US-Präsidentschaftskandidatur Republikaner rätseln über Palins Ambitionen
Die Motorradfahrer reiten ihre mächtigen Maschinen über die breiten Prachtstraßen Washingtons. Nur im Schneckentempo dürfen sie durch die US-Hauptstadt rollen, aber die Motoren lassen sie trotzdem gewaltig aufheulen. Das muss wohl so, denn die Gruppe nennt sich "Rolling Thunder", rollender Donner. Es ist ein Zusammenschluss Tausender patriotischer Motorradfahrer, die an Amerikas Veteranen erinnern wollen.
Und mittendrin: Sarah Palin. Die ehemalige Vize-Präsidentschaftskandidatin der Republikaner hat sich in eine Lederjacke geworfen und eine schwarze Sonnenbrille aufgesetzt. Sie hockt auf dem Rücksitz eines der Motorräder, Ehemann Todd und Tochter Bristol begleiten sie mit eigenen Maschinen.
Als es losgeht vom Parkplatz des US-Verteidigungsministeriums, ruft sie: "Ich liebe den Geruch dieser Abgase." Dann fügt sie hinzu, es gehe natürlich nicht um Politik bei diesem Ausflug unter der strahlenden Sonntagssonne. Sie sei halt einfach Amerikanerin.
Am Straßenrand kann man US-Flaggen kaufen, "drei Stück für fünf Dollar". Es ist eines dieser Treffen, bei denen Amerika sich seiner eigenen Größe versichert. Und Palin sich wohl auch ihrer eigenen Bedeutung - wobei derzeit noch völlig unklar ist, worauf sie eigentlich hinauswill. Denn die 47-Jährige bleibt das große Rätsel des kommenden US-Präsidentschaftswahlkampfs. Bei den Demokraten ist Präsident Barack Obama gesetzt, der sich zur Wiederwahl stellt. Doch auf republikanischer Seite läuft der Auswahlprozess bislang sehr zäh an.

Glamouröse Kandidaten wie Baumogul Donald Trump oder Jeb Bush, der Bruder des Ex-Präsidenten, wollen partout nicht antreten. Als aussichtsreichste Bewerber der Konservativen gelten bislang Mitt Romney, Jon Huntsman und Tim Pawlenty, drei ehemalige Gouverneure. Alle drei sind solide Politiker, aber neben ihnen würde wohl selbst Christian Wulff aufregend wirken.
Kein Wunder, dass viele Republikaner sich nach mehr Spannung sehnen - und die erhoffen sie sich bei einer möglichen Kandidatin Sarah Palin. Ihr einstiger Mitstreiter, der Präsidentschaftskandidat von 2008, John McCain, heizte die Spekulationen mit einem kurzen Kommentar neulich wieder an: "Natürlich kann sie gewinnen."
Wie sehr Palin die Massen bewegen kann, zeigte sich auch beim Auftritt auf dem Biker-Treffen: Es kam zu tumultartigen Szenen. Journalisten umdrängeln sie so wüst, dass ein genervter Palin-Begleiter einen der Fotografen an der Gurgel packt.
Womöglich liegt die Aufregung auch daran, dass sich Palin in den vergangenen Monaten aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen hatte. Das soll sich nun ändern. Noch am Sonntag brach sie zu einer Bus-Tour quer durchs Land auf. Die Frau aus Alaska wolle die Wurzeln der amerikanischen Republik erkunden, heißt es - mit Stopps bei der Freiheitsglocke in Philadelphia, auf Bürgerkriegsschlachtfeldern in Pennsylvania und einer Visite im wichtigen Vorwahlstaat New Hampshire. Gleichzeitig wird bekannt, dass im kommenden Monat ein schmeichelhafter Dokumentarfilm über Palins Amtszeit als Gouverneurin von Alaska erscheinen soll.
Was soll der ganze Krach?
Doch klar bekannt hat sich Palin bisher nicht, wohin die Reise gehen soll. In einem TV-Interview nach ihren Ambitionen auf den Platz im Weißen Haus befragt, orakelte sie etwas von einem "Feuer", das sie in sich brennen spüre. Und der Bus, mit dem sie nun durchs Land tingelt, ist bereits passend ausstaffiert. "One Nation" steht darauf in riesigen Lettern. Er sieht aus wie ein Wahlkampfbus.
Aber ist es wirklich einer? Und was soll dieser ganze Krach eigentlich? Das kann nur Palin selbst beantworten. Auch der "New York Times" ist Palins Plan ein Rätsel: "Was sie dazu bewegt, die politischen Spekulationen um ihre Person am Leben zu erhalten, das bleibt für jeden außer ihr selbst unklar." Schließlich hat Palin sich in den vergangenen Jahren vor allem aufs Geldverdienen konzentriert. Für Redeauftritte kassierte sie sechsstellige Beträge, der konservative Kabelsender Fox News zahlt ihr ein Millionenhonorar als Teilzeit-Kommentatorin.
Das müsste Palin aufgeben, wenn sie wieder offiziell kandidieren würde. Vielleicht wirken die Signale der Ex-Gouverneurin auch deswegen bislang so unentschlossen. Alles, was US-Präsidentschaftskandidaten sonst empfohlen wird, hat Palin nämlich konsequent gemieden: programmatische Reden und Reisen, den Aufbau eines kompetenten Berater- und Medienteams, das Buhlen um Anhänger in wichtigen Vorwahlstaaten.
Auch das Chaos um ihren Auftritt in Washington passt in dieses Schema. Bis wenige Minuten vor Palins Start war nicht klar, ob sie überhaupt erscheinen würde. Ihre Web-Seite lieferte die versprochenen Updates nicht, ihre Berater ignorierten Anfragen einfach.
Und doch könnte Palin eine glaubhafte Kandidatin werden. "Sie muss sich nicht an die normalen Regeln halten", sagt Karl Rove, einst Wahlkampfstratege für George W. Bush. Ihre enorme Bekanntheit erlaube ihr eine unkonventionellere Herangehensweise. Umfragen belegen diese These: Sollte Palin antreten, würde sie sich gleich an die Spitze des republikanischen Bewerberfeldes setzen.
Palin muss sich sputen - wenn sie kandidieren will
Doch allzu viel Zeit kann sich Palin wohl nicht mehr lassen. Einige Konservative mögen nicht mehr lange auf neue Kandidaten warten, viele wollen sich nun auf das Trio Romney/Huntsman/Pawlenty konzentrieren. "Alle warten auf Superman", sagt Fred Malek, einer der einflussreichsten Republikaner-Funktionäre, "sie werden aber feststellen, dass Superman schon unter den Kandidaten ist."
Auch der Kampf um ihre Stellung als Anführerin des rechten Flügels der Konservativen setzt Palin zeitlich unter Druck. Denn nicht nur sie hat ein Auge auf den Posten geworfen: Konkurrentin Michele Bachmann, republikanische Kongressabgeordnete und Galionsfigur der radikalen Tea-Party-Bewegung , dürfte im Juni ihre Präsidentschaftskandidatur erklären.
Gegen Obama allerdings hätte Bachmann keine Chance, und selbst Palin dürfte sich schwertun. In einer Gallup-Umfrage sagten zwei Drittel der registrierten US-Wähler, auf keinen Fall für sie stimmen zu wollen. David Plouffe, Chefstratege für Obamas Wiederwahl, macht keinen Hehl daraus, dass er eine Palin-Kandidatur für einen Glücksfall hielte.
Auch bei der "Rolling Thunder"-Kundgebung, von der sich Palin wohl positive Effekte erhofft hat, polarisiert die Republikanerin. Viele Teilnehmer murren laut darüber, dass ihre Präsenz vom Gedenken an die Soldaten ablenke. "Ich war nicht glücklich darüber, wie sie hier teilgenommen hat", sagt "Rolling Thunder"-Funktionär Ted Shpak.
Gleich neben Washingtons Constitution Avenue, wo die Motorradfahrer noch lange nach Palins Visite entlangrollen, hat ein Mann mit mächtigen Oberarmen eine Obama-Pappfigur aufgestellt. Man kann sich daneben fotografieren lassen, drei Dollar kostet das. Obama lächelt, natürlich.
Eine Sarah-Palin-Pappfigur ist weit und breit nirgends zu sehen.