

Er ist der Prototyp des Whistleblowers: "Deep Throat" versorgte die "Washington Post" mit brisanten Informationen, die den US-Präsidenten Richard Nixon im Watergate-Skandal 1974 das Amt kosteten. Die Identität von "Deep Throat" blieb lange geheim. Nur wenige Eingeweihte wie der US-Journalist Leonard Downie Jr. wussten, dass es sich um den damaligen FBI-Vizechef Mark Felt handelte. Downie ist ehemaliger Chefredakteur der "Washington Post". Nun greift er in einer Pressefreiheitsstudie die Regierung von Barack Obama scharf an: "Die Maßnahmen, um Informationen zu kontrollieren, sind die aggressivsten seit der Nixon-Administration."
Der Bericht "The Obama Administration and the Press", den Downie für die Organisation "Committee to Protect Journalists" verfasst hat, zeigt die hässliche Seite des Umgangs der US-Regierung mit Medienvertretern - etwa eine irreführende Informationspolitik, elektronische Überwachung von Journalisten oder eine dramatisch angestiegene Strafverfolgung von Informanten und Investigativreportern. "Das ist die verschlossenste Kontrollfreak-Regierung, über die ich jemals berichtet habe", sagt David E. Sanger, Washington-Korrespondent der "New York Times". Und die ABC-Korrespondentin Ann Compton nennt Obama den "intransparentesten aller sieben Präsidenten" ihrer Karriere.
Klima der Angst
Downie sprach mit zahlreichen Kollegen, Medienexperten und Regierungsvertretern. Sein Fazit: Es herrscht ein Klima der Angst in dem Land, das sich die Pressefreiheit bereits 1791 in die Verfassung geschrieben hat.
Die wichtigsten Kritikpunkte des Berichts:
• Geheimdienst-System: Der 11. September 2001 habe eine gigantische Expansion eingeleitet - es gebe nun viel zu viele Geheimnisse und Geheimnisträger. Der Harvard-Juraprofessor Jack Goldsmith spricht von einer "massiven Überklassifizierung", selbst Belangloses würde als streng vertraulich gehandelt, Journalisten bei der Beschaffung von Dokumenten behindert. 50 Milliarden Dollar sollen die 16 Geheimdienste 2013 zur Verfügung gehabt haben. Besonders die kaum kontrollierte Überwachung der NSA ist in der Kritik - Journalisten haben das Gefühl, dass sie in ihrer Arbeit vollständig überwacht werden.
• Intransparenz: Obama kritisierte in seinem ersten Wahlkampf die "exzessive Geheimhalterei" der Bush-Regierung - doch er selbst schotte sich seit seinem Amtsantritt noch mehr ab, sagen Journalisten in Washington. Er setze Twitter oder Facebook nicht nur im Wahlkampf ein - er regiere damit. Er entscheide, was die Öffentlichkeit sehen darf, Reporter würden systematisch ausgesperrt. Immer wieder würde auf die Homepage des Weißen Hauses verwiesen, um dort die Propaganda abzuschreiben. Obamas Mitarbeiter würden oftmals schon die Herausgabe von einfachen Fakten verweigern und über jeden kritischen Artikel persönlich beleidigt sein.
• Regieren mit einem Gesetz aus Kriegszeiten: Die Weitergabe von Tausenden Dokumenten an Wikileaks durch Bradley Manning habe Obamas Regierung in Panik versetzt. Um das Durchstechen von Informationen an Journalisten zukünftig zu verhindern, setze das Weiße Haus auf Drohgebärden, heißt es in der Studie. Seit 2009 hat Obamas Administration acht Regierungsangestellte, darunter Snowden, wegen Geheimnisverrats angeklagt. Die Grundlage dafür bildet der "Espionage Act" von 1917, ein Gesetz, das im Ersten Weltkrieg die Feindspionage verhindern sollte. Vor Obama gab es insgesamt nur drei Anklagen, die sich auf dieses Gesetz berufen.
• Einschüchterung von Mitarbeitern: Das Weiße Haus hat im November 2012 alle Bundesbehörden angewiesen, ein "Insider Threat Program" einzuführen. Mitarbeiter müssen dadurch routinemäßig angeben, ob sie mit der Presse gesprochen haben und verdächtige Kollegen melden. Der Ex-NSA-Chef Michael Hayden sagte, dass dieses Programm "gemacht ist, um von jeglicher Konversation abzuschrecken".
• Abhörung von Journalisten: Als Reaktion auf die Berichterstattung über eine geheime CIA-Mission überwachte die Regierung im April und Mai 2012 die Telefone und Handys von über 100 Mitarbeitern der Nachrichtenagentur "Associated Press" - geheim. Amerikanische Journalisten gehen davon aus, dass sie systematisch überwacht werden. "Washington Post"-Reporterin Dana Priest sagt: "Alles landet in einem gigantischen Computer."
Bob Woodward, einer der Journalisten, die den Watergate-Skandal aufdeckten, kommt zur Situation der Pressefreiheit in den USA zu einem klaren Urteil. "Wer Reportern die Türen verschließt, verletzt sich selber." Am Ende beschädige dies nicht die Presse, sondern zerstöre die nationale Sicherheit. Auch für Downie, der Autor der Studie, ist die Kontrollfunktion der Medien in Gefahr. Für die Außenwirkung sei die Strafverfolgung von Informanten verheerend. Es sei bezeichnend, dass Edward Snowden Asyl von Ländern angeboten worden sei, in denen Journalisten teilweise in Sorge um ihr Leben arbeiten müssten.
Der Zustand der Pressefreiheit beschädige die Vorbildfunktion der USA, meint auch der ägyptische Kolumnist Mohammed Elmenshawy: "Als Journalisten aus Ländern der Dritten Welt schauen wir in die USA als Vorbild für die Dinge, die wir wollen: mehr Meinungsfreiheit und ungehinderte Berufsausübung." Dieses Vorbild sei nun in Gefahr.
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US-Journalisten werfen Präsident Barack Obama vor, mit seinem Vorgehen ein Klima der Angst zu erzeugen. Die Pressefreiheit sei in Gefahr, urteilt eine umfassende Befragung.
Obama, Snowden, Manning (auf einer Fotomontage): Der US-Präsident und seine Regierung gelten bei amerikanischen Journalisten als "Kontrollfreaks", die beiden Whistleblower als prominenteste Opfer.
Bradley Manning, der sich nach einer Geschlechtsumwandlung Chelsea nennt, wurde jüngst zu 35 Jahren Haft verurteilt. Er hatte der Enthüllungsplattform WikiLeaks Tausende geheime US-Dokumente zugespielt.
Edward Snowden, der Whistleblower in der NSA-Affäre: Die USA haben ihn unter anderem wegen Spionage angeklagt. Snowden ist auf der Flucht und hat in Russland temporäres Asyl gewährt bekommen.
John Kiriakou ist ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter. Er wurde zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er geheime Informationen weitergegeben hatte, die beweisen, dass die CIA Waterboarding als Foltermethode angewendet hat.
Thomas Drake ist ein ehemaliger Mitarbeiter der NSA. Er wurde wegen "bewussten Speicherns von Informationen der nationalen Verteidigung" und der Weitergabe an die Presse zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
"New York Times"-Reporter James Risen sollte gezwungen werden, im Prozess gegen den ehemaligen CIA-Mitarbeiter Jeffrey Sterling aussagen. Sterling hatte ihm Informationen durchgestochen. Er sagte, dass er lieber ins Gefängnis gehe, als die Identität einer Quelle preiszugeben.
"New York Times"-Reporter James Risen sollte gezwungen werden, im Prozess gegen den ehemaligen CIA-Mitarbeiter Jeffrey Sterling aussagen. Sterling hatte ihm Informationen durchgestochen. Er sagte, dass er lieber ins Gefängnis gehe, als die Identität einer Quelle preiszugeben.
Foto: Alex Wong/ Getty Images"New York Times"-Reporter James Risen sollte gezwungen werden, im Prozess gegen den ehemaligen CIA-Mitarbeiter Jeffrey Sterling aussagen. Sterling hatte ihm Informationen durchgestochen. Er sagte, dass er lieber ins Gefängnis gehe, als die Identität einer Quelle preiszugeben.
Foto: Alex Wong/ Getty ImagesMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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