Polizei-Skandal in Ungarn Prügeltod auf der Dorfstation
Budapest - Angeblich hatte er eine Motorsäge gestohlen. Es war nur ein vager Verdacht, der Bestohlene hatte geglaubt, József Bara könne der Dieb sein. Zwei Polizisten verhafteten ihn gegen 17.30 Uhr und brachten ihn zur Vernehmung auf die nächstgelegene Polizeistation. Drei Stunden später erstatteten sie Meldung: Der Verdächtige sei beim Verhör zusammengebrochen und gestorben. Doch nach der Identifizierung des Toten sagte ein Bekannter, er habe ausgesehen wie "zu Brei geschlagen".
Die grausame Polizei-Prügelorgie, die mit dem Tod des 47-jährigen József Bara endete, spielte sich am vergangenen Montag in dem mittelungarischen Ort Izsák 100 Kilometer südlich von Budapest ab. Die ungarische Öffentlichkeit ist zutiefst entsetzt und empört über den Vorfall, die Tageszeitung "Népszava" spricht von "einem der dunkelsten Kapitel der ungarischen Polizeigeschichte".
Zwar wurden die beiden mutmaßlichen Täter, die Polizisten Csongor B. und Viktor B., bereits am Tag nach der Tat aus dem Dienst entlassen und kamen in Untersuchungshaft. Der ungarische Polizeipräsident Károly Papp versprach in einer Erklärung, dass sich "Izsák nicht wiederholen kann und darf".
Doch Vertreter von Bürgerrechtsorganisationen sehen in dem Fall nur die Spitze eines Eisbergs. "Die ungarische Polizei verhält sich oft missbräuchlich", sagt Levente Baltay, Rechtsanwalt und einer der Leiter der Gesellschaft für Freiheitsrechte (Tasz), eine der angesehensten NGO in Ungarn. "Zwar ist der Fall von József Bara unseres Wissens nach der einzige Fall von Polizeigewalt mit Todesfolge nach 1990, aber weniger schwere Gewaltakte und regelwidriges Vorgehen sind keine Seltenheit."
Für die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán kommt der Fall zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Am kommenden Mittwoch findet im Europaparlament eine Debatte über den Stand der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn statt. Anlass ist die kürzliche Verfassungsänderung, durch die unter anderem bereits zum wiederholten Male die Kompetenzen des Verfassungsgerichts eingeschränkt werden.
Die EU-Kommission droht Ungarn wegen der Verfassungsnovelle mit einem Vertragsverletzungsverfahren. Zudem bahnt sich ein neuer diplomatischer Skandal mit Rumänien an, denn József Bara war rumänischer Staatsbürger.
Das Bukarester Außenministerium verlangte in einer Stellungnahme eine strenge Bestrafung der Verantwortlichen und forderte zugleich, rumänische Stellen sollten permanent über den Stand der Ermittlungen unterrichtet werden.
Sofort handgreiflich geworden
József Bara stammte ursprünglich aus der nordwestrumänischen Stadt Sathmar und wohnte seit einigen Jahren im Dorf Orgovány südlich von Budapest. Seinen Lebensunterhalt verdiente der gelernte Maler mit Handwerksarbeiten aller Art. Ein Bekannter im Dorf hatte ihn beschuldigt, eine Motorsäge, die er ihm nach eigenen Angaben zur Reparatur gegeben hatte, verkauft zu haben; Bara bestritt das. Als die beiden inzwischen inhaftierten Polizisten Bara am vergangenen Montagnachmittag im Dorf aufgesucht hätten, so berichtete es seine Lebensgefährtin Andrea Szélhegyi in Lokalmedien, seien sie sofort handgreiflich geworden, hätten ihn brutal zu Boden geworfen und ihm Handschellen angelegt.
Auch für die Staatsanwaltschaft im zuständigen Verwaltungskreis Bács-Kiskun gibt es kaum Zweifel am Tathergang. Sie ermittelt gegen die beiden Polizisten wegen Todesfolge durch Körperverletzung. Bara sei an den Folgen "systematischer Misshandlungen" gestorben.
Trotz der schwerwiegenden Vorwürfe reagierten der ungarische Innenminister Sándor Pintér und der Landespolizeipräsident Károly Papp bisher nur knapp. In einer Stellungnahme der Polizeipräsidentschaft (ORFK) zu dem Fall heißt es, Ungarns Polizei arbeite im Rahmen des Rechtsstaats, kein Polizist dürfe sich über das Gesetz stellen. Innenminister Pintér wiederum sprach der Landespolizeiführung sein volles Vertrauen aus.
In der Bevölkerung stehen die Ordnungshüter in dem Ruf, häufig untätig, korrupt und nicht selten auch übergriffig zu sein. Ungarische Bürgerrechtsorganisationen beklagen seit langem eine hohe Zahl von Gewaltakten der Polizei gegenüber Bürgern. Laut einer Statistik des ungarischen Helsinki-Komitees wurden 2010 in mehr als tausend Fällen Polizisten angezeigt, doch nur in 44 Fällen kam es zur Anklageerhebung. Die Dunkelziffer der nicht angezeigten Fälle liege noch weitaus höher, vermuten Bürgerrechtler.
Zwar hatten Regierungschef Orbán und Innenminister Pintér bereits nach dem Zwei-Drittel-Wahlsieg der Regierungspartei Fidesz im April 2010 versprochen, binnen "zwei Wochen Ordnung zu schaffen" und die Polizei zu einer bürgernahen Institution umzugestalten. Verwirklicht wurde davon nach Ansicht vieler Ungarn nur wenig.
Stattdessen verabschiedete die Regierung beispielsweise 2011 ein Gesetz, das es der Polizei ermöglicht, Untersuchungshäftlinge 48 Stunden lang ohne Kontakt zu einem Anwalt festzuhalten. Solche Bestimmungen, so der Soziologe und ehemalige Lehrer an der Budapester Polizeiakademie Ferenc Krémer im ungarischen Fernsehsender ATV, begünstigten Fälle wie den von Izsák.