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Russischer Konvoi: Putins weiße Karawane

Foto: Rogulin Dmitry/ dpa

Russischer Hilfskonvoi in der Ukraine Putins taktischer Punktsieg

Ohne Erlaubnis ist der russische Hilfskonvoi nach Tagen an der Grenze in die Ukraine eingefahren. Die Lastwagen dienen vor allem als Instrument im Propagandakrieg zwischen Kiew und Moskau. Diese Schlacht hat die Ukraine verloren.

Es ist wohl kein Zufall, dass die Welt diese Bilder ausgerechnet an diesem Freitag sieht - einen Tag vor Angela Merkels Reise nach Kiew, wenige Tage vor dem vielleicht entscheidenden Treffen zwischen den Präsidenten Wladimir Putin und Petro Poroschenko: 287 russische Lastwagen mit Hilfsgütern rollen über ukrainisches Territorium und werden von den Menschen am Zielort Luhansk dankbar empfangen. Moskau hat damit ein Zeichen gesetzt.

Seit die Lastwagenkolonne vor zehn Tagen losrollte, wollte die ukrainische Regierung diese Bilder wohl verhindern - weil sie tatsächlich in die Irre führen: Ohne Moskaus tatkräftige Unterstützung für die prorussischen Kämpfer im Osten der Ukraine hätte es diesen Krieg nie gegeben, es wäre also die Notwendigkeit für humanitäre Hilfskonvois nie entstanden. Dass Russland sich der Welt nun als humanitärer Wohltäter präsentieren will, ist zynisch. Doch es fügt sich ein in eine größere Strategie.

Schon seit Wochen versuchen russische Medien und Politiker, die Beurteilung des Konfliktes in der Ukraine auf die menschliche Ebene zu heben. Seit Anfang August beklagt der russische Vertreter bei der Uno, Witalij Tschurkin, eine "humanitäre Katastrophe" in der Ostukraine. Auch Präsident Putin sprach in seinem jüngsten Telefongespräch mit Kanzlerin Merkel davon. Die Botschaft: Die Lage für die Zivilbevölkerung ist so schlimm, dass ein bedingungsloser Waffenstillstand und der Übergang zu einem politischen Friedensprozess notwendig sind.

Die Ukrainer haben daran kein Interesse. Im August erzielte die ukrainische Armee bedeutende militärische Erfolge gegenüber den prorussischen Kämpfern, manche Beobachter vermuteten sogar, die Armee wolle den Osten bis zum ukrainischen Unabhängigkeitstag an diesem Samstag befreien. Ein Waffenstillstand, wie ihn Russland fordert, käme in dieser Situation einer Niederlage gleich.

Dass die Zivilbevölkerung im Osten der Ukraine unter den Kämpfen leidet, steht außer Frage. Am kritischsten ist die Lage momentan zweifellos in der Großstadt Luhansk. Große Bereiche sind dort seit Wochen ohne fließendes Wasser und Strom. Internationale Organisationen wie Human Rights Watch und das Internationale Rote Kreuz (IRK) beklagen die kritische Situation: Das IRK etwa spricht in seinem jüngsten Bericht von einem "dringenden Bedarf an Essen und medizinischen Gütern" - von einer Katastrophe ist jedoch keine Rede.

Kiew hat die Schlacht im Propagandakrieg verloren

Die Operation "humanitärer Konvoi" war von Anfang an auf maximale mediale Aufmerksamkeit ausgerichtet. Völlig überraschend, sowohl für die Ukrainer als auch für das Rote Kreuz, schickte der Kreml am Dienstag vergangener Woche bei Tagesanbruch 287 weiß gestrichene Lastwagen auf den Weg Richtung Ukraine. Dutzende Reporter aus aller Welt machten sich auf die Suche nach dem Konvoi. Gleichzeitig kursierten in ukrainischen Medien Gerüchte, dass in den Lastwagen keine Hilfsgüter, sondern Waffen transportiert würden und dass die Fahrer möglicherweise einer russischen Elite-Einheit angehören könnten. Die Regierung in Kiew setzte tags darauf selbst einen Hilfskonvoi für den Osten des Landes in Bewegung - was wie eine unbeholfene Reaktion auf den russischen Vorstoß wirkte.

Während OSZE und Rotes Kreuz versuchten, Bedingungen für eine Durchfahrt des Konvois zu schaffen, bemühte sich die ukrainische Seite, das Vorhaben zu verhindern. Als der Konvoi sich in Richtung der ukrainischen Grenze bei Charkiw bewegte, erklärte Innenminister Arsen Awakow kurz und knapp, die Lastwagen dürften nicht durch das Gebiet Charkiw nach Luhansk fahren. Dabei hätten die Ukrainer hier, wo sie die Grenze kontrollieren, die Fracht eingehend kontrollieren können.

Also bogen die Lastwagen in Richtung jenes Grenzstreifens ab, der von den prorussischen Kämpfern kontrolliert wird und von dem es nur noch eine gute Stunde Fahrt bis nach Luhansk ist. Tagelang versuchte Russland dann, sich mit dem Roten Kreuz zu einigen: Nur unter dessen Verantwortung wollte Kiew eine Weiterfahrt nach Luhansk akzeptieren. Zudem kamen ukrainische Grenzer und Zöllner an den russischen Grenzposten Donezk, um die Lastwagen abzufertigen. Das Rote Kreuz lehnte am Ende die Verantwortung ab, weil es keine ausreichenden Sicherheitsgarantien bekommen konnte. Die ukrainische Seite zögerte allem Anschein nach die Abfertigung der Lastwagen möglichst lang hinaus.

In der Zwischenzeit konnten Journalisten sich davon überzeugen, dass hinter den weißen Planen tatsächlich nur Kindernahrung, Wasser und Schlafsäcke liegen. Und dass die Männer in den khakifarbenen Uniformen tatsächlich Lkw-Fahrer sind, die sich vor allem darum sorgen, wieder heil aus Luhansk nach Hause zu kommen.

Dass die Russen den Konvoi im Zweifelsfall ohne Begleitung durch das Rote Kreuz und ohne Kontrolle durch die ukrainischen Zöllner nach Luhansk bringen würden, war zu erwarten - ebenso wie die hysterische Reaktion der ukrainischen Seite. Die überzogenen Worte von der "direkten Invasion" zeigen die Hilflosigkeit: Kiew versteht, dass es diesen Konvoi nicht mehr aufhalten kann. Und dass es diese Schlacht im Propagandakrieg mit Russland verloren hat.

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