Wahl zur Kommissionschefin Das Leyen-Theater

Kommissionspräsident Juncker, Nachfolgekandidatin von der Leyen (in Brüssel): "Eine Garantie gibt es nicht"
Foto: Francois Lenoir/ REUTERSEs hätte alles so schön sein können. Noch am Sonntag lief die Suche nach einem neuen EU-Kommissionspräsidenten bestens aus Sicht des EU-Parlaments. Zwar war der CSU-Politiker Manfred Weber, Sieger bei der Europawahl und Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, inzwischen aus dem Rennen. Zu viele der EU-Staats- und Regierungschefs stellten sich gegen ihn. Doch Webers sozialdemokratisches Pendant Frans Timmermans sah aus wie der Kompromisskandidat, auf den es hinauslaufen würde.
Als dann auch Timmermans nicht durchsetzbar war, schien Ursula von der Leyen wie aus dem Nichts zu kommen - sie schnappte sich die Nominierung. Im Europaparlament herrscht seitdem eine Mischung aus Schock, Wut und Enttäuschung.
Am größten ist der Frust bei den Sozialdemokraten, die sich schon als die Überraschungssieger des Postenpokers sahen. Der Grund ist nicht nur, dass es nun doch nicht Timmermans geworden ist. Auch das Spitzenkandidaten-Modell steht nun vor dem Aus, nachdem es erst bei der letzten Europawahl von 2014 zum ersten Mal zum Einsatz kam.
Die deutsche SPD-Spitzenfrau und nunmehrige EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley hat bereits angekündigt, von der Leyen bei der Abstimmung ihre Stimme zu verweigern. Auch viele in ihrer Fraktion würden von der Leyen ablehnen. Sie sei nicht als Spitzenkandidatin angetreten, außerhalb von Deutschland kenne sie in Europa niemand.
"Hinterzimmer-Kuhhandel ist grotesk"
Ähnlich äußerte sich Ska Keller, Co-Fraktionschefin der Grünen. "Dieser Hinterzimmer-Kuhhandel nach tagelangen Gesprächen ist grotesk", sagte Keller bei ihrer Bewerbungsrede um das Amt der Parlamentspräsidentin, das sie am Ende nicht bekam. Die seit Jahrzehnten erstmals wieder gestiegene Wahlbeteiligung bei der Europawahl sei ein "echtes Mandat für den Wandel". Aber was nun geschehe, "ist nicht das, was Europas Bürger verdienen".

Ska Keller
Foto: Frederick Florin/ AFPDas Spitzenkandidaten-Modell sollte Europa demokratischer, transparenter machen. Der Wähler sollte wissen, wer am Ende die Kommission anführen könnte. Und das Modell war auch Symbol des wachsenden Selbstbewusstseins des Europaparlaments.
Mit von der Leyen, so fürchten viele, kehren nun die unseligen Zeiten zurück, in denen der Kommissionspräsident von den Staats- und Regierungschefs ausgekungelt wurde und das Parlament ihn nur noch abnickte. Zugleich treibt viele Abgeordnete die Sorge um, ihren Wählern erklären zu müssen, warum sie ihr eigenes Wort gebrochen haben - denn vor der Wahl haben führende Vertreter des Parlaments immer wieder getönt, nur einen der Spitzenkandidaten zum Chef der Kommission zu küren.
Diese Befürchtungen gibt es fraktionsübergreifend bei Sozialdemokraten, Grünen und auch bei von der Leyens Parteifreunden von der EVP. Das macht die Sache für die Christdemokratin gefährlich. Ihre Wahl im Parlament, die voraussichtlich am 16. Juli stattfinden soll, könnte zur Zitterpartie werden.
Auf Fraktionsdisziplin kann von der Leyen nicht setzen
Bei 376 Stimmen wäre die notwendige absolute Mehrheit erreicht. Zu knapp aber sollte von der Leyen nicht kalkulieren, denn mit der Fraktionsdisziplin im Europaparlament ist es nicht weit her. Die Christdemokraten von der EVP hoffen, dass ihre Fraktion mehr oder weniger geschlossen abstimmt und auch nahezu alle Liberalen für von der Leyen sind, dazu mindestens die Hälfte der Sozialdemokraten und vielleicht einige Grüne. Doch auch das würde für eine Mehrheit womöglich nicht reichen.
Von der Leyen müsste sich dann wohl auch mit den Stimmen von Parteien wie der Fidesz von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán oder der polnischen PiS wählen lassen, die in ihren Heimatländern die Axt an den Rechtsstaat legen. Es wäre kein gutes Zeichen für ihre Amtszeit als Kommissionschefin - denn die Verordnungen, die ihre Behörde erlässt, müssen durchs Parlament.
Selbst in der EVP-Fraktion gibt es Bedenken gegen von der Leyen. Die Nachricht von ihrer Nominierung sei für viele deutsche Christdemokraten zunächst ein Schock gewesen, heißt es. Zwar sei der inzwischen weitgehend überstanden, aber die Verteidigungsministerin gelte in der Union trotzdem nicht gerade als Superstar.
Der Empfang der Fraktion bei ihrem ersten Besuch in Straßburg am Mittwoch sei denn auch freundlich, aber nicht enthusiastisch ausgefallen, berichteten Teilnehmer. Von der Leyen habe ihren Leuten versprochen, das Spitzenkandidaten-System neu zu gestalten, sodass es künftig auch vom Europäischen Rat akzeptiert wird. Wie dieses Wunder gelingen soll, verriet sie nicht.
"Eine Garantie, dass es klappt, gibt es nicht"
Zwar rechnet niemand damit, dass die EVP von der Leyen bei der Wahl im Parlament in den Rücken fällt. Aber dass die Fraktion geschlossen für die Ministerin stimmt, glauben auch Optimisten nicht. Die Zahl der Abweichler könnte am Ende so groß sein, dass die Unterstützung von Christ- und Sozialdemokraten sowie Liberalen nicht reicht - von der Leyen bräuchte die Grünen. "Eine Garantie, dass es klappt", meint ein EVP-Insider, "gibt es nicht."
Ursula von der Leyen im Videoporträt: Wie sie wurde, was sie ist
Einen ersten Warnschuss für von der Leyen gab es am Mittwoch bei der Wahl des neuen EU-Parlamentspräsidenten. Die Staats- und Regierungschefs wollten den Bulgaren Sergej Stanischew, damit einer der Topjobs der EU an Osteuropa geht. Das Parlament machte stattdessen den italienischen Sozialisten David Sassoli zum Präsidenten.
Damit hat es sich schon bei seiner ersten Abstimmung offen gegen den Rat der Regierungschefs gestellt - und zugleich die Viségrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei abgestraft, die erst Weber und dann Timmermans verhindert hatten.
Die Frage ist, ob sich die Abgeordneten damit ausreichend abreagiert haben - oder ob sie auch die Wahl von der Leyens nutzen wollen, um sich zu revanchieren.