
Prozess um die Entführung Abu Omars: Haftstrafen für CIA-Agenten
Urteil im Fall Abu Omar Italiens Justiz rechnet mit CIA-Kidnappern ab
25-mal lautete das Urteil: schuldig.
25-mal war es eine Abrechnung mit den Anti-Terror-Praktiken der Ära George W. Bush.
Im weltweit ersten Prozess, der sich um das Entführungsprogramm der nach den Anschlägen des 11. September 2001 drehte, ist an diesem Mittwoch in Italien ein eindeutiges Urteil ergangen. 23 US-Agenten wurden in Mailand in Abwesenheit zu Gefängnisstrafen verurteilt, wegen des Kidnappings des Islamisten Abu Omar. 22-mal lautete das Urteil auf fünf Jahre Haft; der ehemalige Mailänder CIA-Chef Robert Lady soll sogar für acht Jahre ins Gefängnis gehen. Drei US-Bürger wurden mit Verweis auf diplomatische Immunität freigesprochen.
Auch italienische Agenten waren angeklagt, doch bei ihnen war die Beweislage schwieriger: Zwei wurden wegen Komplizenschaft bei der Entführung zu drei Jahren Haft verurteilt. Fünf weitere mussten freigesprochen werden - Beweise, die ihre Kooperation mit den US-Agenten belegten, wurden als geheim eingestuft und konnten im Prozess nicht verwendet werden. Die Verurteilten sollen dem Richterspruch zufolge insgesamt eine Million Euro an Abu Omar und 500.000 Euro an seine Frau zahlen.
Im Detail ging es in dem Prozess um die Entführung des Islamisten am 17. Februar 2003, der damals in Mailand lebte. Der gebürtige Ägypter wurde auf offener Straße überwältigt, in einen weißen Lieferwagen gestoßen, zum Militärflughafen Aviano gebracht und über den deutschen US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein nach Ägypten ausgeflogen. Dort kam er ohne Anklage und ohne Anwalt in Haft, wurde nach eigener Aussage von einheimischen Ermittlern gefoltert (siehe Kasten links) und wurde erst am 11. Februar 2007 freigelassen.
International bekannt wurde der Fall erst, als der italienische Staatsanwalt Armando Spataro die Hintergründe zu recherchieren begann. Fünf Jahre lang hat er Puzzleteilchen an Puzzleteilchen gefügt - selten zuvor ist eine verdeckte CIA-Operation so minutiös rekonstruiert worden. Spataro hat dabei zu spüren bekommen, welche Folgen derart detektivische Ausdauer haben kann. Er wurde abgehört, der italienische Geheimdienst ließ ihn beobachten, es gab sogar Ermittlungen wegen Geheimnisverrats gegen ihn. Die Regierung versuchte immer wieder, ihn ruhigzustellen.
"Dieser Prozess wird auch zeigen, ob die politische Macht in Italien inzwischen in der Lage ist, unabhängige Ermittlungen zu beeinflussen - und ob ein Staatsanwalt eine Straftat noch immer als solche verfolgen darf", sagte Spataro vor dem Urteil. Nach dem Urteil zeigte er sich "sehr zufrieden". Auch wenn vermutlich keiner der US-Agenten wirklich ins Gefängnis muss, weil sie außerhalb Italiens leben: "Die Botschaft ist eindeutig", sagte Spataro SPIEGEL ONLINE. "Terrorismus muss im Rahmen der bestehenden Gesetze bekämpft werden." Er hoffe nun, dass in den USA "Mitglieder der Regierung Barack Obamas dieses Urteil zum Anlass nehmen, die Vorgänge um die geheimen CIA-Verschleppungen aufzuklären und offenzulegen".

Prozess um die Entführung Abu Omars: Haftstrafen für CIA-Agenten
Spataro kam es vor allem auf die Verurteilung an sich an - auch wenn Richter Oscar Magi beim Strafmaß weit hinter den Forderungen des Staatsanwalts zurückgeblieben ist. Spataro hatte jeweils 13 Jahre Haft für den damaligen römischen CIA-Chef Jeff Castelli und für Nicolò Pollari, den einstigen Chef des Militärgeheimdienstes Sismi, gefordert. Zwölf Jahre ins Gefängnis sollte Robert Lady, der verantwortliche CIA-Mann in Mailand, der die unrechtmäßige Entführung wohl ablehnte, aber trotzdem koordinierte.
Er sei unschuldig, hatte Lady noch im Juni in einem Interview beteuert. Abu Omars Entführung sei keine kriminelle Operation, sondern eine Staatsangelegenheit gewesen - "entschieden und ausgeführt im Namen des Kriegs gegen den Terror. Ich war nur ein Soldat in diesem Krieg". Seine italienische Pflichtverteidigerin, die Mailänder Anwältin Arianna Barbazza, forderte deshalb einen Freispruch für ihn und weitere elf US-Agenten, die sie vertrat. "Wenn sie verurteilt werden, dann werden Personen verurteilt, die Befehle ausgeführt haben", sagte sie vor dem Urteil SPIEGEL ONLINE. "In diesem Sinne ist dieser Prozess dann ein politischer Prozess." Man habe es nicht mit einer Gang von Banditen zu tun, die einen Araber entführt habe, sondern mit Leuten, die auf Anweisung gehandelt hätten.
Die italienische Staatsanwaltschaft hatte Lady strafmildernde Umstände angeboten, wenn er als Kronzeuge gegen die CIA aussagt. Aber das konnte und wollte der Ex-Agent wohl nicht annehmen - obwohl der US-Geheimdienst ihn längst hat fallenlassen. Lady wurde ein Anwalt verweigert und generell so getan, als fände der Prozess in Italien gar nicht statt. An diesem Mittwoch sagte ein Sprecher des Außenministeriums kaum mehr als: "Wir sind enttäuscht über dieses Urteil."
"Das hätte niemand mehr verstanden"
Dabei ist der CIA sehr wohl klar, wie brisant der Fall in Italien für sie ist. Spataro hatte zu Beginn der Ermittlungen nur eine Liste mit mehr als 10.000 verschiedenen Handy-Verbindungen in der Sache - mit ihnen als Grundlage und akribischer Recherche entwickelte er die komplette Anklage. Am Anfang glaubte er, nur die CIA sei an der Operation beteiligt - am Ende standen auch sieben italienische Agenten vor Gericht. Wie umfangreich seine Ermittlungen waren, zeigte schon die Länge seines Plädoyers. Allein für den ersten Teil Anfang Oktober brauchte er sieben Stunden, den zweiten schaffte er in knapp neun. Den Hergang der Ermittlungen schilderte er dem Gericht in einer aufwendigen Powerpoint-Präsentation: "Sonst hätte das niemand mehr verstanden."
Seine Gegner haben immer wieder versucht, ihn zu stoppen. Spataro untersuchte auch die Taten der eigenen Regierung, schilderte im Prozess Details der Zusammenarbeit von italienischem und US-Geheimdienst. Im März entschied das italienische Verfassungsgericht auf Betreiben der Regierung Silvio Berlusconis, dass alle Unterlagen über diese Beziehungen zwischen den Diensten dem Staatsgeheimnis unterliegen. Für den Staatsanwalt ein harter Schlag, denn viele Beweise zur Beteiligung italienischer Agenten an der Operation durfte er seither nicht mehr verwenden - darunter mitgeschnittene Telefongespräche und mehrere Zeugenaussagen wie jene des ehemaligen Sismi-Chefs Gianfranco Battelli. Er sagte, der italienische CIA-Chef Jeff Castelli habe ihn in einem Gespräch gebeten, bei Entführungen terrorverdächtiger Personen zu kooperieren.
Wie weit darf das Staatsgeheimnis gehen?
Andere Beweise zur Zusammenarbeit der Dienste brachte Spataro trotzdem vor Gericht ein, die Aussage des italienischen Carabinieri-Polizisten Luciano Pironi zum Beispiel. Er hatte Abu Omar auf der Straße gestoppt und nach Ausweispapieren gefragt, bevor die US-Agenten den Islamisten mit Reizgas attackierten. Pironi sagte aus, Robert Lady selbst habe angefragt, ob man bei der Operation mitmachen könne. Er habe gesagt, es gebe eine Vereinbarung von CIA und Sismi zur geplanten Entführung. Auch ein ehemaliger Oberst des italienischen Geheimdienstes bestätigte, dass der Sismi in die Planung der Tat eingeweiht war.
Ist nun auch diese Aussage als geheim einzustufen? Wie weit darf das Staatsgeheimnis gehen, für welche Dokumente gilt es tatsächlich? Zentrale Fragen in dem Mailänder Prozess - mit einer einfachen Antwort, sagte Spataro in seinem Schlussplädoyer: "Staatsgeheimnisse dürfen in einer Demokratie nicht als Vorwand benutzt werden, um eine kriminelle Handlung zu verschleiern."
Die Verteidiger warfen dem Staatsanwalt vor, seine gesamte Beweisführung sei unzureichend und basiere auf einer permanenten Verletzung des Staatsgeheimnisses. Sie forderten ausschließlich Freisprüche. Insofern hat der Mailänder Richter Magi an diesem Mittwoch nicht nur über Schuld oder Unschuld der italienischen und US-Agenten entschieden, nicht nur über die Rechtmäßigkeit von Entführungen im Anti-Terror-Kampf - sondern auch darüber, ob eine europäische Regierung sich unter dem Vorwand des Staatsgeheimnisses ihrer Verantwortung vor dem Gesetz entziehen darf.