US-mexikanischer Waffenschmuggel Das schmutzige Geschäft mit dem Tod

Zwischen den USA und Mexiko floriert ein tödliches Geschäft: Amerikanische Schieber beliefern die Drogenkartelle mit Waffen, mexikanische Gangster bedienen die Rauschmittelsucht der Nachbarn im Norden. Der US-Kongress schaut tatenlos zu.
US-Einsatzkräfte in der Nähe der mexikanischen Grenze: Waffenschmuggel und Drogenhandel

US-Einsatzkräfte in der Nähe der mexikanischen Grenze: Waffenschmuggel und Drogenhandel

Foto: JOHN MOORE/ AFP

Jaime Zapata sitzt am Steuer, sein Kollege Victor Avila auf dem Beifahrersitz. Die beiden Agenten des US-Grenzschutzes sind in ihrem gepanzerten SUV unterwegs von einem Einsatz im Norden Mexikos zurück zu ihrem Standort in der Hauptstadt Mexico City. Sie essen in einem Subway-Schnellrestaurant am Rande des vierspurigen Highways 57 zu Mittag, dann fahren sie arglos weiter.

Plötzlich werden sie von zwei anderen Wagen ausgebremst. Mehrere Mexikaner mit Gewehren versuchen, Zapata und Avila auf die Straße zu zerren. Schließlich stecken sie ein Gewehr und eine Pistole durch das halboffene Autofenster und beginnen, wild zu schießen.

Zapata wird in den Bauch getroffen, Avila ins Bein. Trotzdem schafft es Zapata noch, den Wagen an den Attentätern vorbeizusteuern. Kurz darauf sinkt er über dem Lenkrad zusammen, der SUV rollt in einen Graben. Die Killer holen auf, feuern noch einige Salven ab und fliehen dann. Als die Polizei eintrifft, ist Zapata, 32, verblutet. Avila überlebt den Angriff vom Februar verletzt.

Die Fahnder stellen 83 Patronenhülsen sicher. Ballistiktests ergeben später, dass es sich bei einer der Waffen um ein rumänisches AK-47-Sturmgewehr handelt, das im Oktober 2010 von einem mutmaßlichen US-Waffenschmuggler ganz legal in einem texanischen Laden gekauft worden und danach in den Händen des mexikanischen Zetas-Drogenkartells gelandet ist. Der Verdächtige und zwei Freunde werden Anfang März angeklagt, Dutzende US-Gewehre über die Grenze geschafft zu haben.

USA liefern Waffen für den Drogenkrieg in Mexiko

Seit Jahren schon steckt Mexiko in einem blutigen, aussichtslos erscheinenden Kampf gegen Drogengangs und Mafiosi. In den vergangenen vier Jahren sind dabei Zehntausende Menschen umgekommen, Mexikaner wie Amerikaner, Zivilisten, Cops, Soldaten. Der Fall Zapata war keine Ausnahme: Immer wieder stellt sich dabei heraus, dass die todbringenden Schusswaffen aus dem Nachbarland USA stammten.

Die Statistiken bilden die Situation zwar zeitlich ein wenig nach hinten versetzt ab, doch die Tendenz ist klar: Nach Angaben des US-Rechnungshofs GAO kamen mehr als 20.000 Waffen, die mexikanische Fahnder zwischen 2004 und 2008 bei Kriminellen einkassierten, aus den USA. Das sind 87 Prozent aller Waffen, deren Herkunft die Ermittler zuordnen konnten. Zuletzt, so der GAO, seien es sogar "mehr als 90 Prozent" gewesen. Etwa 68 Prozent seien in Amerika hergestellt, rund 19 Prozent aus Drittländern über die USA nach Mexiko geschmuggelt worden. Auch die US-Waffenbehörde ATF (Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives) schließt sich dieser Einschätzung an. Die Hinweise darauf, dass Schusswaffen illegal über die US-mexikanische Grenze geschafft würden, nähmen deutlich zu.

Clinton sieht "unersättliche Nachfrage nach Drogen" als Ursache

Die Regierungen in Washington und Mexiko haben das Problem in seiner Dramatik durchaus erfasst, unternehmen bisher aber wenig. Und das, obwohl die USA im Drogenkrieg der Mexikaner eine doppelte Hauptrolle spielen: Die meisten Rauschmittel (Heroin, Methamphetamine, Marihuana) werden in den USA konsumiert - und die meisten Waffen in den USA hergestellt.

Außenministerin Hillary Clinton hat längst den US-amerikanischen Beitrag zu der eskalierenden Situation offiziell eingeräumt: "Unsere unersättliche Nachfrage nach illegalen Drogen facht den Drogenhandel an", sagte sie bereits 2009 bei einem Besuch in Mexico City. "Unsere Unfähigkeit, den illegalen Waffenschmuggel über die Grenze zu verhindern, verursacht den Tod von Polizisten, Soldaten und Zivilisten." Doch Abhilfe ist nicht in Sicht.

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Der Aufschwung des Waffenschmuggels begann 2004, als der US-Kongress das Verbot von Sturmgewehren auslaufen ließ. Seitdem ist es für Verbrecherbanden ein Leichtes, solche Waffen in den USA zu kaufen und dann massenhaft über die Grenze zu transportieren. Doch bisher blieben alle Versprechungen der amerikanischen Behörden, dagegen einzuschreiten, unerfüllt, nicht zuletzt wegen des politischen Einflusses der mächtigen US-Waffenlobby NRA.

Der Handel konzentriert sich auf zwei Gruppen von Waffen:

  • Zum einen sind es jene, die in Mexiko für Zivilisten verboten, in den USA jedoch frei erhältlich sind - etwa populäre US-Handfeuerwaffen vom Kaliber 9 mm, .45 oder .40, .38 Super Pistolen, FN Five-Seven Pistolen, .357-Magnum-Revolver, 50 Gewehre und Sturmgewehre (AK-47, AR-15, M-16). Diese Waffen sind in den USA meist billiger als auf dem mexikanischen und südamerikanischen Schwarzmarkt.
  • Zum anderen handelt es sich um Waffen, die weder in Mexiko noch den USA legal zu haben sind: Militärgeschütze, Handgranaten, Panzerfäuste, automatische Sturmgewehre, Maschinengewehre. Deren Schmuggel ist gefährlich und teuer - "vor allem in den großen Mengen, in denen die Kartelle sie einsetzen", urteilt der texanische Think-Tank Stratfor in einer Analyse. Meist kommen sie deshalb aus anderen Ländern (China, Guatemala) - oder aus korrupten mexikanischen Militärquellen.

Warum die USA den Waffenhandel nicht stoppen

Die Waffenkontrollgesetze Mexikos zählen, anders als die der USA, auf dem Papier zu den strengsten der Welt. Sie werden aber kaum durchgesetzt. "Der Schwarzmarkt floriert seit Jahrzehnten", schreiben die Stratfor-Analysten Fred Burton und Scott Stewart. "Verbrecher haben einen Weg gefunden, die Einschränkung der Waffenzufuhr zu umgehen." Und der bequemste dieser Wege führt durch die USA.

Der Waffenschmuggel wird von Kartellen, Verbrechersyndikaten und internationalen Netzwerken betrieben, aber auch von Familienbanden. Nicht selten sind mexikanische Militärs oder Polizisten beteiligt. Erworben werden die Waffen in den USA meist von nichtvorbestraften Schiebern und Strohmännern, die den Kauf ohne lästige Überprüfung erledigen können.

Ein Vorstoß der US-Waffenbehörde ATF, auffällige Waffenverkäufe in den amerikanischen Grenzstaaten Arizona, Kalifornien, New Mexico und Texas zu überprüfen, scheiterte kürzlich im Kongress am Widerstand der Waffenlobby-nahen Republikaner: Die Gesetzesvorlage verstoße gegen den zweiten Verfassungszusatz, der freien Waffenbesitz garantiert - und verursache zu viel Bürokratie.

Umstrittene Taktik der US-Waffenbehörde

Einstweilen probierte die ATF es mit einer anderen - höchst umstrittenen - Methode: Die Behörde ließ die Schmuggler offenbar gewähren, um herauszufinden, wo die Waffen schließlich landen. "Die ATF hat den Verkauf Hunderter Sturmgewehre an verdächtigte Strohleute durchgehen lassen, die diese Waffen dann vermutlich über die Südwestgrenze nach Mexiko schaffen", kritisierte Senator Chuck Grassley, der Chef der Republikaner im Justizausschuss des Senats.

Offiziell trägt diese ATF-Aktion den Codenamen "Project Gunrunner" (Projekt Waffenschieber). Damit versucht die Behörde schon seit 2006, mit "geheimdienstlichen Methoden" die Waffenströme nach Mexiko nachzuverfolgen und möglichst zu unterbinden.

Insider werfen der ATF aber vor, den Schmuggel sogar zu fördern, indem sie ihn nicht aktiv verhindere. So habe die Behörde im vorigen Jahr tatenlos zugesehen, wie eine Gruppe Verdächtiger in Arizona kistenweise "große Mengen von Waffen für den 'persönlichen Bedarf' gekauft" hätte, berichtete der Fernsehsender CBS in einer investigativen Recherche. Darunter seien auch halbautomatische AK-47 gewesen. Die ATF-Beamten hätten beschlossen: "Wir lassen die meisten Waffen auf die Straße gelangen."

Calderón und Obama beschränken sich auf Nettigkeiten

Ein ATF-Agent namens John Dodson, der in Phoenix stationiert ist, bestätigte CBS, die Behörde lasse Waffen "absichtlich" nach Mexiko gelangen. Ihm sei von oben verboten worden einzugreifen. Als der Skandal Anfang März bekannt wurde, gelobte ATF-Direktor Ken Melson rasche Abhilfe: Unabhängige Experten würden "die momentane Waffenstrategie" prüfen.

Während er das sagte, trafen Mexikos Präsident Felipe Calderón und sein Amtskollege Barack Obama in Washington zusammen. Natürlich war der ungebremste Waffenhandel ein Reizthema des Treffens - beide Staaten schieben sich schon seit längerem gegenseitig die Verantwortung für die Lage zu. Erst im Februar hatte Calderón die Anstrengungen der USA in Sachen Waffenhandel als "notorisch unzureichend" verurteilt. US-Diplomaten dagegen hatten sich ihrerseits in zwei von der Enthüllungsplattform WikiLeaks publizierten US-Botschaftsdepeschen über die "risikoscheuen", "unkoordinierten" und "korrupten" Behörden Mexikos ausgelassen.

Wer sich vom Tête-à-Tête zwischen Calderón und Obama konkrete Schritte erhofft hatte, wurde enttäuscht. Als die beiden nach dem Treffen im Weißen Haus vor die Presse traten, verbreiteten sie - Nettigkeiten. Sonst nichts.

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