Kommentar zur Wahl Die Ukraine gehört in die EU

Die Ukrainer drängen in die EU. Europa sollte darauf eingehen. Und sich besinnen, dass es einmal mehr war als eine Union zur Rettung des Euro und strauchelnder Banken.
Wahlplakate in Kiew: Bekenntnis zu Europa

Wahlplakate in Kiew: Bekenntnis zu Europa

Foto: Tatyana Zenkovich/ dpa

Wann hat Europa eigentlich der Mut verlassen? Der Glaube an die eigenen Ideale? Die Europäische Union wurde gegründet auf dem "humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben", so steht es in der Präambel des Vertrags über die Europäische Union.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko will 2020 den Beitritt zur EU beantragen. Die Reaktionen in Europas Hauptstädten hätten verhaltener kaum sein können. Eine Beitrittsperspektive für den flächenmäßig zweitgrößten Staat des Kontinents, eine Nation von mehr als 40 Millionen Einwohnern, ist für die meisten Politiker und Bürger in der EU unvorstellbar. Hat Europa nicht auch so schon genug Probleme? Muss nicht die Eurozone stabilisiert und die Wirtschaft angekurbelt werden?

Wohl noch nie hat ein Volk so laut an die Tür der Europäischen Union geklopft wie die Ukrainer. Als die Maidan-Proteste vor knapp einem Jahr begannen, richteten sie sich vor allem gegen das korrupte Regime des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Er war demokratisch gewählt, doch er nutzte seine Präsidentschaft nur zur eigenen Bereicherung. Gleichzeitig hofften die Demonstranten aber auch, die Ukraine näher an Europa heranzuführen.

Unempfänglich für rechte Parolen

Es ist falsch, alle Probleme der Ukraine Janukowytsch anzulasten. Schon vor ihm haben Oligarchen und korrupte Eliten das Land geplündert. Die Wirtschaft ist heute ein schwarzes Loch. Allein die Subventionen für die künstlich niedrig gehaltenen Gaspreise verschlingen sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts, jedes Jahr. Um die Separatisten zu bekämpfen, hat Kiew Freiwilligen-Bataillone mit schweren Waffen ausgerüstet. Manche der Kommandeure sind rechtsradikal, Nazi-Runen schmücken die Wappen ihrer Einheiten. Einige Verbände haben offenbar Kriegsverbrechen verübt, Menschen entführt und Gefangene erschossen.

Das alles schreckt uns Europäer ab. Es sollte aber nicht den Blick auf das Wesentliche versperren. Die Ukraine wählt am Sonntag ein neues Parlament. Es werden auch Populisten in die Rada einziehen, Männer mit rechtsextremistischer Ideologie. Allen Umfragen zufolge aber werden die gemäßigten proeuropäischen Kräfte einen überwältigenden Sieg erringen, rund zwei Drittel der Sitze, womöglich mehr.

Die Wirtschaft der Ukraine wird in diesem Jahr um mindestens sechs Prozent schrumpfen, der Verfall der Währung frisst die Ersparnisse der Bürger auf. Dennoch demonstriert das Gros der Ukrainer eine erstaunliche Unempfänglichkeit für rechte Parolen.

Heute wollen laut Umfragen mehr als 60 Prozent der Ukrainer den EU-Beitritt. Die Ukraine wird der EU auf dem Weg nach Europa viel abverlangen. Brüssel müsste Kiew über Jahre mit Milliardensummen unter die Arme greifen und auf Rückschläge mit Geduld reagieren. Das sind Opfer, zu denen weder die Deutschen noch die Mehrheit der übrigen EU-Bürger bereit zu sein scheinen.

Europa war mal mehr als nur ein Wirtschaftsraum. Die EU wurde gegründet "eingedenk der historischen Bedeutung der Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents", so steht es in der Präambel des EU-Vertrags. Es ist an der Zeit, sich daran zu erinnern - und der Ukraine mittelfristig eine ernstgemeinte Perspektive für einen Beitritt zu geben.

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