
Uno-Blauhelme unter Verdacht: Schutztruppen, die nicht schützen
Uno-Blauhelme in Zentralafrika Wie Helfer zu Verbrechern wurden
Der Missbrauchsskandal in der Zentralafrikanischen Republik markiert einen Tiefpunkte in der 70-jährigen Geschichte der Vereinten Nationen. Die Blauhelme, eine vom Uno-Sicherheitsrat mandatierte multinationale Truppe von 100.000 Soldaten, soll vor allem eines: Zivilisten schützen und kriegerische Konflikte eindämmen.
Doch zahlreiche Soldaten aus mehreren Ländern in der kleinen Zentralafrikanischen Republik taten das Gegenteil: Sie nutzten die Hilflosigkeit geflohener Frauen und Kinder aus und missbrauchten sie.
Die mutmaßlichen Täter gehören der Stabilisierungsmission für Zentralafrika (Minusca) an, sie stammen aus bis zu zehn Nationen. Vorwürfe gibt es gegen Soldaten aus Äquatorialguinea, Frankreich, Gabun, Georgien, dem Kongo, Marokko und dem Tschad. Die Übergriffe sollen vor allem in den Jahren 2014 und 2015 passiert sein - sie dauerten also über einen längeren Zeitraum an.
Zuletzt erhob am Donnerstag die US-Hilfsorganisation Aids-Free World neue schwere Anschuldigungen: Unter Berufung auf eine Untersuchung des Kinderhilfswerks Unicef heißt es, 98 Mädchen seien von französischen und gabunischen Soldaten missbraucht worden. In einem Fall soll es sogar zu erzwungenem Geschlechtsverkehr mit einem Hund gekommen sein.
Gravierende Vorwürfe gibt es en masse, gesichert ist bislang so viel:
- Die ersten Missbrauchsvorwürfe stammen von 2014 und richteten sich gegen Soldaten aus Frankreich, aus dem Tschad und aus Äquatorialguinea: In Interviews sammelte ein Uno-Mitarbeiter gemeinsam mit lokalen Unicef-Kollegen Informationen über den Missbrauch an sechs kleinen Jungen. Diese hatten Geld und Essen im Austausch für sexuelle Handlungen erhalten.
- Ein Uno-Bericht im Januar stellte außerdem 22 Missbrauchsfälle durch Uno-Soldaten im Jahr 2015 fest. Der stellvertretende Uno-Generalsekretär Anthony Banbury war bei der Verkündung der Zahlen den Tränen nahe. Wenige Tage später trat er von seinem Amt zurück - wegen des "kolossalen Missmanagements" bei der Weltorganisation.
Experten erkennen "institutionelles Versagen"
Der Missbrauch an zentralafrikanischen Flüchtlingen ist ein Skandal - doch für die Uno wiegt obendrein schwer, dass die Verantwortlichen ihn lange eher vertuscht als aufgearbeitet haben.
Im Dezember konstatierte ein unabhängiger Expertenbericht "institutionelles Versagen": Die Uno habe auf die ersten Vorwürfe völlig falsch reagiert. Die Autoren werfen hochrangigen Uno-Beamten vor, sie hätten ihr Amt missbraucht, als sie sexuelle Übergriffe durch Soldaten Frankreichs, Äquatorialguineas und des Tschad nicht sanktionierten.
Entwicklungshelfer hatten die Uno mehrfach über die Missbrauchsvorwürfe informiert, doch die Organisation blieb rund ein Jahr untätig. Im Juli 2015 trat die stellvertretende Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Flavia Pansieri, wegen des Skandals zurück.
Immerhin, eine Konsequenz gab es bislang: Ein Kontingent von 120 Soldaten der Demokratischen Republik Kongo, die unter Uno-Fahne dienen, steht unter Hausarrest und wird aus der Zentralafrikanischen Republik abgezogen. Erschreckend ist, dass der Ärger mit den kongolesischen Kräften erwartet worden war: Unter Berufung auf Uno-Diplomaten berichtet die "New York Times" , dass vor dem Einsatz der 800 Soldaten aus der Demokratischen Republik Kongo gewarnt worden war.
Zu der Armee des Kongo gehören Kräfte, die laut Human Rights Watch im Ostkongo schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Der Regionalfürst Jean-Pierre Bemba, Rebellenführer und für kurze Zeit Vizepräsident, ist für die systematischen Vergewaltigungen durch seine Rebellentruppe in der Zentralafrikanischen Republik unlängst verurteilt worden. Im Rahmen einer Amnestie gelangten ehemalige Rebellen auch in die nationalen Streitkräfte des Kongo.
Bis heute gibt es weder eine Anklage noch eine Verurteilung - nicht in Frankreich, nicht im Kongo und offenbar auch nicht bei den anderen betroffenen Truppenstellern. Uno-Diplomaten versichern immer wieder, es dürfe keine Straflosigkeit geben.
Als die Helfer von Aids-Free World am Donnerstag ihre neuen Vorwürfe erhoben, war die Reaktion der Uno in New York und Genf vorhersehbar: Bestürzung - und das Versprechen, dass so etwas nicht mehr vorkommen soll.
Am Freitag stellte der Uno-Untergeneralsekretär für Friedensmissionen, Hervé Ladsous, immerhin eine bessere Kontrolle in Aussicht. "Wir werden mit den Mitgliedstaaten die Möglichkeit erörtern, vor Ort Militärgerichte einzurichten", sagte er bei einem Besuch in der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui.
Ziel sei es, die Taten dort zu ahnden, wo sie begangen wurden, so Ladsous. Bislang liegen die Ermittlungen und die Strafverfolgung in der Verantwortung der jeweiligen Herkunftsländer der Uno-Soldaten. Ladsous schlug zudem vor, von den Soldaten vor ihrer Entsendung DNA-Proben zu nehmen, um im Verdachtsfall Vaterschaftstests zu ermöglichen.