Obamas Blitzbesuch in Afghanistan 11.000 Kilometer Flug für 11 Minuten Wahlkampf
Der Präsident landet nach Sonnenuntergang. Es ist ein Überraschungsbesuch, eine Blitzvisite im US-Militärlager Bagram, ein Treffen mit Afghanistans Staatschef Hamid Karzai in Kabul. Und eine Rede an die Nation, zur besten amerikanischen Sendezeit live übertragen vom 11.000 Kilometer entfernten Hindukusch. Als sich dann die Sonne schon wieder zeigt hinter den Bergen im Osten Bagrams, hebt Air Force One mit US-Präsident Barack Obama im letzten Schutz der Dämmerung ab.
Das war's. Ein paar Stunden Afghanistan, die perfekte Inszenierung. Denn auf den Tag genau vor einem Jahr hat eine US-Spezialeinheit auf Befehl Obamas Qaida-Chef Osama Bin Laden im pakistanischen Abbottabad aufgespürt und getötet. Kein Zufall also, dass der US-Präsident ausgerechnet an diesem 2. Mai in Bagram landet.
Längst tobt in den USA der Wahlkampf, und die Reise nach Afghanistan ist der Höhepunkt jener Bin-Laden-Festspiele, die Obamas Leute in Washington in der vergangenen Woche gestartet haben: Videos, die Obamas Erfolg würdigen und Zweifel streuen, ob Republikaner-Rivale Mitt Romney ebenfalls den Befehl zur Attacke auf Bin Laden gegeben hätte; ein Auftritt von Vizepräsident Joe Biden, der Obamas erster Amtszeit den Slogan verpasst: "Osama Bin Laden ist tot, General Motors lebt"; und ein für diesen Mittwoch avisiertes TV-Interview mit Obama, geführt im "Situation Room", von dem aus der Präsident und sein Sicherheitsteam damals den Einsatz in Abbottabad verfolgten.
"Eine Rede erster Klasse"
Aber all das ist nichts gegen Obamas überraschenden Auftritt in Afghanistan. "Das war eine Rede erster Klasse", sagt David Gergen, der altgediente Präsidentenberater, auf CNN: "Exzellent." Es ist eine Rede, die den kriegsmüden Amerikanern - 70 Prozent wollen Umfragen zufolge den Afghanistan-Einsatz so schnell wie möglich beendet wissen - Hoffnung machen soll: auf ein Ende der Kämpfe in Übersee, auf einen Neuanfang daheim. Und es ist eine Wahlkampfrede.
"Meine amerikanischen Mitbürger", sagt Obama, "wir bewegen uns seit mehr als einem Jahrzehnt unter der dunklen Wolke des Krieges. Aber nun können wir das Licht eines neuen Tages am Horizont sehen." Im Klartext: Den Krieg im Irak beendet, Todfeind Bin Laden erschossen, die Niederlage al-Qaidas "in Reichweite", den Truppenabzug aus Afghanistan fürs Jahr 2014 vereinbart - dies will Obama als Erfolge verbucht wissen.
Doch wie brisant die Lage am Hindukusch weiterhin ist, zeigte sich nur wenige Stunden, nachdem Obama die Heimreise nach Washington angetreten hatte: Drei Explosionen erschütterten Kabul, eine davon offenbar von einer Autobombe verursacht. Es gab mehrere Tote. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich in einem Auto vor dem Eingang zum "Green Village", einem von westlichen Ausländern genutzten Gebäudekomplex, in die Luft. Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, nannten ihn eine Reaktion auf den Besuch Obamas.
Darum ging es in Obamas Elf-Minuten-Rede im Einzelnen:
- Truppenabzug: Die "volle Sicherheitsverantwortung" werde Ende 2014, wie vereinbart, auf die Afghanen übertragen. Im von Karzai und Obama unterzeichneten "Partnerschaftsabkommen" sichern die USA den Afghanen ihre fortdauernde Unterstützung zu. Nach 2014 werde man die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin trainieren und mit ihnen gemeinsam gegen Terroristen kämpfen. Allerdings betont Obama: "Wir werden in diesem Land weder dauerhafte Militärbasen errichten, noch werden wir in den Städten und Bergen auf Patrouille gehen." Was Obama nicht ganz so deutlich sagt: Das Partnerschaftsabkommen soll für das auf 2014 folgende Jahrzehnt gelten, das heißt: Bis mindestens 2024 wird das US-Militär in und an Afghanistan gebunden sein.
- Friedensverhandlungen: Seine Regierung habe Gespräche mit den Taliban aufgenommen und ihnen klargemacht, dass sie "Teil der Zukunft" sein könnten, wenn sie mit al-Qaida brechen, der Gewalt abschwören und Afghanistans Gesetze anerkennen, sagt Obama. Schließlich sendet er ein selten deutliches Signal an die Aufständischen: "Es ist nicht unser Ziel, hier ein Land nach amerikanischem Vorbild aufzubauen oder jede Spur der Taliban auszulöschen." Der US-Präsident streckt die Hand aus - auch um seine Soldaten endlich nach Hause holen zu können.
- Al-Qaida: Bewusst grenzt Obama die Terror-Organisation von den Taliban ab. "Unser Ziel ist es, al-Qaida zu zerstören. Und wir sind auf dem richtigen Weg, genau das zu erreichen." Mehr als 20 der 30 Top-Anführer seien getötet worden. Die "Zeit des Krieges" habe 2001 in Afghanistan begonnen, "und dort wird sie auch enden".
- Neues Amerika: Er wisse, dass viele Amerikaner kriegsmüde seien, versichert Obama. Nach einem Jahrzehnt der Konflikte in Übersee und der ökonomischen Krise zu Hause, "ist es jetzt an der Zeit, Amerika zu erneuern". Es gehe um ein Amerika, "in dem unsere Kinder frei von Angst leben können". Ein vereintes Amerika "voller Mumm und Widerstandsfähigkeit, in dem das Sonnenlicht glänzt auf in die Höhe wachsenden neuen Türmen in Manhattan". Damit spielt der Präsident auf den Bau des neuen World Trade Centers in New York an.
Ex-Präsidentenberater Gergen sagt anschließend, Obama habe jene Rede gehalten, die Amerika von einem Präsidenten erwarte. "Wenn es um Außenpolitik geht, dann hat er alles im Griff", schwärmt Gergen über Obama. Es sei doch erstaunlich, dass der Mann außenpolitisch ein solch entschiedener Anführer sei, in der Innenpolitik aber seine Schwierigkeiten habe.
So ist es allerdings kein Wunder, dass das Team Obamas im Wahlkampf zur Zeit ganz auf die Außen- und Anti-Terror-Politik setzt. Zum Missfallen seines Gegners Mitt Romney, dessen Zustimmungsraten auf diesen Themenfeldern deutlich hinter denen des Präsidenten liegen.
Romney setzt wegen der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in den USA auf einen Wirtschaftswahlkampf - musste sich aber am Dienstag erneut mit den Attacken aus dem Obama-Lager beschäftigen. Es ist ein Zitat zur Jagd auf Bin Laden aus dem Jahr 2007, das Romney bis heute nachhängt: "Es ist es nicht wert, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen und Millionen Dollar auszugeben, nur um eine Person zu fangen", hatte er damals gemeint.
Heute sieht er das freilich anders. Im Interview mit dem TV-Sender CBS nannte er Obamas Attacken "dümmlich". Natürlich hätte auch er sich Osama Bin Laden geschnappt, versichert Romney, aber jetzt gehe es doch um ganz andere Fragen: "Was ist der richtige Kurs für unsere Wirtschaft? Was sollen wir mit den Steuern machen? Was mit dem Handel? Was ist mit unserer Energiepolitik?" Darüber aber rede der Präsident nicht.
Problem für Romney: Gegen Obamas pathetische Afghanistan-Rede an die Nation klingt der Herausforderer wie ein beleidigter Provinzpolitiker. Obama wird die Bin-Laden-Festspiele wohl noch ein wenig auskosten.