Kämpfe in der Ukraine Angst vor Putins Schattenarmee

Der ukrainische Präsident Poroschenko spricht von einem "richtigen Krieg" mit Russland. Das ist wahr und falsch. Der Kreml schickt zwar Waffen und Soldaten - unterstellt sind die aber den Separatisten.
Prorussische Rebellen an der Front in Olenivka, Donezk: Vorbereitungen für groß angelegte Offensiven

Prorussische Rebellen an der Front in Olenivka, Donezk: Vorbereitungen für groß angelegte Offensiven

Foto: Luca Piergiovanni/ dpa

Es gibt im Englischen den Begriff des "Blame Game", auf Deutsch lässt er sich mit "Schwarzer-Peter-Spiel" übersetzen: Zwei Parteien schieben sich die Schuld zu für ein Ärgernis, einen Fehler - oder einen Krieg.

In der Ukraine-Krise lässt sich gerade eine verschärfte Form des "Blame Game" beobachten: Kiew und Moskau bezichtigen sich der Kriegstreiberei - noch bevor die Kämpfe wieder in voller Heftigkeit entflammt sind. Beide Seiten beschuldigen sich, Vorbereitungen für groß angelegte Offensiven zu treffen und damit endgültig das Minsker Abkommen zu brechen, das einen Waffenstillstand vorsah.

Man komme "ungeachtet der Beteuerungen Kiews und Washingtons zu dem Eindruck, dass die Ukraine sich auf neue Kampfhandlungen vorbereitet", meldete Russlands Staats-TV am Dienstag zur besten Sendezeit. In Kiew gebe es eine "Partei des Krieges" mit Interesse an einer militärischen Eskalation, weil das die Wirtschaftsprobleme überspiele.

Die ukrainische Armee verlor am Dienstag bei Schusswechseln drei Mann nahe Luhansk. Der Konflikt schwelt, die Konfliktparteien bereiten sich vor auf den Tag, an dem der Krieg wieder voll entflammt. Wen wird die internationale Gemeinschaft dann für den Bruch des Minsker Waffenstillstandsabkommens verantwortlich machen, auf wen den Druck erhöhen? Es ist ein proaktives Schwarze-Peter-Spiel.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sagte der BBC, Moskau bereite eine neue Offensive vor. Sein Land müsse "bereit" dafür sein. Im Übrigen wolle er mal klar stellen: "Das ist kein Kampf gegen von Russland unterstütze Separatisten, das ist ein richtiger Krieg mit Russland."

Für die Ukraine steht viel auf dem Spiel: Sie muss den Westen überzeugen, Hilfe zu verdienen. Wenn Kiews Gegner die übermächtigen russischen Streitkräfte sind, dürfte das leichter fallen. Allerdings beherrscht auch Poroschenkos Widersacher die Regeln dieses Spiels. Russlands Präsident Wladimir Putin spottet, den Ukrainern sei es wohl peinlich, dass sie "ehemaligen Bergleuten und Traktorfahrern unterliegen".

Russlands Rolle ist schwer zu fassen

Poroschenko hat mit seiner Aussage über den "richtigen Krieg" mit Russland Recht und Unrecht zugleich. Einerseits ist Moskaus militärische Beteiligung inzwischen gut belegt: Russland schickt Soldaten und Panzer. Sie werden aber in der Regel in Verbände der Separatisten integriert. Deshalb bleibt die Rolle des Kreml schattenhaft und schwer zu fassen.

Kiew untermauert seine Position mit dem Verweis auf zwei russische Gefangene. Beide wurden vor Kurzem bei einem Gefecht in der Nähe von Luhansk von Ukrainern gefangen genommen. Die ukrainische Führung verbreitet Befragungen und Verhörprotokolle - übersetzt auf Englisch und Deutsch, damit sie von westlichen Journalisten auch sicher verstanden werden. Die Russen geben sich darin als Angehörige der 3. Gardebrigade aus der Wolgastadt Toljatti zu erkennen. Die 3. Brigade gehört zu Russlands Spezialeinheiten und untersteht dem Militärgeheimdienst GRU.

Auch die Militärausweise wurden öffentlich gezeigt. Das brachte Russlands Verteidigungsministerium beim Dementi etwas ins Schlingern: Ja, die beiden hätten zwar eine "militärische Ausbildung", seien aber aus dem Dienst ausgeschieden. Nur wann genau sie ihre Kündigung eingereicht haben wollen, ließ das Ministerium offen.

Seit Langem mehren sich die Hinweise, dass Russland Soldaten in diesen Krieg schickt, den es der Ukraine gleichwohl nie offiziell erklärt hat. Wie das geschieht, beschrieb vor Kurzem die Moskauer Tageszeitung "Kommersant": Ein Reporter hatte im Donbass drei junge Militärs aufgespürt. Sie hatten auf Druck der Vorgesetzten vor dem Aufbruch in die Ukraine Kündigungsgesuche eingereicht. "Wenn jemand von ihnen ganz großes Pech hatte, dann hatte dieses Pech ein Freiwilliger, der zum Zeitpunkt seines Todes mit jenem Truppenteil und jener Brigade absolut nichts am Hut hatte", schrieb der Kommersant.

Mancher Soldat sperrt sich dagegen. So liegt dem Verein "Soldatenmütter" eine Liste von neun Männern vor, die ihren Dienst quittierten, um nicht in die Ukraine geschickt zu werden. Sie gehörten der 4. Gardepanzer Division an, einer Elitetruppe, die im Moskauer Umland stationiert ist. "Die "Soldatenmütter" haben Anfragen an 18 Einheiten geschickt, die von Medien in Verbindung mit dem Ukraine-Einsatz gebracht wurden. 17 lehnten eine Stellungnahme ab. Eine meldete sechs Tote im Vergleich zu null im Vorjahr. Wie die Soldaten ums Leben kamen, wurde nicht genannt.

Die "Volksrepubliken" im Donbass verfügen inzwischen über Panzer, die selbst die Ukraine nie besessen hat und die nur aus russischen Depots stammen können. Ein verletzter Panzerfahrer - eigentlich stationiert in Sibirien - berichtete so etwa der Kreml-kritischen Zeitung "Nowaja Gaseta", wie seine Kameraden vor der Abfahrt in die Ukraine Nummern und Erkennungszeichen übermalten.

Das Vorgehen ist eine Konstante im Konflikt in der Ostukraine: Moskau will zwar eine militärische Niederlage der Separatisten um (fast) jeden Preis verhindern. Zugleich müht sich der Kreml aber auch, sein militärisches Engagement unterhalb der Schwelle zu halten, oberhalb derer nicht nur Poroschenko von einem "richtigen Krieg" sprechen würde, sondern auch der Westen.

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