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Russland gegen Ukraine: Krise vor der Krim

Foto: PAVEL REBROV/ REUTERS

Schüsse in der Meerenge vor Kertsch Das Spiel mit der Eskalation

In der Ukraine und in Russland ist die Empörung über den militärischen Zwischenfall in der Straße von Kertsch groß. Doch er kommt den Präsidenten beider Länder nicht ungelegen.

Da ist es wieder, dieses große angstmachende Wort: Krieg. Droht neuer Krieg zwischen der Ukraine und Russland? Diese Frage beschäftigt die Weltgemeinschaft, seitdem in der Meerenge von Kertsch russische Spezialkräfte drei ukrainische Militärboote mit 23 Männern an Boot festgesetzt haben und dabei auch Schüsse fielen. Mehrere Matrosen wurden verletzt.

Von der Eskalation selbst gibt es keine Bilder. Dafür gibt es Aufnahmen von der Kollision eines der ukrainischen Boote mit dem russischen Küstenwachschiff "Don" wenige Stunden vorher. Aufgenommen und veröffentlicht wurde das Material von der russischen Seite - wohl um die "gefährlichen Manöver" der Ukrainer zu dokumentieren, wie es später in Moskau hieß.

Video: Russisches Schiff rammt ukrainischen Schlepper

SPIEGEL ONLINE

In Erinnerung aber bleibt, wie das große russische Schiff ein kleines ukrainisches rammt, und es ist wohl nicht das einzige, wie Funksprüche nahelegen (mehr dazu erfahren Sie hier). Man könnte die Videoaufnahmen symbolisch nennen. Denn dass die Lage eskalieren würde, war nur eine Frage der Zeit.

Russland hat in den vergangenen Monaten mit der Eröffnung der Krim-Brücke sowie mit verstärkten Kontrollen der Handelsschiffe in der Straße von Kertsch den Druck auf das verfeindete Nachbarland Ukraine stetig erhöht. Mit seiner erhöhten Präsenz, auch der Marine, kontrolliert es das 40 Kilometer breite Nadelöhr, welches das Schwarze mit dem Asowschen Meer verbindet.

Das ist mit seinen zwei Häfen Berdjansk und Maripol wirtschaftlich wichtig für die Ukraine. Russland weiß das und versucht, es "in einen russischen Teich zu verwandeln", wie es der Russlandexperte Mark Galeotti ausdrückt. Faktisch hat die Ukraine schon seit Monaten die Hoheit über das Gewässer verloren.

Foto: SPIEGEL ONLINE (Kartendaten © OpenStreetMap-Mitwirkende (ODbL))

Kiew kann Russlands Dominanz nicht viel entgegensetzen, außer dass es ein russisches Fischerboot festsetzte und versuchte, Kriegsschiffe in das Gebiet zu senden. Einmal gelang der ukrainischen Marine dies. Nun, beim zweiten Mal, kam es zur Konfrontation mit den Russen.

Warum hat die Ukraine die russische Seite nicht informiert? War es eine bewusste Provokation, wie es in Moskau heißt? Das ist schwer zu sagen, offiziell steht Aussage gegen Aussage: Kiew sagt, es habe Russland die Verlegung angekündigt. Moskau widerspricht dieser Darstellung und gibt an, dass die ukrainischen Schiffe in ihr Hoheitsgebiet eingedrungen seien und man sie gewarnt habe. Dem widerspricht wiederum Kiew: Da die Annexion der Krim durch Russland nach internationalem Recht völkerrechtswidrig ist, bezeichnet die Ukraine die Halbinsel sowie die umliegenden Gewässer weiterhin als ukrainisch.

Auch wenn die Empörung auf beiden Seiten nun groß ist - von der Eskalation können letztendlich beide Präsidenten innenpolitisch profitieren:

  • Wladimir Putin: Die russischen Staatsmedien haben nach Wochen relativer Ruhe endlich wieder ein dankbares Thema, das von den sinkenden Umfragewerten des Präsidenten nach der unbeliebten Rentenreform ablenkt. Putins Zustimmung lag zuletzt bei 56 Prozent und damit unter den Werten von Februar 2014, bevor Russland die Krim annektierte, offiziell ist vom "Anschluss" der Halbinsel die Rede, die nun die Schlagzeilen wieder bestimmt.
    Die staatlichen Medien berichten nun breit über die "Provokationen" des verfeindeten Nachbarn im Meer vor der Krim, aber vor allem zeigen sie, wie Russland militärische Stärke gegenüber der Ukraine demonstrierte.
  • Petro Poroschenko: Der angeschlagene Staatschef versucht, sich als Verteidiger der Ukraine zu präsentieren. In der Obersten Rada warnte er davor, dass Russland auch zu Land angreifen könnte.
    Anders als Putin hat Poroschenko die Wahlen noch vor sich, sie sollen am 31. März stattfinden. Poroschenkos Zustimmungswerte sind zuletzt stark gesunken. In Umfragen liegt der Staatschef (Wahlslogan: "Armee, Sprache, Glauben") gerade einmal auf Platz zwei oder drei hinter seiner führenden Konkurrentin Julija Timoschenko. Bereits wenige Stunden nach den Schüssen in der Meerenge von Kertsch erklärte Poroschenko, den Kriegszustand ausrufen zu wollen. Die verletzten Matrosen, 18, 24 und 27 Jahre alt, spielten da schon kaum noch eine Rolle in der ukrainischen Diskussion. Der Fokus lag vielmehr auf der wachsenden Angst vor einer neuen Konfrontation. Bei vielen Ukrainern kamen Erinnerungen an 2014 wieder hoch, als russische Truppen auf der Krim und später im Donbass von Moskau unterstützte und mit Waffen ausgestattete Kämpfer auftauchten.

Am späten Montagabend stimmte das ukrainische Parlament dem Vorstoß von Poroschenko schließlich zu. Allerdings musste der Präsident seinen Erlass und das dazugehörige Gesetz abmildern, um sich einige notwendige Stimmen von der Opposition für seine Initiative zu sichern. Nun wird in der Ukraine ab Mittwochmorgen der Kriegszustand für 30 Tage statt wie geplant 60 Tage gelten - er ist zudem auf zehn Gebiete begrenzt, die an Regionen grenzen, in denen russische Truppen präsent sind.

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Poroschenko hat mit der Einführung des Kriegszustandes eine Wende vollzogen. Noch im Sommer 2015, dem Höhepunkt des Kriegs im Donbass, hatte er den Schritt nicht gewagt.

Er wolle nicht Krieg zu führen, sondern sein Land besser verteidigen, kündigte Poroschenko nun an. Ob er dies mit dem beschnittenen Kriegsrecht kann und ob es ihm gelingen wird, neue Stärke zu demonstrieren, ist unklar.

Immerhin etwas Gutes hat die Eskalation, auch wenn sie eine neue Front zwischen der Ukraine und Russland markiert und Verletzte forderte: Der Konflikt, der in der Wahrnehmung vieler Menschen so lange verschwunden schien, bekommt wieder Aufmerksamkeit. Denn in der Ostukraine herrscht nach viereinhalb Jahren immer noch Krieg.


Zusammengefasst: Nach dem militärischen Zwischenfall in der Straße von Kertsch hat sich der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine verschärft. Das Parlament in Kiew verhängte einen 30-tägigen Kriegszustand, er gilt ab Mittwochmorgen. Die Präsidenten beider Länder profitieren allerdings auch von der Situation: Wladimir Putin nutzt sie im Kampf gegen sinkende Beliebtheitswerte, indem er militärische Stärke gegenüber Kiew demonstriert. Und Petro Poroschenko kann sich vor der Wahl am 31. März als Verteidiger der Ukraine präsentieren.

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