US-Memos zu Korruption Auf der Spur der russischen Paten

Etliche US-Depeschen aus dem WikiLeaks-Fundus erschüttern den Glauben an den Rechtsstaat Russland. Argwöhnisch beobachten die Diplomaten die wachsende Macht mafiöser Clans und Großkrimineller - und deren angebliche Kontakte in die Moskauer Staatsspitze.

Der geheime Botschafterbericht liest sich wie die Beschreibung einer kleinen Bananenrepublik: Der hauptstädtische Oberbürgermeister pflege angeblich "Verbindungen in die Verbrecherwelt", einige seiner Freunde, darunter ein Parlamentsabgeordneter, seien schlicht "Banditen". Und die Verwaltung kassiere "regelmäßig Schmiergelder von Unternehmen". Das Stadtoberhaupt kontrolliere, behaupten die Amerikaner, "ein System, in dem es so aussieht, dass jeder auf jeder Ebene in eine Form von Korruption oder kriminellem Verhalten verwickelt ist".

Die US-Depesche vom 12. Februar 2010 stammt aus der Hauptstadt des größten Flächenlands der Welt, aus Moskau. Zwar feuerte Russlands Präsident Dmitrij Medwedew Ende September den Bürgermeister Jurij Luschkow, weil er nicht mehr das Vertrauen der Regierung besitze. Doch die Memos amerikanischer Diplomaten dokumentieren, dass die Mafia derart tief in der russischen Gesellschaft verankert scheint, dass einer mehr oder weniger auch nicht viel ausmacht. Zumal einige der Strippenzieher angeblich den Segen von Leuten in Kreml und Sicherheitsdiensten haben.

Selbst ein harter Kurs westlicher Ermittler gegen angebliche Moskowiter Mafiosi richtet da wenig aus, das legen etwa Memos der US-Botschaft in Madrid nahe: Spanische Fahnder gingen in Sommer und Herbst 2008 mit Hausdurchsuchungen und Verhaftungen gegen diverse mutmaßliche Mitglieder der Russen-Mafia vor.

So filzten sie im Oktober 2008 auf Mallorca das Ferienhaus eines Russen namens Wladislaw Resnik und erwirkten auch einen Haftbefehl. Die Spanier verdächtigen den Mann unter anderem der Geldwäsche. Resnik bestreitet die Vorwürfe. Und der Haftbefehl ist wenig wert. Der Mann lebt unbescholten in Moskau und muss eine Auslieferung nicht fürchten. Er leitet das Komitee für Finanzmärkte in der Staatsduma, dem russischen Parlament. Premierminister Wladimir Putin nennt ihn bei seinem Kosenamen "Slawa" (russisch für Ruhm) - der Regierungschef hat den Multimillionär in das Präsidium seiner Partei "Einiges Russland" aufsteigen lassen und auch noch zum Fraktionsvize in der Staatsduma.

Die "öffentlichen Erklärungen hoher spanischer Beamter" im Sommer 2008, sie hätten erfolgreich gegen diverse Verdächtige ermittelt und die russische Mafia in Spanien "enthauptet", seien denn wohl auch eher "einem Moment der Euphorie" geschuldet. Sie "spiegeln nicht die gegenwärtige Realität wider" - so heißt es in einem Botschaftsbericht vom Oktober 2009.

"Der Fischfang gilt als kriminellste Branche im russischen Fernen Osten"

Ein für Korruption und Organisierte Kriminalität zuständiger spanischer Staatsanwalt zog im Januar 2010 in einem vertraulichen Gespräch mit dem US-Botschafter ein Fazit seiner mehrjährigen Ermittlungen gegen die Russen-Mafia - es klingt verheerend: Der Ermittler klagt, dass die "Eurasische Mafia" in Spanien nicht nur "die besten Anwälte des Landes" engagiere - wirklich schlimm sei die Verfilzung von krimineller und staatlicher Macht in Russland, Weißrussland und dem zu Russland gehörenden Tschetschenien. Das seien "praktisch Mafia-Staaten". Und die Ukraine sei auf dem Wege, einer zu werden. "Man kann nicht mehr zwischen den Aktivitäten der Regierung und der Organisierten Kriminalität unterscheiden", so der Top-Ankläger.

Wortlaut: Die wichtigsten Depeschen zum Thema

Vor allem der einst von Putin geleitete russische Inlandsgeheimdienst FSB "absorbiere" die Großkriminellen regelrecht. Die "russische Mafia", klagte der Spanier, habe bereits eine "enorme Kontrolle" über "bestimmte strategische Bereiche der Weltwirtschaft", etwa in der Aluminiumproduktion.

Dass mafiöse Clans auch in Russlands Provinzen mächtig sind, machen Berichte des US-Konsulats in Wladiwostok deutlich. Die Hafenstadt am Pazifischen Ozean ist danach ein Dorado für Ganoven. "Der Fischfang gilt als die kriminellste Branche im russischen Fernen Osten", bilanziert eine Nachricht der US-Vertretung. In der Gegend, die an die Volksrepublik China und Nordkorea grenzt, beobachten die Diplomaten zudem die "größten illegalen Waldabholzungen in Russland", so eine Depesche vom Januar 2009, dank "Korruption und Komplizenschaft der Behörden". Auch 6600 Kilometer weiter westlich scheint Russland von einem funktionierenden Rechtsstaat weit entfernt zu sein, unterstellt ein Dossier der Moskauer Botschaft über die russische Teilrepublik Tschetschenien: Der Stil des dortigen Präsidenten Ramsan Kadyrow basiere, behaupten die Amerikaner, auf "Organisierung der Korruption".

"Mehr als zehn Milliarden Dollar gewaschen"?

In Mafia-Manier, so der Verdacht der US-Diplomaten, sorge Kadyrow für die "Beseitigung potentieller Rivalen". So sei er "eindeutig die stärkste Figur im Kaukasus" geworden. Und Kadyrow agiere mit Rückendeckung des Kreml: Wladislaw Surkow, Vize der Präsidialverwaltung und Sohn eines Tschetschenen, halte, behauptet der Autor eines Memos, "enge Verbindungen zu Kadyrow".

Viele jener Männer, die von Amerikas Diplomaten misstrauisch beobachtet werden, pflegen beste Kontakte nach Israel. Ein ehemaliger Führungsfunktionär der russischen jüdischen Gemeinden berichtete den US-Diplomaten, die russische Regierung hoffe, nach Israel ausgewanderte Juden als "Brücke" nutzen zu können. Vielleicht könnten sie Investitionen fördern und "Russland Zugang zu israelischen Technologien" verschaffen.

Doch Handel und Wandel zwischen Russland und Israel hätten auch ihre Schattenseiten, resümiert ein Bericht der US-Botschaft in Tel Aviv vom Mai 2009: "Viele russische Oligarchen jüdischer Abstammung und jüdische Mitglieder von organisierten kriminellen Gruppierungen haben die israelische Staatsbürgerschaft erhalten oder einen ständigen Wohnsitz im Land." Nach Schätzungen von Quellen der Amerikaner in Israels Behörden habe die russische Organisierte Kriminalität in wenigen Jahren "mehr als zehn Milliarden US-Dollar durch israelische Holdings gewaschen".

Das russische Business als Gefahr

Dass Russlands hemdsärmelige Geschäftsleute die Landesgrenzen auf breiter Front überschritten haben, davon künden weitere Depeschen. Die Diplomaten berichten beispielsweise über die angeblich "undurchsichtigen hochriskanten Gasgeschäfte" zwischen Russland und der Ukraine mit Hilfe der Zwischenhandelsfirma RosUkrEnergo. Das Unternehmen, das dem Moskauer Energiegiganten Gazprom sowie zwei ukrainischen Geschäftsleuten gehört, kassierte von Januar 2006 bis Januar 2009 für russische und turkmenische Gaslieferungen an die Ukraine.

Alarmiert sind die Amerikaner über unbestätigte Gerüchte, nach denen ein alter Bekannter dabei mitmischen soll: Die US-Bundespolizei FBI fahndet nach Semjon M. - einem Staatsbürger Israels, Russlands, der Ukraine und Ungarns - wegen zahlreicher Betrugsdelikte. Der Mann gilt den Amerikanern als ein führender Kopf der russischen Unterwelt und ist eigentlich leicht zu finden: Er lebt ungestört bei Moskau.

Etwas mehr über ihn erfahren US-Diplomaten von einem Top-Mann der RosUkrEnergo, der überraschend den amerikanischen Botschafter in Kiew anruft und um einen Termin bittet. Was der Gast in einem zweieinhalbstündigen Gespräch dem Botschafter berichtet, bestätigt Befürchtungen: Das russische Business sei eine der "größten Bedrohungen für die Sicherheit" der Ukraine. Einer der RosUkrEnergo-Eigner habe "Verbindungen zu der Figur des organisierten Verbrechens Semjon M.". Der RosUkrEnergo-Mitbesitzer - nach Botschaftereinschätzung "einer der mächtigsten Menschen der Ukraine" - habe sogar das "Einverständnis" des mutmaßlichen Mafioso gebraucht, "um ins Geschäft einzusteigen".

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