
US-Drohnenkrieg Siegeszug der leisen Killer
Die Drohnen kreisten im Norden Waziristans, dem Krisengebiet an der pakistanisch-afghanischen Grenze, dann schlugen sie zu. Vier Aufständische wurden bei dem Einsatz der Flugkörper am Mittwoch nach Geheimdienstangaben getötet. Stammesführer beklagen sich bitter über den Einsatz der Drohnen: "Sie attackieren Zivilisten, sie töten Frauen, Kinder und ältere Menschen."
Zwar kritisiert Pakistans Regierung die Angriffe und äußert offiziell die Hoffnung, dass Washington seine Strategie ändert. Doch hinter den Kulissen hört sich das oft anders an. US-Präsident Barack Obama war noch nicht vereidigt, da trafen sich Michael Hayden, damals CIA-Chef, und Pakistans Präsident Asif Ali Zardari in der Präsidentensuite des Hotel Intercontinental in New York. Es sollte um die US-Drohnenangriffe gehen, und es wurde, so berichtet Starjournalist Bob Woodward in seinem neuen Buch "Obamas Wars", ein ungewohnt offenes Gespräch.
Hayden sprach auch freimütig über die zahlreichen Opfer, die bei den US-Attacken ums Leben kommen - um herauszufinden, wie besorgt Zardari war. Aber Zardari war gar nicht besorgt: "Kollateralschäden machen nur den Amerikanern Sorgen", sagte der pakistanische Politiker. "Mich kümmern sie nicht."

Das Gespräch ist ein seltener Blick in die Grauzone der Kriegspolitik. Offiziell ist Pakistan gegen den Drohnenkrieg, aber insgeheim stützt das Land die US-Politik. Es ist ein Pakt für Obamas dritte Front in der islamischen Welt. Einen Krieg, der sich zu Hause nicht wie ein Krieg anfühlt.
Denn auf Seiten des US-Militärs kommt dieser Krieg ohne Opfer aus, das macht ihn daheim so populär. Es ist ein Krieg ohne Kondolenzschreiben, ohne Kriegerwitwen, ohne Kriegsveteranen, ein verkaufbarer Krieg.
Aber ist der Drohnenkrieg auch Obamas letzte Chance, Fortschritte zu machen an der afghanisch-pakistanischen Grenze, die als wichtigster Rückzugsort für islamische Terroristen gilt? Lässt er sich auch bei jenen rechtfertigen, die er trifft, wie die Einwohner Pakistans?
"Der Krebs sitzt in Pakistan"
Das Land war von Beginn an Obamas bevorzugte Front. "Wir müssen den Leuten klarmachen, dass der Krebs in Pakistan sitzt", zitiert Woodward den Präsidenten. Und womit sollte Washington sonst attackieren. Also weitete Obama die Drohnenangriffe aus. Allein im vergangenen September gab es zum Beispiel 21 Attacken auf Kämpfer von al-Qaida und Taliban, bei denen über 100 Menschen ums Leben kamen. In den ersten 13 Monaten seiner Amtszeit hat der Demokrat Obama mehr Raketen aus ihnen abfeuern lassen als Vorgänger George W. Bush in acht Jahren. 74 Attacken waren es in Pakistan bislang dieses Jahr. Obama begriff, dass er entschlossen wirken konnte im Kampf gegen den Terror - aber nicht kriegslüstern. Das ist besonders wichtig in Pakistan, wo US-Truppen anders als am Hindukusch eigentlich nicht innerhalb der Landesgrenzen tätig sein dürfen.
Ein komfortabler Krieg, aus den Kellern der CIA-Zentrale gesteuert
Die Experten des US-Geheimdienstes haben inzwischen weitgehend freie Hand erhalten, der Präsident muss nicht mehr jeden Angriff genehmigen. Bruce Hoffman, Terrorexperte an der Georgetown University, sagt: "Der Drohnenkampf wird in Washington als die wirkungsvollste Methode angesehen, möglichst viele Schurken zu töten, bei möglichst geringen eigenen Verlusten." Und Peter Singer von der Brookings Institution wundert sich: "Dazu hat es innerhalb der Regierung gar keine umfassende Debatte gegeben. Es scheint völlige Einigkeit zu herrschen."
Der virtuelle Krieg ist schließlich komfortabel. Er lässt sich aus klimatisierten Computerräumen führen, und die Krieger können abends als Fahrgemeinschaft nach Hause fahren. CIA-Drohnen werden aus den Kellern der Zentrale in Langley vor Washington gesteuert, häufig von Geheimdienstlern oder Soldaten im Ruhestand.
Davon profitiert auch die Industrie: Die Nachfrage von Militärs und Geheimdiensten ist so groß, dass Herstellerfirmen mit der Produktion nicht mehr nachkommen. Seine Branche boome "wie die Luftfahrtindustrie im Zweiten Weltkrieg", freut sich Insitu-Chef Steven Sliwa, dessen Firma im Drohnengeschäft aktiv ist.
Juristen sehen Völkerrecht verletzt
Doch die Bedenken gegen die Einsätze bleiben. Gleich bei Obamas erster Drohnenattacke, die er an seinem dritten Tag im Amt befahl, starben vier Terroristen - aber bis zu viermal so viele Zivilisten. Peter Bergen von der New America Foundation in Washington geht davon aus, dass rund ein Drittel der Todesopfer bei Drohnenattacken Zivilisten sind.
Die Aktionen des Geheimdienstes CIA seien eine "klare Verletzung des Völkerrechts", klagt die Juristin Mary Ellen O'Connell. Wegen der fehlenden Rechtsgrundlage könnten verantwortliche CIA-Mitarbeiter in anderen Ländern angeklagt werden. Der Vorwurf würde dann lauten: Mord. CIA-Sprecher George Little kontert: "Die Anti-Terror-Operationen erfolgen in strenger Einhaltung des geltenden Rechts."
Schwerer zu leugnen ist ein anderes Problem. Die vermeintlichen Wunderwaffen sind störanfällig. Unfallberichte des US-Verteidigungsministeriums zeigen: Systemstörungen, Computerfehler und menschliches Versagen kommen beim Drohneneinsatz häufig vor.
38 Predator- und Reaper-Drohnen sind im Kampfeinsatz in Afghanistan und im Irak schon abgestürzt, neun weitere bei Testflügen auf Militärbasen in den USA. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war die neue Wunderwaffe sofort gefragt. "Die Drohnen waren damals noch gar nicht fertig für den Kriegseinsatz", sagt Travis Burine, Manager der Air Force Unmanned Aircraft Systems Task Force. "Wir hatten keine Zeit, Probleme auszubügeln."
Die Drohnenattacken sorgen inzwischen auch für Frust beim wichtigen Verbündeten Pakistan. Die Regierung dort mag die Angriffe dulden. Doch das Volk hasst sie. Eine Gallup-Umfrage ergab, dass nur neun Prozent der pakistanischen Bürger den Drohnenkrieg gutheißen. Wohl auch, weil sie spüren, dass dieser oft von der US-Innenpolitik gelenkt wird - wie der derzeitige rasante Anstieg von Drohnenangriffen nahelegt.
Washington will gerade wieder den Druck auf Pakistan erhöhen, endlich entschlossener gegen Terroristen an der Grenze mit Afghanistan vorzugehen - und so auch die stark gestiegene Zahl toter US-Soldaten am Hindukusch wieder senken. Schließlich steht im Dezember die Überprüfung von Obamas Afghanistan-Strategie an. Da sind solche Zahlen sehr wichtig.