Ukraine vor der Präsidentschaftswahl Warum Kateryna Drohnen über die Häuser von Richtern schickt

Erst der Maidan, dann die Krim-Annexion und der Krieg im Donbass, der schon fast fünf Jahre dauert. Vor der Wahl gewähren Ukrainer Einblick in ihr zerrissenes Land. Heute: Kateryna, die sich nicht mit der Korruption im Land abfinden will.
Kateryna Butko

Kateryna Butko

Foto: Maxim Sergienko/ SPIEGEL ONLINE

Kateryna Butko lässt die Macht der Bilder sprechen, als sie sich Anfang Februar vor das Präsidialamt in Kiew stellt: In der einen Hand hält sie ein Foto einer jungen Frau; in der anderen Hand Aufnahmen von verätzten Körperteilen, rohes Fleisch an Rücken, Bein und Kopf.

Die Bilder zeigen Kateryna Handsjuk - bevor und nachdem die Antikorruptionsaktivistin aus dem südukrainischen Cherson im vergangenen Jahr mit Säure übergossen wurde. Drei Monate nach der Attacke stirbt sie.

Kateryna Butko

Kateryna Butko

Foto: Genya Savilov/ AFP

"Schocktherapie" nennt Kateryna Butko ihre Aktion. Anders sei es nicht möglich, auf die schleppenden Ermittlungen aufmerksam zu machen, sagt die 30-Jährige.

Denn es geht nicht voran. Ein Regionalpolitiker von Julija Tymoschenkos Vaterlandspartei wurde als einer von sechs Verdächtigen zwar festgenommen, danach aber auf Kaution und mit Fußfessel wieder freigelassen. Es gibt viele Ungereimtheiten in dem Fall, in dem es auch um illegale Abholzung geht. Mit dem Holz haben lokale Eliten gutes Geld gemacht, was Handsjuk heftig kritisiert hat.

Ihr Tod ist für Kateryna Butko und viele andere Aktivisten zu einem Symbol geworden für den Kampf, den sie jeden Tag austragen.

Es ist ein Aufbäumen gegen das alte korrupte System aus Politikern, Unternehmern, Beamten und Kriminellen, die noch immer über Einfluss verfügen, vor allem in den Regionen. Das gilt auch noch heute, fünf Jahre nachdem Hunderttausende in der Ukraine auf die Straße gingen, um den Sturz ihrer korrupten Regierung zu fordern. Der damalige Präsident Wiktor Janukowytsch lebt längst in Russland, die Ukraine ist eine Demokratie, doch die alten Seilschaften funktionieren auch in der Nach-Maidan-Zeit recht gut.

Kateryna in ihrem Büro

Kateryna in ihrem Büro

Foto: Maxim Sergienko/ SPIEGEL ONLINE

Aktivistin Kateryna Butko erlebt das jeden Tag. Sie analysiert die Arbeit der Richter im Land. Nach wie vor agiere das Gerichtswesen wie ein Staat im Staat, sagt die junge Frau.

Vor fünf Jahren stand sie selbst auf dem Maidan im Zentrum Kiews, damals arbeitete sie noch im PR-Bereich. Sie beobachtete, wie Demonstranten von Spezialkräften der Polizei zusammengeschlagen und später verurteilt wurden. Einige saßen eine, manche mehrere Wochen in Haft. Einige sind heute wie Kateryna Aktivisten, andere leben einfach ihr Leben abseits der Politik.

Kateryna war selbst bei einem dieser Prozesse dabei, wollte als Zeugin aussagen, erklären, dass die Studenten nichts anderes getan hatten, als für Veränderungen in ihrem Land zu demonstrieren. "Naiv" sei sie damals gewesen, sagt sie heute, die Urteile seien unrechtmäßig.

Mehr als die Hälfte der Richter, die solche Entscheidungen verkündeten, ist noch im Amt. Maidan-Richter nennt Kateryna sie.

Kateryna während der Fahrt zur Janukowytsch-Residenz im Januar 2014

Kateryna während der Fahrt zur Janukowytsch-Residenz im Januar 2014

Foto: Nodari Tsirikashvili

Kiew, ein sonniger Nachmittag im Februar. Unweit des Botanischen Gartens holt Kateryna mit zwei Mitstreitern eine Drohne aus dem Auto. Es ist eine Gegend der Zäune, sie schirmen die großzügigen Häuser vor neugierigen Blicken ab.

Kateryna ist wie ihre Kollegen Serhij Chadschynow und Oleh Puschak Mitglied der Auto-Maidan-Bewegung. Sie organisierten mobile Proteste, fuhren vor die Häuser der Staatsanwälte und Politiker. Einmal rollte ein Tross von Hunderten Autos vor die Janukowytsch-Residenz im Norden von Kiew.

Noch heute ist der Auto-Maidan aktiv. "Wir stellen unsere Arbeit erst ein, wenn unsere Rechtsorgane unabhängig arbeiten, so wie es das Gesetz vorsieht", sagt Kateryna.

Sie zeigt auf ein großes Haus wenige Hundert Meter weiter die Straße runter. Es ist die Adresse von Bohdan Sanin, jenem Richter, der am 30. November 2013 die Proteste auf dem Maidan und in den angrenzenden Straßen verbot. Die Polizei räumte daraufhin mit Gewalt das Zentrum.

Kateryna mit Oleh Puschak

Kateryna mit Oleh Puschak

Foto: Maxim Sergienko/ SPIEGEL ONLINE

Die Drohne hebt ab, fliegt surrend im Bogen zu dem Gebäude. Auf dem kleinen Bildschirm der Steuerkonsole erscheint das schneebedeckte Dach eines ockerfarbenen Hauses mit spitzen Giebeln. 517 Quadratmeter ist das Domizil groß, das ergibt sich aus der Erklärung des Richters. Ukrainische Beamte müssen bisher ihre Einkünfte jährlich offenlegen - nicht nur für sich, sondern auch für nahestehende Familienmitglieder. Die Angaben sind im Internet einsehbar.

Kateryna bündelt die Daten der Richter. Sie betreut das Projekt "Prosud" ("Für das Gerichtswesen"), das sich den Kampf gegen die Korruption von Richtern zur Aufgabe gemacht hat.

Oleg und Kateryna

Oleg und Kateryna

Foto: Maxim Sergienko/ SPIEGEL ONLINE

"Wir zeigen den Menschen, wie ihre Richter wohnen", sagt Kateryna. Die Aktivisten fahren zu den Adressen, filmen die Immobilie mit Drohnen, was in der Ukraine rechtlich möglich ist. Stellen die Bilder ins Netz. Es sind Hunderte Aufnahmen.

Sie haben einiges erlebt bei ihrer Arbeit in den vergangenen zwei Jahren: Mal fanden sie eine viel größere Immobilie vor; mal ein Restaurant, dabei dürfen Staatsanwälte und Richter keine Geschäfte betreiben; mal gaben die Beamten später an, angeblich Taschen voller Geld verstorbener Verwandter in Schränken gefunden zu haben.

Überblick der Einkünfte des Richters Bohdan Sanin, basierend auf den Daten seiner Einkommenserklärungen, berechnet von "Prosud" in Hrywnja

Überblick der Einkünfte des Richters Bohdan Sanin, basierend auf den Daten seiner Einkommenserklärungen, berechnet von "Prosud" in Hrywnja

Foto: prosud.info

In der Gegend, in der Sanins Haus liegt, kosten Immobilien laut Schätzungen ab zehn Millionen Hrywnja aufwärts, das sind mehr als 300.000 Euro. Der Richter aber verdiente seinen Erklärungen zufolge  in seinem besten Jahr 2013 gerade einmal etwas mehr als 17.000 Euro. Das ist für die Ukraine kein schlechtes Gehalt, reicht aber kaum, ein solches Haus zu kaufen. Offiziell gehört das Gebäude laut seiner letzten Erklärung seiner Frau. Der Richter selbst kann daran nichts Schlimmes finden, er habe seinen Besitz und den seiner Angehörigen angegeben, wie er auf Facebook  schreibt.

Doch interessant ist, in welche Familie der Richter eingeheiratet hat. War es doch sein Schwiegervater Wolodymyr Jazuba, der als Leiter der Sewastopoler Stadtverwaltung im Dezember 2013 - also nach der Verkündung von Sanins Maidan-Urteil -, Männer auf der Krim dazu aufrief, mit ihm nach Kiew zu fahren und dort für Ordnung zu sorgen. "Sie wollen dort eine Entscheidung ohne uns treffen, aber so geht das nicht", sagte Jazuba. Seine Rede ist bis heute auf YouTube  zu sehen.

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Die Ukraine vor der Wahl: Antikorruptionsaktivistin Kateryna Butko

Foto: Maxim Sergienko/ SPIEGEL ONLINE

Kateryna und ihre Kollegen haben diese Informationen zusammengetragen. Zwar wurde Richter Sanin 2018 entlassen, aber die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, er hat Einspruch eingelegt. Was Aktivisten besonders verbittert, ist Sanins neuer Posten. Er arbeitet ausgerechnet als Sprecher eines Bezirksverwaltungsgerichts in Kiew, ist also das Gesicht des Gerichts in der Öffentlichkeit, soll dessen Arbeit transparent machen. Der Ruf der Gerichte ist nach wie vor schlecht, sie gelten als politisch kontrolliert: Nur jeder zehnte Ukrainer vertraut Richtern laut einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie.

Kateryna mit SPIEGEL-ONLINE-Korrespondentin Christina Hebel

Kateryna mit SPIEGEL-ONLINE-Korrespondentin Christina Hebel

Foto: Maxim Sergienko/ SPIEGEL ONLINE

"Es fehlt der politische Wille, wirklich die Korruption zu bekämpfen", sagt Kateryna. Dass Präsident Petro Poroschenko die Justizreform als erfolgreich bezeichnet, darüber kann sie nur den Kopf schütteln. "Poroschenko hat versprochen, alle Maidan-Richter zu entlassen", sagt sie.

Kateryna spricht ruhig - anders als ihr Kollege Serhij, der sich auf der Rückfahrt ins Büro der NGO in Rage redet. Er nennt Poroschenko einen Dieb, der sein Umfeld schütze, "er simuliert nur Reformen gegenüber dem Westen". Bis heute ist kein ukrainischer Topbeamter wegen Korruption verurteilt worden, obwohl das nationale Antikorruptionsbüro durchaus erfolgreich ermittelt hat, wie Kateryna sagt. Vertreter anderer NGOs stimmen diesem Befund zu.

Foto: SPIEGEL ONLINE

Sie hofft auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Ob Wolodymyr Selensky ihnen nicht helfe bei ihrem Kampf? Kateryna lacht kurz, als sie den Namen des Präsidentschaftskandidaten hört, der in den Umfragen führt. "Das ist mir zu viel Show". Sie spielt auf die Fernsehserie des Comedians an. In der Sendung spielt er den "fleißigen, ehrlichen, gerechten" Präsidenten der Ukraine.

Egal wie die Wahlen ausgehen, Kateryna weiß, dass ihr Kampf lange dauern wird. Sie sieht Erfolge bei der neu aufgebauten Verkehrspolizei. Sie hofft, dass das Antikorruptionsgericht, dessen Richter unter westlicher Beteiligung ausgewählt werden, bald seine Arbeit aufnimmt.

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Der Ukraine-Konflikt: Vom Maidan zur Krim-Annexion

Foto: SERGEI SUPINSKY/ AFP

Natürlich werde auch Druck auf ihre NGO ausgeübt. Doch so schlimm wie in den Regionen sei es in Kiew nicht. Angesprochen auf die Überfälle auf Aktivisten wie den Säureanschlag auf Kateryna Handsjuk in der Südukraine, sagt Kateryna: "Angst? Die ist zweitrangig."

Aufgeben komme für sie nicht infrage, es gehe schließlich um das Erbe des Maidans. Sie sei das den Dutzenden Menschen schuldig, die vor fünf Jahren gestorben seien. "Ich gebe nur meine Zeit und Arbeit, sie haben ihr Leben gegeben."

Mitarbeit: Katja Lutska
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