Gewalt in der Ukraine Waffenruhe gebrochen - Tote bei neuen Kämpfen in Kiew
(Livestream: Reuters)
Kiew - International war die Aussicht auf eine Waffenruhe in der Ukraine mit Erleichterung aufgenommen worden - aber auch mit Skepsis. Nun zeigt sich, dass Zweifel berechtigt sind. Trotz der vereinbarten Kampfpause kam es auch am Donnerstagmorgen in Kiew zu schweren Auseinandersetzungen.
Fernsehbilder zeigten, wie die Regierungsgegner in Gebiete vorrückten, die am Tag zuvor in der Hand der Polizei gewesen waren. Mehrere Polizisten wurden von Demonstranten gefangengenommen und weggebracht. Das ukrainische Fernsehen zeigte am Donnerstag zudem Aufnahmen zweier Leichen in der Nähe des Maidan. Die Körper waren mit Decken bedeckt. Ein Reuters-Fotograf zählte in der Umgebung des Unabhängigkeitsplatzes gar 21 Tote. Nähere Details zu den Opfern sind bisher jedoch nicht bekannt. Von Hoteldächern am Rande des Maidan sollen Heckenschützen feuern.
Das Innenministerium teilte mit, dass mehr als 20 Sicherheitskräfte verletzt worden seien. Dabei wurde allerdings nicht vollständig klar, wann genau sie sich die Verletzungen zuzogen.
"Situation außer Kontrolle"
Widersprüchliche Angaben gibt es darüber, wer trotz der erst am Mittwoch vereinbarten Waffenruhe die Gewalt erneut anheizte. Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko machte die Polizei für den Bruch des vereinbarten Gewaltstopps verantwortlich. "Wir sehen die Situation außer Kontrolle", sagte Klitschko nach einem Treffen mit den Außenministern aus Deutschland, Polen und Frankreich in Kiew. Doch bereits während der Nacht hatten Demonstranten ihrerseits Feuerwerkskörper in Richtung der Sicherheitskräfte abgeschossen. Auf dem Maidan sollen Redner die Parole ausgegeben haben, dass der Waffenstillstand aufgehoben sei.

Gewalt in Kiew: Neuer Rauch über dem Maidan
Gewaltbereite Demonstranten drangen in die Nähe des Regierungsviertels vor. Die Sicherheitskräfte zogen sich zurück, teilweise in Panik, wie Augenzeugen berichteten. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier traf am Morgen in Kiew ein, um zwischen der Opposition und Präsident Wiktor Janukowitsch zu vermitteln. Am Morgen berieten er und seine Kollegen aus Frankreich und Polen, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski, mit Vertretern der Opposition.
Ein Treffen mit Janukowitsch kam zunächst nicht zustande. Offenbar wurde die Zusammenkunft aus Sicherheitsgründen verschoben. Wie SPIEGEL-ONLINE-Reporter Matthias Gebauer aus Kiew meldet, musste ein neuer Ort gefunden werden, zur Stunde findet das Treffen aber statt. Es ist nicht öffentlich, über den Inhalt der Besprechung ist noch nichts nach außen gedrungen.
Rücktritt des Präsidenten äußerst unwahrscheinlich
Doch die Hoffnungen auf eine rasche politische Lösung des Konflikts sind ohnehin nicht allzu groß. Laut dem Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), wird Janukowitsch seinen Posten nicht räumen. "Und die Leute, die den Rücktritt des Präsidenten fordern, haben nicht die Mittel, ihn dazu zu zwingen", sagte Schulz am Donnerstag im ZDF.
Die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen müssten bei ihren Treffen in Kiew beide Konfliktparteien zu Gesprächen und möglicherweise vorgezogenen Neuwahlen bewegen. "Wenn sie an einem Tisch sitzen, dann schießen sie schon mal nicht", sagte Schulz. Gelinge dies nicht, werde es Sanktionen der EU geben. Dabei gehe es vor allem um eine Sperrung von Konten und die Einschränkung der Reisefreiheit von Mitgliedern der ukrainischen Regierung.
Offenbar wirken sich die Krawalle in Kiew nun auch direkt auf die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi aus. Wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) mitteilte, wollen einige ukrainische Athleten offenbar ihre Teilnahme an den Spielen abbrechen. "Ich glaube, einige von ihnen haben sich entschieden, nach Hause zurückzukehren", sagte IOC-Sprecher Mark Adams am Donnerstag. Unklar ist noch, um wie viele der insgesamt 43 ukrainischen Sportler es geht. Bestätigt ist bisher nur die Abreise von Skiläuferin Bogdana Matsotska.