmern des tagelangen Straßenkampfs rüsten sich die Demonstranten für die nächsten Schlachten mit der Polizei.
Ein Sinnbild des Dramas, das sich gerade im Zentrum von Kiew zuträgt: Durch das ausgebrannte Gerippe eines Busses sind die eng geschlossenen Reihen der Polizisten mit ihren Schilden zu sehen. Für einen Augenblick herrscht Ruhe auf dem Maidan.
So sah es in der Nacht zu Donnerstag auf dem Maidan aus: Die Regierungsgegner in Kiew wollen der drohenden Räumung ihres Protestlagers vorbeugen - und lassen ihre Barrikaden brennen. Tausende Menschen harrten auf dem Maidan aus, sie verstärkten die Barrikaden rund um den Unabhängigkeitsplatz.
Einige gewaltbereite Demonstranten warfen Molotow-Cocktails und Steine und setzten Reifen in Brand.
Über der Innenstadt von Kiew steht dichter schwarzer Rauch, immer wieder liefern sich Regierungsgegner Scharmützel mit Sicherheitskräften.
Die Demonstranten haben die Barrikaden in der Nacht durch Säcke verstärkt, die mit Schnee gefüllt sind. Die Zugänge des Protestlagers wurden verengt und von Aktivisten bewacht.
Oppositionsführer Vitali Klitschko hat seine Anhänger zum Widerstand gegen Präsident Wiktor Janukowitsch aufgerufen. Er sei überzeugt, "dass in den nächsten Tagen so viele Menschen wie noch nie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der Ukraine auf die Straße gehen".
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