Ukraine Polizei in Kiew zieht sich vom Unabhängigkeitsplatz zurück
Kiew - Die Lage vor dem Rathaus im Zentrum von Kiew hat sich wieder etwas entspannt. Spezialeinheiten der Polizei zogen sich zurück. Sie haben sich auch vom Unabhängigkeitsplatz entfernt. Mehrere Einheiten räumten Positionen auf dem Platz, auf dem die Demonstranten seit Tagen kampieren.
Auf dem Platz waren am Mittag etwa 10.000 Demonstranten versammelt - trotz eisiger Kälte von minus 8 Grad und Schnee. Regierungsgegner sprachen Gebete und sangen Lieder, andere verstärkten Barrikaden. Die Europa-Beauftragte des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, verteilte Kekse und Brot an Regierungsgegner und Polizisten. "Wir haben gesiegt, denn unser Wille war stärker", sagte der Oppositionspolitiker und Boxweltmeister Vitali Klitschko.
Die Sicherheitskräfte hatten am vormittag ihre Taktik geändert, nachdem sie in der Nacht zum Mittwoch das besetzte Kiewer Rathaus stürmen wollten. Etwa 150 Sicherheitskräfte waren in der Dunkelheit in vier Autobussen vor das Gebäude gefahren. Es wird seit Sonntag von zum Teil gewaltbereiten Nationalisten besetzt. Die Polizei blockierte am Mittwochmorgen den Zugang. Allerdings nicht lange, denn die Fahrzeuge wurden von Tausenden Demonstranten umzingelt, berichtet SPIEGEL-ONLINE-Korrespondent Benjamin Bidder.
In Kiew gab es am Mittwochmorgen auch an anderen Orten heftige Auseinandersetzungen:Spezialeinheiten waren in der Nacht auf den Unabhängigkeitsplatz vorgerückt, sie hatten Demonstranten weggedrängt und Barrikaden entfernt. Sie kamen aber nicht bis zur Mitte des Maidan. Immer mehr Menschen strömten am Morgen auf den Platz, sie zeigten sich kämpferisch, wie Korrespondent Bidder berichtet.
Beim Rathaus hatten Hunderte Sicherheitskräfte Schlagstöcke eingesetzt. Die Demonstranten hatten sich mit Knüppeln gewehrt und mit Feuerlöschern Wasser aus dem besetzten Gebäude gespritzt. Wegen eisiger Temperaturen von etwa minus neun Grad Celsius gefror das Wasser.
Vor dem Gewerkschaftshaus, in dem die Opposition ihr sogenanntes Stabquartier des nationalen Widerstands eingerichtet hat, errichteten die Regierungsgegner am frühen Mittwoch Barrikaden, sie wollten eine Erstürmung des Gebäudes - auch einzelner Etagen - verhindern. Ein Trupp von 300 Nationalisten versuchte in Kiew in der Nacht, Polizisten anzugreifen.
Laut dem Führer der nationalistischen Swoboda-Partei, Oleg Tjagnibok, wurden mehrere Demonstranten verletzt und mindestens elf festgenommen. Zehn Sicherheitskräfte sind nach offiziellen Angaben verletzt worden.

Die internationale Kritik an dem Einsatz der Sicherheitskräfte wächst - unter anderem übten die USA und die EU scharfe Kritik an dem Vorgehen der Regierung von Präsident Wiktor Janukowitsch.
Diese versuchte am Mittwoch zu deeskalieren. Es werde keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten geben, sagte Regierungschef Nikolai Asarow. Die Polizei habe lediglich Wege von Barrikaden freigeräumt. Innenminister Witalij Sachartschenko betonte, dass es keine Räumung des Platzes der Unabhängigkeit geben werde. "Ich möchte alle beruhigen - der Maidan wird nicht erstürmt."
Das Innenministerium hatte noch am Mittwochmorgen mit einem harten Durchgreifen gegen die Demonstranten gedroht. Jeder Widerstand werde als versuchte Organisation von Massenunruhen eingestuft.
Der Oppositionspolitiker und Boxweltmeister Vitali Klitschko forderte den sofortigen Rücktritt des prorussischen Präsidenten Janukowitsch. Klitschkos Partei Udar teilte mit, dass in der Nacht zehn Demonstranten festgenommen worden seien. Der Fernsehsender 5. Kanal sprach von mindestens einem Schwerverletzten.
In den vergangenen Tagen demonstrierten zeitweise Hunderttausende Menschen in Kiew gegen Janukowitsch. Sie fürchten, dass der Präsident die Ukraine in eine von Russland dominierte Zollunion führen will und damit eine Annäherung an die EU verhindert. Der Staatschef hatte im November die Unterzeichnung eines über mehrere Jahre ausgehandelten Freihandelsabkommen mit der EU überraschend abgelehnt.

Karte: Proteste in Kiew
Foto: SPIEGEL ONLINE