US-Schuldendebatte Operation Last Minute

Nur noch 13 Tage - dann sind die USA pleite. Um das Desaster abzuwenden, müssten sich Republikaner und Demokraten rasch auf einen Kompromiss einigen: Steuern rauf, Staatsausgaben runter. Besonnene Politiker beider Parteien verhandeln hinter den Kulissen. Doch die radikale Rechte stellt sich stur.
US-Präsident Obama: Droht ein "Armaggedon" an den Finanzmärkten?

US-Präsident Obama: Droht ein "Armaggedon" an den Finanzmärkten?

Foto: WIN MCNAMEE/ AFP

Selbst das Geldsammeln muss warten. Eine Milliarde Dollar Spendengelder peilt US-Präsident Barack Obama für seine Wiederwahl an, also organisieren seine Strategen fleißig Treffen mit Großspendern, etwa diesen Freitag im New Yorker Haus von Filmtitan Harvey Weinstein ("Shakespeare in Love").

Doch Stargast Obama musste Weinstein gerade absagen, wie US-Medien berichten. Der mächtigste Mann der Welt ist in Washington gefangen, schließlich geht es dort um noch viel mehr Geld.

Noch immer stecken die Verhandlungen um eine Erhöhung der US-Schuldengrenze fest. Bis zum 2. August müssen Demokraten und Republikaner im Kongress beschließen, ob sie weitere Kredite bewilligen wollen - obwohl die aktuelle US-Staatsverschuldung mit 14,3 Billionen Dollar schon höher liegt als erlaubt. Gelingt keine Einigung, geht den Vereinigten Staaten von Amerika buchstäblich das Geld aus. Millionen Empfänger von US-Staatsleistungen müssten auf ihre Schecks warten, zudem droht ein "Armaggedon" an den Finanzmärkten, wie Obamas Budgetdirektor Jack Lew warnt.

Steuererhöhungen für alle Zukunft ausschließen?

Kompromissbereitschaft ist dennoch in Washington weiter schwer zu finden. Die Republikaner im Repräsentantenhaus - viele von ihnen Anhänger der radikalen Tea-Party-Bewegung, die sich den Abbau der Staatsschulden ganz oben auf das Programm geschrieben haben - verabschiedeten am Dienstagabend einen neuen ehrgeizigen Gesetzentwurf. Dieser würde nicht nur weitere radikale Budgetkürzungen diktieren, sondern schriebe auch einen ausgeglichenen Staatshaushalt ebenso vor wie jährliche Ausgabengrenzen.

Nur noch mit einer Mehrheit von zwei Drittel der Stimmen im Kongress sollen nach diesem Vorstoß künftig Steuererhöhungen beschlossen werden dürfen - was diese in der zerstrittenen US-Hauptstadt so gut wie abschaffen würde.

Das Weiße Haus kündigte bereits an, das Gesetz notfalls durch ein Veto des Präsidenten zu blockieren. Es rechnet vor, dass nach dem Willen der Republikaner ein Drittel aller Ausgaben für die Infrastruktur wegfallen würde, auch 70 Prozent aller Staatsausgaben für saubere Energie. Im Senat, wo die Demokraten die Mehrheit stellen, hat die Initiative wohl ohnehin kaum Chancen.

Dennoch setzte die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus sie mit 234 zu 190 Stimmen durch. "Cut, Cap and Balance" nennen sie ihren Vorstoß: kürzen, begrenzen, ausgleichen.

Milliardäre sollen ungeschoren davonkommen

Schließlich geht es vor allem um Symbolik - und um eine Grundsatzfrage, die beide politische Lager in Amerika immer weiter spaltet. Soll der Staat nicht nur sparen, sondern darf er zum Haushaltsausgleich auch mehr Geld einnehmen? Etwa durch höhere Steuern für Spitzenverdiener oder das Schließen von Steuerschlupflöchern für Hedgefonds-Milliardäre? So gut wie alle Republikaner lehnen letzteres entschieden ab, manche Abgeordnete aus Prinzip. Andere, weil sie eng verbandelt sind mit den Branchen und Interessengruppen, die davon besonders betroffen wären.

Selbst John Boehner, der mächtige republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, wurde von seinen Leuten zurückgepfiffen. Als er hinter den Kulissen mit Obama über einen Deal verhandelte, der bis zu vier Billionen Dollar Einsparungen vorsah, aber auch moderate Steueranhebungen, schrie die republikanische Rechte auf. Boehner musste zurückrudern. Wenn er nun mit Obama spricht, ist als Wachhund immer Eric Cantor dabei, seine Nummer 2 und gleichzeitig Sympathisant der Tea-Party-Bewegung.

Doch allmählich beginnt sich die Stimmung zu drehen. In einer einflussreichen Meinungsumfrage von ABC News und Washington Post sagten 58 Prozent der republikanischen Befragten, ihre Parteilenker strengten sich nicht genug für einen Kompromiss an. Präsident Obama schnitt besser ab. Vor allem aber könnten sich die befragten Konservativen - ganz gegen den aktuellen Parteikurs - auch Steuererhöhungen vorstellen, vor allem für besonders wohlhabende Amerikaner.

Daher fühlt sich das Weiße Haus neu beflügelt. Obama drängte am Dienstag erneut zur Eile bei einer Einigung: "Es ist kurz vor zwölf und wir haben nicht mehr viel Zeit."

Der Plan der Sechserbande

Der Präsident billigte zudem einen Plan, der in der US-Hauptstadt immer offener als denkbarer Ausweg aus dem Schulden-Dilemma gehandelt wird. Er stammt von der sogenannten "Gang of Six", einer Gruppe von sechs moderaten Senatoren aus beiden Parteien. Deren Vorschlag, ebenfalls am Dienstag präsentiert, sei ein "wichtiger Schritt", sagte Obama.

Und so sieht dieser Plan aus: Der "Gang of Six" schweben ebenfalls massive Ausgabenkürzungen vor, sogar fast vier Billionen Dollar im kommenden Jahrzehnt. Doch gleichzeitig wollen sie das US-Steuerrecht umkrempeln, so dass die Staatseinnahmen deutlich stiegen.

Die republikanischen Mitglieder der Gruppe wollen ihren Parteifreunden klar machen, dass das Stopfen von Schlupflöchern nicht gleichzusetzen sei mit Steuererhöhungen. Selbst Kürzungen im Verteidigungsetat, bei Konservativen sonst tabu, sollen wieder denkbar sein.

Auf der anderen Seite werben die demokratischen Mitglieder der "Gang of Six" für Abstriche bei Staatsprogrammen, die ihren linken Kollegen besonders am Herzen liegen.

Als die überparteiliche Senatorengruppe ihren Entwurf am Dienstag vorstellte, war das Interesse erstaunlich groß. 49 von 100 Senatoren erschienen, je rund zur Hälfte aus jeder Partei.

"Wir habe nur noch 13 Tage"

"Die Reaktion war sehr positiv", sagte der demokratische Senator Mark Warner, ein Mitglied der "Gang of Six", der Internetseite "Politico". "Nun müssen wir als Nächstes sehen, wie viele Senatoren wirklich Teil dieser Anstrengung werden wollen."

Doch reicht die Zeit, um einen so ehrgeizigen Entwurf durchzusetzen? Harry Reid, der Chef der Demokraten im Senat, bleibt in der "New York Times" skeptisch: "Wir haben nur noch 13 Tage, und eine Reihe von Senatoren haben gesagt, sie würden alles tun, um eine Anhebung der Schuldengrenze zu verhindern."

Aber auch Reid ist für den neuen Plan der "Gang of Six" nicht unbedingt aufgeschlossen. Schließlich verhandelt er gerade hinter den Kulissen mit Top-Republikanern über eine weitere Alternative. Laut der könnte Obama die US-Schuldengrenze selbständig anheben, wenn er sich zu weiteren Budgetkürzungen verpflichtet.

Daran hat das Weiße Haus aber weniger Interesse, immerhin ist die Anhebung der Grenze bei Amerikas Bürgern unpopulär. Obama will die Verantwortung dafür nur ungern allein tragen.

Andererseits sollte den Präsidenten der Gedanke reizen, dass zum Ablauf der Frist am 2. August eine Lösung gefunden ist.

Schließlich feiert Obama nicht nur zwei Tage später seinen 50. Geburtstag. Einen Tag vorher will er sich mit Großspendern zu einer Galaveranstaltung in Chicago treffen, bis zu 35.800 Dollar soll ein Paar VIP-Tickets kosten.

Das Treffen möchte Obama bestimmt nicht wieder wegen Schulden-Knatsch absagen. Schließlich soll wenigstens seine Wahlkampfkasse stimmen.

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