Umstrittenes Gesetz Ungarn will Medien-Knebel wieder lockern

Ungarischer Premier Orbán: "Nicht mit zitternden Knien auf das westliche Echo reagieren"
Foto: THIERRY CHARLIER/ AFPBudapest - Noch vor wenigen Wochen zeigte sich Ungarns Ministerpräsident ungerührt von der internationalen Kritik: Er denke "nicht im Traum daran", das scharfe Mediengesetz zurückzunehmen, polterte Orbán. Er sei "nicht geneigt, mit zitternden Knien auf ein westliches Echo zu reagieren". Nun aber geht der Regierungschef offenbar doch in die Knie - ein wenig.
Sein Land werde eine Überprüfung des Gesetzes durch die Europäische Union akzeptieren, sagte er am Donnerstag. "Wir sind Teil der EU, da gibt es Regeln zu befolgen." Jede Entscheidung aus Brüssel werde akzeptiert.
Orbán stellte allerdings zugleich Bedingungen: Änderungen könne es nur geben, wenn auch entsprechende Passagen in den Mediengesetzen anderer EU-Staaten geändert würden. Ungarn dürfe gegenüber anderen Mitgliedern nicht "diskriminiert" werden.
Erste Signale des Einlenkens hatte es bereits am Mittwoch gegeben. "Wir sind bereit zu kooperieren", hatte der ungarische Außenminister János Martonyi erklärt. Die Regierung gehe davon aus, dass "Missverständnisse" ausgeräumt würden.
Der Streit um das Mediengesetz überschattet den Beginn der sechs Monate dauernden EU-Ratspräsidentschaft Ungarns, die am 1. Januar 2011 begonnen hat. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte zuletzt erneut die Zweifel seiner Behörde an der Vereinbarkeit der neuen Regeln für Medien mit dem EU-Recht bekräftigt. Pressefreiheit sei "ein heiliges Prinzip" der Europäischen Union, sagte Barroso. Die Kommission leitete eine Untersuchung des Falls ein.
"Klarer Verstoß gegen den Geist der EU-Verträge"
Nach der Verabschiedung des Gesetzes im Dezember hatte die EU zunächst hektisch nach einer gemeinsamen Antwort gesucht - der Fall zeigte, wie uneins Europa wirklich ist. EU-Länder wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien kritisierten die ungarische Gesetzgebung zwar, deutliche Worte kamen aber zunächst nur von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Er drängte die Europäische Kommission, sofort gegen das Vorhaben der ungarischen Regierung vorzugehen. "Die Pläne verstoßen klar gegen den Geist und die Worte der EU-Verträge", sagte Asselborn.
Die EU-Kommission sah sich ihrerseits mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht rechtzeitig auf das ungarische Mediengesetz reagiert zu haben. Drei Tage nach der Verabschiedung des Gesetzes habe die Behörde die Regierung in Budapest um Erläuterungen gebeten, sagte ein Kommissionssprecher. Obwohl die OSZE bereits im September vor Gefahren für die Pressefreiheit warnte, habe die Kommission sich nicht ähnlich äußern können: "Wir kommentieren niemals Gesetzesvorhaben der Mitgliedstaaten, wir sind nicht zuständig für eine Beobachtung der Gesetzgebungsdiskussion."
Im Europaparlament erwägen Abgeordnete inzwischen, Sanktionen gegen Ungarn anzustrengen. Die sozialdemokratische Fraktion drohte am Donnerstag mit einem solchen Schritt. Sie beantragte nach Mitteilung ihres Vorsitzenden Martin Schulz eine Sitzung des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten. Dieser solle das ungarische Mediengesetz prüfen. Diese Prüfung könne zu einem Verfahren führen, in dem Ungarns Stimmrechte in der EU ausgesetzt werden.
Nach dem ungarischen Mediengesetz kontrolliert die neue Medienbehörde NMHH jetzt auch private Fernseh- und Radiosender sowie Zeitungen und Internetportale. Bei Verstößen gegen das neue Gesetz drohen hohe Bußgelder. Seit dem Sommer überwacht die Behörde bereits die öffentlich-rechtlichen Medien. Auch müssen Journalisten dem Gesetz zufolge ihre Quellen offenlegen, wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht.
Der Vorstand der ungarischen Medienbehörde besteht ausschließlich aus Vertretern der rechtsnationalen Regierungspartei Fidesz. Die NMHH-Präsidentin Annamária Szalai wurde von Ministerpräsident Orbán persönlich für neun Jahre ernannt. Laut geänderter Verfassung darf der NMHH-Präsident ohne parlamentarische Kontrolle Verordnungen und Vorschriften erlassen.