Umfrage zu Schottlands Unabhängigkeit Der 51-Prozent-Schock

Umfrage zu Schottlands Unabhängigkeit: Der 51-Prozent-Schock
Foto: Jeff J Mitchell/ Getty ImagesDie Vorwarnung kam von Rupert Murdoch höchstpersönlich. "Die Londoner 'Times' wird Großbritannien und andere mit neuer zuverlässiger Umfrage zur schottischen Unabhängigkeit schocken", twitterte der Zeitungsverleger am Samstagnachmittag. "Falls korrekt, ist am 18. alles möglich."
Die Umfrage, die die "Sunday Times" wenige Stunden später veröffentlichte, sorgte tatsächlich für Panikanfälle in London. Zum ersten Mal in dem zweieinhalbjährigen Wahlkampf will eine Mehrheit der Schotten sich von Großbritannien abspalten. 51 Prozent wollen bei dem Referendum am 18. September für ein unabhängiges Schottland stimmen. 49 Prozent sind dagegen. Das ergab die neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov.
Es ist nur eine einzige Umfrage, doch sie wurde in der britischen Hauptstadt sehr ernst genommen. Laut "Observer" wollen die drei etablierten britischen Parteien, Torys, Labour und Liberaldemokraten, den Schotten nun ein weitreichendes Angebot machen, um sie zum Bleiben zu bewegen. Man werde in den kommenden Tagen eine Ankündigung machen, zitiert das Blatt einen ungenannten Minister der Regierung von Premier David Cameron.
Gedacht ist laut "Observer" an eine Versammlung aller politischen Kräfte im Königreich, die Schottland mehr Selbstverwaltung, vor allem in Steuerfragen, zugestehen soll. Die Konferenz soll noch vor der Unterhauswahl im Mai 2015 stattfinden.
Darling: Weckruf für Unionisten
Ob das wirkt, darf bezweifelt werden. Bislang haben sich die Schotten von solchen Versprechen aus London nicht beeindrucken lassen. Bei der "Better Together"-Kampagne, die für den Erhalt des Vereinigten Königreichs kämpft, herrscht daher Großalarm. Die neuen Umfragen seien ein "Weckruf" für alle Unionisten, die das Referendum schon gewonnen glaubten, sagte Alistair Darling, der Anführer der Kampagne. "Jetzt ist die Zeit, um sich einzumischen."
Keinen wirklichen Trost spendete eine zweite Umfrage vom Wochenende: Zwar sind laut Panelbase nur 48 Prozent für die Unabhängigkeit und 52 Prozent dagegen. Zusammengenommen zeigen beide Stimmungsbarometer jedoch nur eins: Zehn Tage vor der Abstimmung ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Jede Seite kann gewinnen.
Die Aussicht, dass das Vereinigte Königreich nach 300 Jahren zerbrechen könnte, beunruhigt auch die Queen. Am Wochenende empfing sie Premier Cameron zu seinem jährlichen Besuch auf ihrem schottischen Schloss Balmoral. Der Inhalt ihrer Gespräche ist geheim, doch das Thema Unabhängigkeit dürfte zur Sprache gekommen sein.
Nachdem die meisten Politiker und Kommentatoren in London die Aufspaltung bis vor Kurzem als undenkbar abgetan haben, malen sie sich nun die Staatskrise aus, die bald auf das Land zukommen könnte. "Wenn Schottland geht, wäre Cameron wohl vor Weihnachten aus dem Amt, die Unterhauswahl könnte vorgezogen werden, und Großbritannien würde in eine Verfassungskrise schlittern", kommentierte der bekannte Fernsehmoderator Adam Boulton in der "Sunday Times".
"Kalte Schauer der Angst"
"Die schottische Unabhängigkeit wäre ein riesiges blaues Auge für das ganze politische Establishment, besonders für Cameron und Miliband", twitterte Rupert Murdoch schadenfroh. Der Verleger sinnt auf Rache, nachdem Cameron und Oppositionsführer Ed Miliband ihn nach dem Abhörskandal bei der "News of the World" hatten fallen lassen.
Der Stimmungsumschwung zugunsten der Nationalisten könne sich zu einer "self-fulfilling prophecy" entwickeln, schrieb Andrew Rawnsley im "Observer". "Den britischen Parteien laufen kalte Schauer der Angst über den Rücken."
Sein Kollege Will Hutton forderte radikales Handeln von den Parteichefs in London. Sie müssten sich für ein föderales Großbritannien aussprechen und eine verfassunggebende Versammlung einberufen. Jede Region solle ihre eigenen Steuersätze und Ausgaben festlegen. Statt des Londoner Oberhauses müsse eine zweite Kammer nach dem Vorbild des deutschen Bundesrates eingerichtet werden.
Die Rechnung von Alex Salmond scheint aufzugehen: Der Chef der schottischen Regionalregierung, der das Referendum durchgesetzt hat, sieht schon jetzt wie der sichere Sieger aus. Selbst wenn die Schotten am Ende gegen die Unabhängigkeit stimmen sollten, wird London seiner Regionalregierung mehr Macht übertragen müssen.