Strafmaß für Bradley Manning Amerikas Warnung an alle Whistleblower

Der Prozess um den größten militärischen Geheimnisverrat in der US-Geschichte hat ein Ende. WikiLeaks-Informant Bradley Manning ist zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Es ist ein deutliches Signal des Gerichts: Enthüller können in den USA keine Gnade erwarten.
Bradley Manning: Unehrenhaft aus der Armee entlassen

Bradley Manning: Unehrenhaft aus der Armee entlassen

Foto: SAUL LOEB/ AFP

35 Jahre, das ist ein hartes Urteil. Und es ist ein Exempel. Wer einen 25-jährigen Whistleblower zu einer solchen Haftstrafe verurteilt, die seine bisherige Lebenszeit deutlich überschreitet, der setzt ein Ausrufezeichen. Im Fall von Bradley Manning hat Militärrichterin Denise Lind deutlich gemacht: Wer US-Geheimnisse verrät, der kann nicht mit Gnade rechnen. Heutzutage.

Manning, der Enthüller, ist verurteilt worden als Spion. Kaum ein Whistleblower in der Geschichte Amerikas hat eine ähnlich hohe Strafe bekommen wie er. Daniel Ellsberg etwa, der einst die sogenannten Pentagon-Papiere an die Presse gab und über die Aussichtslosigkeit des Vietnam-Kriegs aufklärte, musste am Ende überhaupt nicht ins Gefängnis.

Natürlich, 35 Jahre sind nicht 90 Jahre. Dies war das maximal mögliche Strafmaß für Manning. Die Anklage - also die US-Regierung - hatte in den vergangenen Tagen gefordert, ihn mindestens 60 Jahre wegzusperren. Und der WikiLeaks-Informant selbst hatte ja bereits im Februar teilweise Schuld eingestanden und damit eine Strafe von bis zu 20 Jahren Haft in Kauf genommen. Jedes Strafmaß unter dieser 20-Jahre-Marke wäre an diesem Mittwoch ein Sieg für Manning und Anwalt David Coombs gewesen.

So aber ist es ein schwerer Schlag.

Manning kann dennoch hoffen, nicht die gesamte Zeit absitzen zu müssen, denn eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung hat Richterin Lind nicht ausgeschlossen. Heißt: Möglicherweise muss Manning nur ein Drittel seiner Haftzeit verbüßen; ohnehin hat er bereits mehr als drei Jahre in Untersuchungshaft gesessen, außerdem werden ihm 112 Tage erlassen für die Isolationshaftschikanen während dieser Zeit. Am Ende könnte es also auf vielleicht neun, zehn Jahre Haft hinauslaufen, Manning wäre dann etwa 35 Jahre alt. Berufungsverfahren sind möglich, es könnte bis vor den Supreme Court gehen. Anwalt Coombs plant außerdem, ein Gnadengesuch für Manning bei US-Präsident Barack Obama einzureichen.

In 20 von 22 Punkten schuldig gesprochen

Das Urteil von diesem Mittwoch aber wird weit über den Tag hinaus wirken, weil es neue Maßstäbe für die Verfolgung von Geheimnisverrätern in Amerika setzt. Entschieden wie keiner seiner Vorgänger lässt Obama sie jagen. Abschreckung geht vor Image. Neben Manning müssen sich gegenwärtig sechs weitere Männer verantworten; und sollte Edward Snowden doch noch an die USA ausgeliefert werden, wäre er der siebte. Zudem wird gegen einen früheren Top-Militär ermittelt, dem vorgeworfen wird, der Presse Informationen über Cyber-Attacken gegen Iran gesteckt zu haben.

Manning, der nun auch unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde und sich ab heute also nicht mehr Obergefreiter nennen darf, hatte vor mehr als drei Jahren rund eine Viertelmillion geheimer Dokumente an WikiLeaks weitergegeben:

Bereits vor drei Wochen hatte Richterin Lind das generelle Urteil gesprochen, bevor es an die Bestimmung des Strafmaßes ging. Zwar ließ sie den schwerwiegendsten Vorwurf der Regierung gegen Manning - "Unterstützung des Feindes" - nicht gelten, doch sprach sie ihn in insgesamt 20 von 22 Punkten schuldig: Verstöße gegen das Spionagegesetz, Verstoß gegen die internen Regeln des Militärs, Diebstahl von Regierungseigentum, Computerkriminalität. Eine lange Liste. Über fünf Minuten sagte Lind wieder und wieder: schuldig, schuldig, schuldig.

Am Ende kamen jene maximal 90 Jahre zusammen, für die Manning hätte hinter Gitter geschickt werden können. Anwalt Coombs passte nach diesem Urteil Ende Juli seine Strategie an.

Die inneren Kämpfe Mannings

Zuvor hatte er den ganzen Sommer über Mannings Rolle als "Humanist" betont, wollte die Enthüllungen vor allem als Tat mit edlem Motiv verstanden wissen, als die Aktion eines "jungen, naiven Mannes mit guten Absichten", der die US-Öffentlichkeit informieren und zum Handeln bewegen wollte. Genau so hatte es auch Manning selbst im Februar dargestellt, als er die Weitergabe der Dokumente gestand. Er habe gehofft, in Amerika eine Debatte "über die Rolle des Militärs und unserer Außenpolitik" starten zu können, so Manning damals.

Doch als es nun um die Bemessung des Strafmaßes ging, verschob Anwalt Coombs den Fokus auf die inneren Kämpfe Mannings. Er präsentierte Gutachter, die Mannings Ringen mit seiner Geschlechteridentität beschrieben, seinen Stress, seine Isolation auf der US-Militärbasis im Irak just zu dem Zeitpunkt, als er die Dokumente an WikiLeaks weitergereicht habe.

Coombs' Argumentation: Die Militärs hätten Manning mit Blick auf seine Verfassung keinen Zugang zu klassifiziertem Material gewähren dürfen. Schließlich hatte sich Manning sogar einem Vorgesetzten in Bagdad anvertraut, hatte ihm ein Bild von sich in Frauenkleidern gemailt.

Ein Arzt attestierte Manning Merkmale fetalen Alkoholsyndroms, offenbar hatte seine Mutter während der Schwangerschaft schwer getrunken. Auch vom Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus, war die Rede. Dies alles habe Mannings Entscheidungen beeinträchtigt. Mannings Tante und Schwester traten auf, beide bestätigten den mütterlichen Alkohol- und Nikotinmissbrauch während der Schwangerschaft.

"Abschreckung lohnt sich"

Und schließlich war es Bradley Manning selbst, der in der vergangenen Woche mit einer unter großer Anspannung vorgetragenen Entschuldigung für Aufsehen sorgte: "Es tut mir leid, dass meine Aktionen anderen Menschen geschadet haben", erklärte er. "Es tut mir leid, dass sie den Vereinigten Staaten geschadet haben." Er habe damals "mit einer Menge Problemen" zu kämpfen gehabt.

Es war die Geschichte des Menschen Bradley hinter dem Whistleblower Manning, die da in den letzten Tagen in den Vordergrund trat. "Die Verteidigung ersucht Sie um ein Strafmaß, das es ihm erlaubt, noch ein Leben zu haben", bat Coombs die Richterin in seinem Schlussplädoyer. Und er wandte sich dagegen, Manning als Held zu zeichnen. Held oder Verräter, das seien alles nur Generalisierungen, "sie verstecken, wer er als Person ist".

Die Anklage dagegen blieb bei ihrer Linie, suchte Manning über Monate als Verräter aus Eitelkeit zu porträtieren: "Er verriet die Vereinigten Staaten und für diesen Verrat verdient er es, den Großteil seines verbleibenden Lebens hinter Gittern zu verbringen", so Ankläger Joseph Morrow in seinem Plädoyer. "Abschreckung lohnt sich", meinte er. Das Gericht müsse "eine Botschaft an jeden Soldaten senden, der darüber nachdenkt, die nationale Sicherheit zu gefährden".

Dass dies eine doch eher simple Annahme ist, zeigt schon der Fall Edward Snowden. Schließlich erklärte der NSA-Informant gleich nach seinen Enthüllungen, er habe sich von den Taten Mannings inspirieren lassen.

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