Ukraine-Krise Scharmützel von Slawjansk gefährdet Genfer Abkommen
Slawjansk/Kiew - Die Osterfeiertage sollten friedliche Tage in der Ostukraine werden - so jedenfalls hatte es die Kiewer Regierung angekündigt. Während dieser Zeit werde keine Gewalt gegen die prorussischen Besetzer angewendet. Doch am Sonntagmorgen wurde die Waffenruhe gebrochen: Moskautreue Milizen einer Straßensperre nahe Slawjansk wurden nach eigenen Angaben gegen 3 Uhr beschossen.
Die Hintergründe der Tat sind unklar: Wer steckt hinter der Attacke? Und warum wurde der Kontrollpunkt in dem Dorf Bilbasiwk angegriffen? Zuerst hatten das russische Staatsfernsehen und Kreml-nahe Medien über die Schießerei berichtet.
Auch über die Zahl der Opfer gibt es Unklarheit. Während russische Medien schnell über fünf Tote - drei Separatisten und zwei Angreifer - berichteten, sprach ein Anführer der prorussischen Milizen, Wyatscheslaw Ponomarew, von vier Toten. Das ukrainische Innenministerium meldete mindestens einen Toten, zudem drei Verletzte. Er habe an der Kontrollstelle zwei Leichen gesehen, eine mit Schusswunden im Kopf, sagte dagegen ein Reuters-Reporter. Einer der Toten habe Kampfanzug, der andere Zivilkleidung getragen.
Bilder von dem angegriffenen Kontrollpunkt zeigen ausgebrannte Autos, die Einschusslöcher in den Türen aufweisen. Zudem, so berichten Reporter von n-tv und der BBC, seien neue Dollarnoten und Ausweise des Rechten Sektors vor Ort gefunden worden.

Die Lesart der Vorfalls könnte nicht unterschiedlicher sein: Das Innenministerium in Kiew spricht von einer "bewaffneten Auseinandersetzung" zwischen zwei Bürgergruppierungen, ohne näher darauf einzugehen. Die Hintergründe müssten geklärt werden, so heißt es in einer Mitteilung.
Moskautreue Kämpfer machen die Gruppierung Rechter Sektor für die Tat verantwortlich. Die Ultranationalisten waren am Sturz von Präsident Wiktor Janukowitsch im Februar beteiligt. Auch Milizen-Anführer Ponomarjow meldete sich auf einer Pressekonferenz zu Wort. Er bat die russische Regierung, Friedenstruppen in die Region zu entsenden, um die Menschen vor der Nationalgarde und dem Rechten Sektor zu schützen. "Man tötet unsere Brüder. Nur Russland kann die Stadt schützen", sagte er laut Radiosender Stimme Russlands.
Ponomarjow verhängte der Nachrichtenagentur AFP zufolge zudem eine Ausgangssperre über Slawjansk. "Zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh ist es verboten, auf die Straßen zu gehen." Die Regelung trete noch am Sonntag in Kraft, sagte der selbsternannte Bürgermeister. Ein Lautsprecherwagen fuhr durch die Stadt, um die Ausgangssperre auszurufen.
Ultranationalisten weisen Vorwürfe zurück
Das russische Außenministerium nannte die Schießerei am Sonntag eine "Provokation". Der Vorfall zeige den "mangelnden Willen der Behörden in Kiew, Nationalisten und Extremisten im Zaum zu halten und zu entwaffnen".
Nach Angaben des Ministeriums wurde nahe Slawjansk eine nicht genannte Zahl unschuldiger Zivilisten bei einem Angriff bewaffneter Männer aus dem "rechten Sektor" getötet. Bürger in Slawjansk hätten von den überwältigten Angreifern Luftaufnahmen und Symbole des Rechten Sektors sichergestellt. Moskau wirft der Ukraine nun einen Verstoß gegen die Genfer Vereinbarung zur Entschärfung der Krise vor.
Ein Sprecher der beschuldigten Ultranationalisten wies die Vorwürfe empört zurück. Er machte russische Spezialkräfte für den Angriff verantwortlich.
Forderungen der Besetzer
Eigentlich sollten die Genfer Beschlüsse zu einer Deeskalation der Lage in der Ostukraine führen. Am Donnerstag hatten sich die USA, die EU, Russland und die Ukraine in Genf darauf geeinigt, dass illegal bewaffnete Gruppierungen entwaffnet und besetzte öffentliche Gebäude freigegeben werden müssten.
Die schwer bewaffneten prorussischen Uniformierten widersetzen sich dieser Einigung bislang jedoch und harren weiter in den öffentlichen Einrichtungen aus. Sie teilten mit, Russlands Unterschrift unter dem Genfer Abkommen sei für sie nicht bindend. Die Besetzer haben mehrere Forderungen:
- Sie wollen, dass der "gewaltbereite Rechte Sektor sowie andere faschistische Gruppen" ihre Waffen niederlegen.
- Die prorussischen Kämpfer verlangen ein Referendum über einen Anschluss der Ostukraine an Russland.
- Zudem machen sie die Räumung des seit November von prowestlichen Kräften besetzten Unabhängigkeitsplatzes in Kiew zur Bedingung.
Erst wenn diese Bedingungen erfüllt seien, würden sie die besetzen Gebäude räumen, so die Aussage der prorussischen Kämpfer.
Die "Anti-Terror-Aktion" der ukrainischen Sicherheitskräfte hat bisher nur begrenzten Erfolg gezeigt. So liefen bereits ukrainische Soldaten zu den prorussischen Kämpfern über. Am Sonntag meldeten die Behörden in Kiew nun erste Entwaffnungen:
- Nach Angaben von Innenminister Arsen Awakow wurden in Luhansk drei Menschen mit Maschinengewehren ohne Blutvergießen festgenommen.
- Dem ukrainischen Geheimdienst SBU zufolge gaben Mitglieder des Rechten Sektors in der Stadt Schytomyr im Norden des Landes 21 Kisten mit Brandsätzen ab.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte weitere diplomatische Anstrengungen. "Viele Chancen zu einem friedlichen Ende werden wir nicht mehr haben", sagte der SPD-Politiker der "Bild am Sonntag". "Die in Genf erkämpfte Chance zur Entschärfung des Konflikts müssen wir nutzen." Dies sei nicht einfach, "weil wir auch mit Gruppen zu tun haben, die weder auf Kiew noch auf Moskau hören".