Neonazi-Forscher über FPÖ und AfD "Ich bin gegen einen Dialog mit Rechtsextremisten"

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei der Wahlfeier in Wien
Foto: Hans Punz/ dpa
Dr. Bernhard Weidinger, geboren 1982 in Tamsweg im österreichischen Bundesland Salzburg, ist Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW) in Wien, einer Stiftung, die von der Republik Österreich, der Stadt Wien und einem Verein getragen wird. Das DÖW betreibt Informationsarbeit und wertet Quellen unter anderem zu Widerstand, Verfolgung und Exil in der Zeit des Nationalsozialismus aus, beschäftigt sich aber auch mit Rechtsextremismus in Österreich und Deutschland nach 1945. Weidinger forscht vor allem zum Thema Rechtsextremismus und Neonazismus im internationalen Vergleich und ist ein gefragter Experte zum Thema Studentenverbindungen.
SPIEGEL ONLINE: In Österreich regiert die FPÖ seit Dezember wieder mit. Als die FPÖ im Jahr 2000 an die Macht kam, gab es einen großen Aufschrei in Europa. Jetzt bleibt er aus. Warum eigentlich?
Weidinger: Ein Aufschrei wäre diesmal allzu heuchlerisch erschienen angesichts des Ausbleibens ähnlicher Reaktionen bei vergleichbaren Entwicklungen in anderen europäischen Ländern. Außerdem hätte er, wie damals, die nationalen Schulterschlussreflexe in Österreich gestärkt, die aus einer Art kollektivem Minderwertigkeitsgefühl herrühren.
SPIEGEL ONLINE: Die FPÖ ist in Österreich seit Jahrzehnten eine etablierte Partei. Halten Sie auch die AfD in Deutschland für eine Partei, die dauerhaft bleiben wird?
Weidinger: Wenn die AfD sich nicht selbst im Weg steht, kann sie sich langfristig etablieren. Jeder weitere Wahlerfolg befördert ihre Normalisierung. Wenn ihre Politiker dann auch noch in jeder zweiten Talkshow sitzen, klingt es irgendwann hohl zu sagen, mit diesen Leuten dürfe man nicht reden oder zusammenarbeiten. Ihre mediale Präsenz ist zwar einerseits logisch, weil die Partei in Parlamenten vertreten ist. Die Art und Häufigkeit dieser Präsenz hat aber wohl auch mit Eigeninteressen der Medienbranche zu tun.
DER SPIEGEL live Talk: Was macht Populisten so gefährlich?
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?
Weidinger: Mit den Provokationen der Rechten machen Medien Auflage und Quote. Sie müssen sich von dieser Logik lösen. In Österreich gab es in den Neunzigerjahren praktisch keine Woche, in der nicht der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider auf einer Titelseite zu sehen war. Berichterstattung muss kritisch und distanziert sein, sie darf keine Selbstinszenierung der Rechten übernehmen - auch nicht in kritischer Absicht. Haiders Stilisierung zum Gottseibeiuns der etablierten Parteien ermöglichte ihm die Selbstdarstellung als mutiger Renegat, der den Mächtigen die Stirn bietet und sagt, was vermeintlich alle denken.
SPIEGEL ONLINE: Wozu führt das Ihrer Meinung nach?
Weidinger: Es steht zu befürchten, dass es in Deutschland, ähnlich wie in Österreich, zu einer Gewöhnung an die ständigen Tabubrüche, Grenzüberschreitungen, Provokationen kommt. Von Mal zu Mal wird die Aufregung kleiner, wird die Grenze des Sag- und Machbaren verschoben und damit die nächste Verschiebung vorbereitet.
SPIEGEL ONLINE: Also sollte man Rechtspopulisten weniger Aufmerksamkeit schenken oder gar ignorieren?
Weidinger: Unterhalb einer gewissen Relevanzschwelle wirkt Berichterstattung oft eher als Werbung denn als Aufklärung. Wo die extreme Rechte politische Relevanz erlangt, was im Fall der AfD ja nicht zu leugnen ist, muss man sich natürlich mit ihr auseinandersetzen. Aber die Idee, dass sich in Diskussionen 'auf Augenhöhe' das bessere Argument durchsetzt, geht nicht auf, weil der populistische Stil gar nicht auf Überzeugung abzielt. Ihm geht es um Emotionalisierung, Verschleierung, Schmeichelei gegenüber den 'Eigenen' und Feindbildpflege in Bezug auf die 'Anderen'. All das funktioniert in Talkshows als inszenierte Schaukämpfe wunderbar. Ich bin für Berichterstattung über Rechtsextremismus, aber ich bin gegen einen Dialog mit Rechtsextremisten. Dialog bedeutet immer auch Legitimierung.
dbate-Video: Umgang mit Rechtspopulisten in Österreich
SPIEGEL ONLINE: Sie warnen also vor einer Entwicklung wie in Österreich, wo es die FPÖ bis in die Regierung geschafft hat und damit auf höchster Ebene legitimiert ist?
Weidinger: Die beiden Parteien der Mitte, die SPÖ und ÖVP, haben sich die FPÖ über weite Strecken ihrer Geschichte als taktische Option offengehalten, um in der gegenseitigen Auseinandersetzung einen Joker in der Hand zu haben. Außerdem haben sie seit den Neunzigerjahren viele Forderungen der FPÖ selbst umgesetzt. Wenn man eine Partei und ihre Inhalte auf diese Weise legitimiert, darf man sich nicht wundern, wenn Appelle, diese Partei nicht zu wählen, beim Publikum auf Unverständnis oder Trotz stoßen.
SPIEGEL ONLINE: Bei der konservativen ÖVP mit Sebastian Kurz an der Spitze ist diese Strategie aber aufgegangen: Sie hat Inhalte der FPÖ übernommen und ist so stärkste Kraft geworden.
Weidinger: In Österreich hieß es bislang immer: Man geht zum Schmied statt zum Schmiedl, sprich: Man wählt das Original und nicht eine Kopie. Aber Kurz hat es tatsächlich geschafft, potenzielle FPÖ-Wähler abzuholen. Zum einen ging er in der inhaltlichen Annäherung noch weiter als seine Vorgänger. Zum anderen konnte er, anders als diese, sich und seine Partei als Kraft der Erneuerung positionieren, während FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache inzwischen der am längsten amtierende Parteichef Österreichs ist. Kurz' Marke des jungen, dynamischen Machers, der unbequeme Wahrheiten anspricht, dabei aber nicht poltert wie Strache, findet auch in den Medien breiten Zuspruch - nicht zuletzt beim Boulevard, der sich bis vor Kurzem kaum für die ÖVP erwärmen konnte.
SPIEGEL ONLINE: Was können die Wählerinnen und Wähler in Deutschland tun, um einen Erfolg der Rechten zu verhindern?
Weidinger: Die große Herausforderung für jede Einzelperson ist, sich der Normalisierung der Menschenfeindlichkeit entgegenzustellen. Das bedeutet, nicht müde zu werden, in Alltagssituationen etwas zu sagen, wenn Dinge getan oder gesagt werden, die man für inakzeptabel hält - auch wenn es anstrengend ist.