US-Präsidentschaftsdebatte Clinton und die sieben Zwerge
Charleston - "Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln", sagt der Militärstratege Clausewitz. Für Hillary Clintons Berater Sidney Blumenthal gilt der Satz auch umgekehrt: "Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln."
Hätte es für die Richtigkeit dieser Aussage noch eines Beweises bedurft, gestern Nacht wurde er geliefert: Die Befragung aller demokratischen Präsidentschaftsanwärter fand statt, in der historischen Zitadelle von Charleston, South Carolina. Im Innern der Zitadelle, ein Relikt des Bürgerkrieges, war Politik an der Grenze zur psychologischen Kriegsführung zu besichtigen. Die Fragen an die Kandidaten schickten YouTube-Nutzer per Videobotschaft.
Clinton faucht - beißt aber nicht
Die erste Frage von der Videoleinwand dreht sich um die Glaubwürdigkeit von Wahlversprechen: Was steckt hinter all den politischen Plattitüden, will ein Jugendlicher aus dem Bundesstaat Utah wissen: Seid ehrlich zu uns, mahnt er - offenbar in Unkenntnis der Tatsache, dass Ehrlichkeit im politischen Nahkampf sich nicht auszahlt und daher streng verboten ist.
Hillary Clinton ist immun gegen solche Appelle. Die Demokraten seien vereint, behauptet die Anwärterin wahrheitswidrig. Ihre große schauspielerische Leistung liegt darin, nicht eine Sekunde lang die Miene zu verziehen. Die einzig relevante Frage, die Machtfrage, stellt sie selbst: "Wer von uns ist aus dem Stand heraus in der Lage zu regieren, vom Tag eins an?"
Die Antwort gesellt sich im Kopf der Zuhörer wie von allein dazu: Clinton selbst. Wer sonst? Ob als Aktivistin der Demokraten, als First Lady oder heute als Senatorin, immer habe sie Menschen zusammengebracht, Kompromisse gesucht und gefunden, und wenn nicht - "dann bin ich standhaft geblieben", sagt sie. Clintons größte Konkurrenten, Barack Obama und John Edwards, schauen ins Leere - Hillarys Kampagnenmanager schaut beglückt: Das war gefaucht, nicht gebissen.
Die Umfragen der vergangenen Tage haben ergeben, dass Hillary Clinton einen Vorteil vor ihren Wettbewerbern besitzt, der bislang als ihr Nachteil galt: ihr Alter, ihre Erfahrung, ihre oft männliche Härte.
Leistungsschau der Wahlkampfmanager
Was die Modemesse in Mailand für die Designer, die Automesse in Detroit für die Fahrzeugentwickler, das ist die Debatte der Präsidentschaftskandidaten für die Kampagnenmanager: eine Leistungsschau ihres Könnens - unübersehbar auch eine Demonstration ihrer Macht. Sie bezeichnen sich selbst als Männer hinter den Kandidaten, als Helfer im Hintergrund. Aber das ist reine Koketterie. In Wahrheit sind sie die Designer der Kandidaten. Früher polierten sie Images, heute modellieren sie, wenn man sie gewähren lässt, den Bewerber.
Sagten die Parteiführer ihren Spitzenkandidaten einst, was sie tun sollten, sagen heute die Berater den Kandidaten, wer sie sein sollen. Clinton-Berater Blumenthal fasst das so zusammen: "Die Aufgabe ist es, die Erwartungen der Wähler an den Kandidaten durch die Manipulation von Symbolen und Images zu erfüllen." Alles werde der Aufgabe untergeordnet, die Persönlichkeit des Kandidaten - und später das Regieren selbst: "Die permanente Kampagne ist die Ideologie unserer Zeit", schreibt er in einem Buch über die Washingtoner Eliten. Das meint er keineswegs vorwurfsvoll.
"Pussyfooter", "Rainmaker" und "Steamroller"
Die sieben Männer und eine Frau - außer Clinton, Obama und Edwards stellten sich noch der Gouverneur von New Mexico, Bill Richardson, Senator Chris Dodd, Senator Joseph Biden, die ehemaligen Senatoren Mike Gravel und Dennis Kucinich, Mitglied des Repräsentantenhauses - hatten in Charleston als lebende Prototypen der jeweiligen Denkschule ihren Auftritt. In klinischer Reinheit waren jene Archetypen zu besichtigen, die in der Sprache der Berater als "Pussyfooter", "Rainmaker" und "Steamroller" bezeichnet werden.
Hillary Clinton fällt die Rolle des "Pussyfooters" zu - ein Politikertypus, der frühzeitige Festlegungen meidet, der geschmeidig Positionen zu verwechseln vermag, der sich dem Wähler als Projektionsfläche andient und nicht durch allzu schroffe Positionen am Träumen hindert.
"Sind Sie eine Linke?", wird Clinton in South Carolina gefragt. Das Wort Linke, sagt sie, gefalle ihr nicht, es werde oft missverstanden. Sie würde sich lieber als modern und progressiv bezeichnen. So geht das in einem fort: Sie sagt ja und sie sagt nein. Sie bestätigt und widerruft. Katzenhaft geht sie durch den gesamten politischen Laden, ohne auch nur ein Glas zu zerdeppern. Kernenergie lehnt sie ab, aber nicht grundsätzlich. Der Krieg im Irak soll beendet werden, aber nicht abrupt. In der Außenpolitik müsse man reden, aber nicht mit jedem.
Dieses Abwägende und vorsichtig Tastende verleiht Clinton etwas Präsidiales - wie es ihr Manager geplant hat. Die Kandidatin soll reden wie eine Frau, die bereits heute Verantwortung fürs ganze Land trägt - nicht nur für den Bundesstaat New York. Hier soll die künftige Präsidentin sichtbar werden.
Als Präsidentin in spe werde sie sich nicht mit den Scharlatanen dieser Welt - den Regierungschef in Kuba, Venezuela, Nordkorea und Iran - an einen Tisch setzen, sagt Clinton. Sie lasse sich nicht für Propaganda missbrauchen. In der internationalen Politik sei mit den Mitteln der Diplomatie zu arbeiten. Andere, nicht der Präsident, müssten das Wasser testen, belehrt sie Obama - der sich kurz zuvor blamiert hat.
Der politische Neuling, erst seit zwei Jahren als Senator in der Bundespolitik, hatte sich zu der Antwort hinreißen lassen, er werde als Präsident unverzüglich auch mit Fidel Castro, Hugo Chávez und Irans Mahmud Ahmadineschad reden. Schließlich habe auch John F. Kennedy mit den Sowjets gesprochen. Da wirkt der große Obama plötzlich sehr klein.
Obama als Clintons Vize?
Seine Strategen haben ihm die Rolle des "Rainmakers" zugedacht, des Regenmachers, ohne das freilich laut zu sagen. Der Regenmacher galt den amerikanischen Ureinwohner als eine mystische Figur, die sich auf Geisterbeschwörung zum Zwecke des Wetterwechsels verstand.
Im politischen Geschäft versucht der Regenmacher, die traditionellen Parteilager zu sprengen, bietet politische Mystik an, die sich gerade in schwierigen Zeiten großer Beliebtheit beim Publikum erfreut. Zur Sachpolitik soll er lieber schweigen.
Obama beschwört den politischen Wetterwechsel so stimmungsvoll wie kein anderer Demokrat. Es gebe eine "Sehnsucht nach Wechsel im Land, überall", ruft er in die Kameras von CNN. Alle wüsste doch: "Washington muss sich verändern. Lasst uns gemeinsam das Land verändern." Es gehe um einen "Wechsel des Politikstils", nationale Interessen müssten endlich den Vorrang haben.
Einen Regenmacher könnte "Pussyfooter" Clinton womöglich schon bald gut gebrauchen - zum Beispiel als Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten. Im Frühjahr 2008 wird in parteiinternen Wahlen, den sogenannten Primaries, über das Personalangebot für die Planstellen von George W. Bush und Dick Cheney entschieden.
Edwards, die Dampfwalze
Das Amt des Vizes würde auch John Edwards reizen. Dafür allerdings muss er noch an Kampfgewicht zulegen. In den Umfragen liegt der ehemalige Senator von North Carolina, der zuvor als Anwalt ein Millionenvermögen verdiente, deutlich hinter Obama. Die jüngste Erhebung von "Washington Post" und ABC sieht Edwards nur bei zwölf Prozent, Obama käme auf 30, weit vorn liegt Clinton mit 45 Prozent.
Edwards Kampagnenmanager wollen daher im Endspurt noch mal aufdrehen. Sie haben für ihn die Rolle als "Steamroller", als Dampfwalze, vorgesehen. Der "Steamroller" ist der Mann fürs Grobe, einer, der klare Kanten zeigt.
Edwards plädiert unermüdlich für einen aufgepolsterten Mindestlohn, fordert eine staatliche Gesundheitsversicherung, lehnt die Kernenergie rundweg ab. Die Interessengruppen müsse man "schlagen, schlagen, schlagen", anstatt mit ihnen den Kompromiss zu suchen. Das Gesundheitssystem will er nicht reparieren, sondern revolutionieren: "Warum stehen wir nicht auf? Wir müssen endlich aufstehen gegen diese Ungerechtigkeit." In Amerika leben fast 50 Millionen Menschen ohne Gesundheitsversicherung.
Den Wechselwillen von Obama versucht Edwards zu übertrumpfen, wo er nur kann. Das Land brauche nicht irgendeinen Wechsel, sondern den "Big Change", den "Real Change", den großen, den wirklichen Wechsel.
Da, wo Edwards, mit Rücksicht auf seine prüde Partei, klare Antworten verweigern muss, schiebt er seine Frau Elisabeth vor. Von einem lesbischen Paar wird der Familienvater per Videobotschaft gefragt: "Dürfen wir heiraten, wenn Sie Präsident werden?" John Edwards sagt, das sei ein kompliziertes und sehr persönliches Thema. Er sei dagegen, aber: "Meine Frau ist dafür."
Der Traum vom Hillaryland
Vor und nach dem TV-Ereignis haben die Berater das Sagen. Im eigens für sie eingerichteten Raum - dem "Spinroom" - tauchen die Masterminds auf, um den anwesenden Journalisten zu erklären, was der Kandidat wirklich gemeint hat.
Die ehemalige Bildungsministerin von South Carolina steht da, Inez Tenenbaum ihr Name, und erklärt mit treuem Augenaufschlag, wer den Titel als Sieger des Abends verdient: Obama natürlich. "Er war der Star der Debatte." Er sei das einzig wirklich frische Gesicht, ein Außenseiter, der sich als "neuer Führer" gerade aufdränge. "Oder etwa nicht?"
Zwei Meter weiter wirbt Elisabeth Edwards für ihren Mann. Ihr Gesicht ist gerötet, ihre gepunktete Bluse hebt und senkt sich, so sehr hat sich die Frau in Rage geredet. Ihr Gatte sei der einzige, der wirklich gegen diese verdammten Lobbyisten vorgehe. Man brauche doch nur zu schauen, sagt sie listig, wo die anderen Kandidaten ihr Wahlkampfgeld her bekämen.
Joe Trippi, der oberste Strategieberater von Edwards, steht daneben und nickt heftigst. Die Interessengruppen dürften nicht - wie Obama es fordert - "einen Stuhl am großen Tisch" haben. "Sie sollen gar keinen Sitz haben, sie hatten zu lange zu viele." Es gehe nicht um links oder rechts, sondern um richtig. Sein Kandidat werde bald schon an Obama vorbeiziehen, ganz bestimmt.
Katzenpfötchen Clinton hält sich vornehm zurück. Sie hat nur ihren Internetberater geschickt, der artig die "aufregenden und sehr direkten Fragen der jungen Leute" lobt, bevor er sich in ein Elektromobil setzt und das Gelände der Zitadelle verlässt. Ein Aufkleber schmückt das Fahrzeug, der verrät, wovon sein Inhaber die nächsten Monate träumen wird: "Hillaryland".