Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko "Top Kill"-Desaster erschüttert Amerika

Rettungsmanöver im Golf von Mexiko: "Ihr werdet nicht im Stich gelassen"
Foto: WIN MCNAMEE/ AFPDie Ölkrise im Golf von Mexiko ist auch ein Wechselbad der Gefühle. Auf Hoffnung folgt Wut, Enttäuschung, Trauer, Frust, Zorn.
Doch an diesem Samstagabend, als BP das Scheitern der "Top Kill"-Aktion zur Abdichtung des Öllecks bekannt geben muss, greift ein Gefühl stärker um sich als jedes andere: Angst.
"Es erschreckt uns, dass wir den Ölfluss nicht stoppen können", sagt BP-Topmanager Doug Suttles bei einer Pressekonferenz. Hilflos erklärt er, wie der Versuch scheiterte, das Bohrloch in 1500 Metern Tiefe mit Schlamm sowie Gummiresten und Faserabfällen zu verschließen und mit Zement zu versiegeln.
Nun geht die Sorge um: Wird das Öl ewig strömen? Schon bis zu 151 Millionen Liter sind ins Meer geflossen, es ist die größte Ölpest in der US-Geschichte, über 240 Kilometer Küste wurden bereits verseucht.
Neuer Versuch den Ölfluss zu stoppen
BP will mit Genehmigung der US-Regierung jetzt das Steigrohr zur Quelle am Meeresgrund absägen und auf die Öffnung eine Kuppel stülpen, die das ausströmende Öl und Gas auffangen und zu einem Schiff an der Meeresoberfläche leiten soll. Doch das soll mindestens vier bis sieben Tage dauern. Niemand weiß, ob es funktioniert. Es geht dabei auch nur um die Eindämmung des Ölstroms, nicht um sein Ende.
Die Ölfirma arbeitet zwar fieberhaft an einem weiteren Plan, das Bohrloch dauerhaft mit Zement zu versiegeln. Doch das könne nicht vor August geschehen, heißt es bei BP. "Wir haben keinen Grund mehr, optimistisch zu sein", sagt Ed Overton, Umweltexperte an der Louisiana State University.
Diese Verzweiflung erfasst zunehmend auch Amerika. Die Nation nimmt mittlerweile Anteil an der Umweltkatastrophe wie zuletzt wohl nur beim Hurrikan "Katrina" im Jahr 2005. US-Bürger benutzen Begriffe wie "Top Kill" oder "Blowout Preventer" - eine Vorrichtung, die das Bohrloch im Notfall rasch verschließen kann - so selbstverständlich, als seien sie auf Ölplattformen aufgewachsen. Die Rettungsaktion scheint für manche persönliche Züge anzunehmen. "Dieses Bohrloch ist teuflisch", sagt Energieanalyst Byron King der "Washington Post".
Mit der Sicherheit wurde es nicht so genau genommen
Noch klarer ist aber den meisten Amerikanern, dass die Ölfirma die Schuld für das Desaster trägt. Zwar hat BP nach eigenen Angaben bereits fast eine Milliarde Dollar für Aufräumaktionen und Entschädigungszahlungen bereitgestellt, Tausende Mitarbeiter sind zur Hilfe an die Küsten entsandt.
Doch immer neue Enthüllungen belegen, dass der Konzern es mit der Sicherheit am Bohrloch nicht so genau genommen hat: BP zahlte Transocean, dem Betreiber der havarierten Ölplattform "Deepwater Horizon", für jeden Bohrtag mehr als 500.000 Dollar - und beschwerte sich über die Kosten. Man lag zudem hinter dem eigenen Zeitplan zurück, eine andere Bohrung sollte beginnen, also wurden die Arbeiter zur Eile angetrieben. Auch als BP ein paar Tage vor der Explosion am 20. April zwischen zwei Optionen wählen musste, um das Bohrloch zu ummanteln, zögerten die Ölbosse nicht lange. Sie wählten die billigere statt die riskante Variante.
Die Option war der "best economic case", heißt es in einem internen BP-Dokument. "Doch sie war auch die riskantere", sagt Greg McCormack, Ölexperte an der University of Texas in Austin. Gase und Ölschlamm konnten so leichter austreten.
Doch der Rotstift war an der Tagesordnung auf der "Deepwater Horizon". Die Bohrinsel war unter der Flagge der Marshall-Inseln registriert, das sorgte für weniger scharfe Kontrollen durch die US-Küstenwache. Außerdem machte BP 2009 zwar einen Gewinn von 14 Milliarden Dollar, dennoch sparte der Konzern und baute Personal ab. Für mehr Sicherheit war anscheinend kein Geld da.
"Sie haben mit unseren Leben gespielt"
Neue interne BP-Dokumente belegen, dass schon vor elf Monaten Berichte über Probleme mit dem "Blowout Preventer" auf der "Deepwater Horizon" und der Versiegelung des Bohrloches zirkulierten. Im März, wenige Wochen vor der Explosion, kam es offenbar zu einem Kontrollverlust am Bohrschacht. Und schon vorigen Juni äußerten Firmeningenieure Bedenken, der Metallschutz könne unter hohem Druck kollabieren.
Die Probleme wurden nicht ernst genommen. Stephen Stone, einer der Arbeiter auf der Bohrinsel, sagt: "Sie haben mit unseren Leben gespielt."
Für Präsident Barack Obama ist die Situation ein politischer Alptraum. Am Freitag kündigte er bei einem Besuch in Louisiana an, die Zahl der Hilfskräfte an der Küste zu verdreifachen, er versicherte den Betroffenen: "Ihr werdet nicht im Stich gelassen." Der Präsident betonte, die besten Köpfe der Nation arbeiteten an einer Lösung.
Schon vorher hatte er angekündigt, es werde ein weiteres sechsmonatiges Moratorium für Bohrungen in der Golfregion geben. Auch vor den Küsten Virginias und Alaskas darf nicht mehr gebohrt werden. Demokratische Senatoren wie Bernie Sanders aus Vermont fordern bereits, jede Form der Bohrung in der Region einzustellen. Unter den US-Bürgern wächst die Skepsis gegen die bisherige Energiepolitik - viele Experten gehen davon aus, dass sie sich von der Bohrtechnik abwenden werden, so wie die Atomenergie nach einem Reaktorunfall 1979 im Kraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg unter US-Bürgern unpopulär wurde.
Das Weiße Haus kämpft gegen das Desaster
Obama hat aber selbst erst Anfang April, kurz vor der "Deepwater Horizon"-Katastrophe, neue Bohrungen vor der Küste unterstützt. Nun sicherte er in einer eiligen Erklärung am Samstagabend zu, dass seine Regierung weiter "alle verantwortungsvollen Mittel, um dieses Leck zu stoppen" ergreifen werde. Jeder Tag, an dem weiter Öl austrete, sei "ein Angriff auf die Menschen der Golfküstenregion, ihre Existenz, und den natürlichen Reichtum, der uns allen gehört". Die Umweltkatastrophe mache wütend und sei zugleich "herzzerreißend". Und weiter: "Wir werden nicht ruhen, bis dieses Leck gestopft ist, bis das Wasser und die Küsten gereinigt sind - und die unschuldigen Opfer dieses von Menschen verursachten Desasters entschädigt wurden."
Es ist längst sein Desaster, auch wenn das Weiße Haus die Präsidenten-Mitteilung dazu mit "BP Oil Spill" überschreibt. Viele Amerikaner sind in Umfragen mit seinem Krisenmanagement unzufrieden, der Vergleich zur Kritik an Präsident George W. Bush nach dem "Katrina"-Desaster geistert wieder durch die Medien.
Dabei verhält Obama sich ganz anders als sein Vorgänger und übernimmt jede Verantwortung. "Doch die Amerikaner wollen ein Ende des Ölstroms, keine schönen Worte. "Erst hatten wir einen Präsidenten (Bush), der keinen Fehler zugeben wollte - nun haben wir einen, dem das Spaß zu machen scheint", höhnt die Washington Post.
Ohne Erfolg nützt beides nichts.