Unabhängiger Report Hinweise auf Betrug bei Irak-Wahl häufen sich

Soldaten sollen Bürger zur Wahl bestimmter Kandidaten gedrängt haben: Nach den Parlamentswahlen im Irak erheben angesehene Beobachtergruppen schwere Vorwürfe - in mehreren Provinzen habe es Unregelmäßigkeiten gegeben. "Das ändert am Ergebnis nichts", beteuert Regierungschef Maliki.
Wahlhelfer in Bagdad: Westliche Diplomaten halten die Vorwürfe für überzogen, aber gefährlich

Wahlhelfer in Bagdad: Westliche Diplomaten halten die Vorwürfe für überzogen, aber gefährlich

Foto: SABAH ARAR/ AFP

Acht Tage nach der zweiten Parlamentswahl im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 mehren sich die Hinweise, dass die Abstimmung nicht den internationalen Standards entsprochen haben könnte. In einem bislang nicht veröffentlichten Report, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, erheben drei angesehene irakische Nichtregierungsorganisationen schwere Vorwürfe. Danach könnte es bei dem Urnengang am vergangenen Sonntag zu teils schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten gekommen sein.

In mehreren Provinzen habe es Vorfälle gegeben, bei denen Soldaten und Polizei, die für die Sicherheit am Wahltag verantwortlich waren, Bürger aufgefordert hätten, bestimmte Listen zu wählen. Soldaten und Polizisten hätten Wahlbeobachter den Zutritt zu den Wahllokalen verwehrt und gar mehrere der offiziell bestellten Beobachter festgenommen. Bei den drei Institutionen, die diese Anschuldigungen erheben, handelt es sich um die Tammuz-Organisation für Soziale Entwicklung, das Wahlbeobachter-Team für Integrität und das Schams-Netzwerk für Wahlbeobachtung. Sie alle werden von westlichen Ländern unterstützt und waren mit insgesamt 41.652 Wahlbeobachtern in den 52.000 Wahllokalen am vergangenen Sonntag vor Ort.

Stimmabgabe "im Auftrag anderer"

In ihrem Bericht, der am Wochenende westlichen Beobachtern in Bagdad zugespielt wurde, führen die NGOs aus, in mehreren Provinzen habe die Anwesenheit Uniformierter punktuell eine geheime Wahl verhindert. Schon bei der Vorbereitung der Abstimmung sei nicht sauber gearbeitet worden. Tausende Wähler hätten ihren Namen auf keiner Liste finden können. In einigen Wahllokalen hätten Wähler Stimmen "im Auftrag anderer" abgegeben, andernorts hätten ganze Gruppen kollektiv abgestimmt.

Fotostrecke

Wahltag im Irak: Abstimmung unter Beschuss

Foto: BILL PUGLIANO/ AFP

Bereits am Donnerstag hatte das Bündnis des ehemaligen irakischen Ministerpräsidenten nach der Bekanntgabe erster Teilergebnisse der Auszählung Fälschungsvorwürfe erhoben. Bei der Abstimmung sei "massiv betrogen" worden, sagte ein hochrangiges Mitglied des nationalistischen Bündnisses Irakija, dem Sunniten und Schiiten angehören. Bis zu 250.000 Soldaten hätten aufgrund von Verfahrensfehlern nicht wählen können. Die ebenfalls für die Alawi-Liste kandidierende Frauenrechtlerin Maisun al-Damludschi ging so weit, von einer gestohlenen Wahl zu sprechen. Der Ärger darüber könne auch "auf die Straße schwappen", warnte Damludschi. Westliche Diplomaten werteten die Anschuldigungen als politisch motiviert. Die mutmaßlichen Wahlverlierer versuchten so, ihr schlechtes Abschneiden zu begründen. Beobachter in Bagdad glauben, dass sich die Vorwürfe als weit überzogen erweisen werden - dennoch seien sie gefährlich. Die Anschuldigungen würden das gerade erst wachsende Vertrauen der Iraker in staatliche Institutionen untergraben, so ein westlicher Diplomat.

In Bagdad macht sich unterdessen Unruhe breit: Die Tatsache, dass acht Tage nach der Wahl noch immer kein Ergebnis vorliegt, verunsichert viele Menschen. Die These, dass die Regierung sich Zeit lasse, ein für sie unliebsames Ergebnis zu beschönigen, ist Stadtgespräch. Viele Menschen treibt die Sorge um, dass ein Disput über das Wahlergebnis mit Waffengewalt ausgefochten werden könnte.

Gegen Verschwörungstheorien bezüglich einer möglichen Manipulation der Wahl empfehlen die drei Nichtregierungsorganisationen in ihrem Report für den nächsten Urnengang vor allem eins: zügigere Arbeit. "Die Bekanntgabe der Ergebnisse muss beschleunigt werden, um die Zweifel an der Fairness der Auszählung auszuräumen", so die Autoren des Berichts, der in den kommenden Tagen veröffentlicht werden soll.

Maliki räumt Manipulationen ein

Derweil räumte Ministerpräsident Nuri al-Maliki in einer vom staatlichen Fernsehen übertragenen Ansprache vor dem Nationalen Sicherheitsrat ein, dass es bei der Wahl Manipulationen gegeben habe. "Aber das ändert das Ergebnis nicht", fügte er hinzu.

Nach Bekanntwerden weiterer Teilergebnisse wächst der Vorsprung des Bündnisses Rechtstaat von Maliki. Die mit einem säkularen Programm angetretene Allianz des schiitischen Regierungschefs führt in sieben der 18 Provinzen, wie am Sonntag bekannt wurde.

An zweiter Stelle lag die Liste Irakija, die den bisherigen Zahlen zufolge in fünf Provinzen stärkste Kraft ist. Dicht gefolgt wurde sie von der schiitisch dominierten Irakischen Nationalallianz (INA), dem wichtigsten Konkurrenten des Maliki-Lagers um die Stimmen der größten Bevölkerungsgruppe des Landes. Die Teilergebnisse basierten auf der Auszählung von mehr als drei Millionen der insgesamt rund zwölf Millionen abgegebenen Stimmen. Mit einem Endergebnis wird erst in mehreren Wochen gerechnet.

Im südirakischen Basra gewann das Rechtsstaats-Bündnis den Zahlen zufolge mehr als doppelt so viele Stimmen wie die INA. Alawis Irakija-Bündnis schnitt unter anderem in den Sunniten-Hochburgen Anbar im Westen und Niniweh im Norden des Landes stark ab.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren