US-Haushaltsstreit Schulden-Schlamassel lähmt Washington

Republikaner-Sprecher Boehner, Präsident Obama: Heftiges Gerangel beider Lager
Foto: JEWEL SAMAD/ AFPLawrence Summers, bis voriges Jahr Barack Obamas wichtigster Wirtschaftsberater, sitzt in seinem Ferienhaus auf Cape Cod, er will mit dem SPIEGEL über die Euro-Krise sprechen. Summers vermag flüssig zu erklären, wie Europa wieder aus der Krise kommen kann. Doch dann muss er über die eigene Heimat reden, und auf einmal wirkt selbst der brillante Ökonom Summers ziemlich ratlos.
"Niemand bestreitet, dass die USA ernsthafte Schuldenprobleme haben", sagt der ehemalige US-Finanzminister. "Die muss man angehen. Aber wie einige Politiker in Washington mit der Kreditwürdigkeit unseres Landes spielen, um ihre eigene politische Agenda durchzudrücken, finde ich unbeschreiblich."
Harvard-Professor Summers ist nicht der Einzige, der das aktuelle Theater in Washington nicht mehr verstehen kann. Immer kürzer wird die Frist, bis der Staatsbankrott angemeldet werden muss. Stimmt der US-Kongress bis zum 2. August nicht für neue Kredite, obwohl die aktuelle Staats-Schuldengrenze von 14,3 Billionen Dollar bereits überschritten ist, können die Vereinigten Staaten von Amerika zum ersten Mal in ihrer Geschichte ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen.
Millionen Empfänger staatlicher Leistungen würden dann vergeblich auf ihre Zahlungen warten, die Weltfinanzmärkte gerieten vermutlich in Aufruhr. Eine Vorstellung, vor der es Summers graust. "Es ist ein Riesenunterschied, ob man seine Schulden nicht bezahlt, weil man es nicht kann - oder weil man sich entscheidet, bankrottzugehen", sagt er. "Alle, die mit diesem Gedanken spielen, bedrohen das Fundament von Amerikas Finanzsystem."
Klima in Washington vergiftet
Doch eine Einigung ist weiter nicht in Sicht. Bis Sonntagnachmittag hatte John Boehner, Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, einen Kompromissvorschlag versprochen - pünktlich, bevor die asiatischen Börsen am Montagmorgen wieder öffnen und den Dollarkurs abstrafen könnten.
Doch auch diese Frist verstrich ohne klare Ansage. Boehner, der in den vergangenen Wochen mehrfach mit Präsident Obama verhandelte, erging sich lieber in Seitenhieben auf den Mann im Weißen Haus: "Der Präsident macht sich Sorgen um seine Wiederwahl. Aber, mein Gott, sollten wir uns nicht eher um unser Land Sorgen machen?", sagte Boehner in der TV-Sendung "Fox News Sunday".
Das Klima in Washington scheint vergiftet. Präsident Obama traf sich am Sonntag nur noch mit demokratischen Vertrauten im Oval Office, vorerst gibt es keine Unterredungen mehr mit Top-Republikanern. Am Freitag, nach gescheiterten Gesprächen mit der Opposition, hatte Obama seinem Ärger über die Konservativen freien Lauf gelassen: "Können sie zu irgendetwas ja sagen?", murrte er vor Journalisten.
Rettung auf Zeit
Längst ist nicht mehr klar, zu welchem Vorschlag welche Seite ja sagen soll, so viele verschiedene Pläne kursieren mittlerweile in Washington. Die Demokraten im Senat arbeiten an einem Vorstoß, der rund 2,7 Billionen Dollar Kürzungen der Staatsausgaben vorsieht - aber keine deutlichen Einschnitte bei Sozialprogrammen, die Demokraten besonders wichtig sind. Allerdings wären auch Steuererhöhungen, für Republikaner ein rotes Tuch, nach diesem Plan vorerst tabu. Gleichzeitig würde die US-Schuldengrenze um etwa den selben Betrag erhöht. Damit wäre die US-Regierung zumindest bis Ende 2012 solvent.
Republikaner-Boss Boehner treibt unterdessen einen eigenen Plan voran, der aus zwei Schritten bestehen soll: Eine Erhebung der Schuldengrenze um zunächst nur eine Billion Dollar, genug für die Zahlungen bis zum Ende dieses Jahres. Anschließend soll eine Kommission sicherstellen, dass weitere Ausgabenkürzungen und eine Anpassung des Steuerrechts folgen.
Noch ist aber unklar, wie viel Rückendeckung Boehner für diesen Vorstoß in den eigenen Reihen hat. Eric Cantor, Boehners einflussreicher Stellvertreter und respektiert beim radikalen Tea-Party-Flügel der Konservativen, beeilte sich zu betonen, dass jeder zusätzliche Dollar an Schulden durch Einsparungen ausgeglichen werden müsse - und Steuererhöhungen dürfe es auf keinen Fall geben.
Staatsbankrott rückt näher
Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass Obama im Alleingang die Schuldengrenze anhebt. Nach dem 14. Zusatzartikel der US-Verfassung wäre dies theoretisch wohl möglich, Ex-Präsident Bill Clinton empfahl seinem Nachfolger, einfach mit diesem Kniff vorzupreschen - und zu sehen, ob Richter ihn stoppen könnten. Denn Verfassungsjuristen streiten, ob diese Maßnahme von der Verfassung gedeckt wäre.
Doch Obama ließ bereits durchblicken, dass seine Juristen ihm von einem solchen Schritt abgeraten hätten.
Die Zeit drängt. Vermutlich bis Mittwoch wollen die Republikaner im Repräsentantenhaus, wo sie die Mehrheit halten, ihren Vorstoß zur Abstimmung bringen. Die Demokratenmehrheit im Senat könnte nach US-Medienberichten eine Abstimmung über ihre Initiative bis Ende der Woche anpeilen.
Je näher die Frist des Staatsbankrotts rückt, desto heftiger wird das politische Gerangel beider politischen Lager. Die Republikaner fürchten sich mittlerweile davor, als Partei der Neinsager dazustehen. Sie wissen, dass immer mehr Amerikaner sie in Umfragen für den Stillstand in Washington verantwortlich machen. Zudem müssen sie mit parteiinternem Knatsch fertig werden. Boehner wirkt geschwächt, seit er mehrmals die Stimmen der radikalen Tea-Party-Bewegung nicht hinter sich vereinen konnte.
Doch auch das Weiße Haus macht sich Sorgen - vor einem Kompromiss, der das Schuldenproblem nur kurzfristig aufschiebt und eine Neuauflage des Parteienstreits für das Wahlkampfjahr 2012 garantiert. "Der Präsident glaubt, dass wir diese Unsicherheit aus unserem System schaffen müssen", sagte sein Stabschef William Daley dem TV-Sender NBC.
Obama muss im Wahljahr schon mit der ungewöhnlich hohen Arbeitslosenquote fertig werden, für die ihn viele US-Wähler direkt verantwortlich machen. Da kann er nicht noch eine weitere Schuldendebatte gebrauchen.
Vielleicht kommt die aber ohnehin auf ihn zu: Nach Einschätzung von Experten könnte die Kreditwürdigkeit der USA abgesenkt werden, egal ob sich die Streitparteien in Washington noch rechtzeitig einigen oder nicht.