US-Studie Wie der Klimawandel zum Arabischen Frühling führte

Weizenfeld: Der Klimawandel produziert Missernten, knapper Weizen löst Revolten aus
Foto: Matt Cardy/ Getty ImagesMichael Werz, Forscher bei der Washingtoner Denkfabrik Center for American Progress (CAP), gehört nicht zu den Alarmisten in Sachen Klimawandel. Doch der Politikwissenschaftler glaubt an Zahlen und Trends - und vor allem daran, dass in der modernen Welt buchstäblich alles mit allem zusammenhängt. "Nur wer das Ineinandergreifen von Klimawandel, Nahrungsmittelsicherheit, Migrationsbewegungen und politischen Konflikten versteht und zusammendenkt", so Werz, "wird auf die Fragen einer neuen globalen Ära auch eine Antwort finden."
Verblüffende Belege für dieses Zusammenwirken hat Werz mit Kollegen vom CAP, anderen US-Denkfabriken und internationalen Universitäten gerade zusammengetragen - die Forscher wollen erklären, wie der Klimawandel mit verantwortlich dafür war, dass im Jahr 2011 der Arabische Frühling viele Diktatoren der Region beinahe über Nacht aus dem Amt fegen konnte.
Die Beispiele, welche sie in der Essay-Sammlung "The Arab Spring and Climate Change" anführen, stimmen nachdenklich. So sorgte eine chinesische Jahrhundertdürre im Winter 2010/2011 zu weltweiter Weizenknappheit - und explodierenden Brotpreisen in Ägypten, wo Husni Mubarak seit fast 30 Jahren lang weitgehend unangefochten herrschte.
Frust über teure Lebensmittel sorgt für Aufruhr
Keine andere Nation führt so viel Brot ein wie das Land am Nil. Ägyptens Einwohner nehmen ein Drittel ihrer täglichen Kalorien über Brot auf, sie geben beinahe 40 Prozent ihres Einkommens für Ernährung aus - und Lebensmittelpreise waren nie so hoch wie kurz nach Mubaraks Sturz. Zwar kursiert seit längerem die These, dass Nahrungsmittelspekulationen mitverantwortlich für Preissteigerungen und die Unruhen in der Region waren.
Das New England Complex Systems Institute veröffentlichte etwa eine Studie, laut der die rasanten Preisanstiege in den Jahren 2008 und 2011 vor allem auf Spekulanten und die zunehmende Umwandlung von Korn in Benzin - zur Ethanolgewinnung - verantwortlich sei. Doch die aktuellen Untersuchungen stellen diesen Zusammenhang in einen breiteren Zusammenhang. Denn nicht nur in Kairo sorgte der Frust über teure Lebensmittel für Aufruhr: Die neun größten Weizenimporteure liegen alle im Nahen Osten, rechnen die Forscher vor. Sieben von ihnen erlebten im Jahr 2011 blutige Unruhen.
Ähnlich destabilisierenden Einfluss übten nach Analyse der Wissenschaftler Dürren aus. In Syrien, wo das Assad-Regime ums Überleben kämpfen muss, verloren im Jahr 2009 Hunderttausende Menschen ihre Existenz als Resultat einer lange Dürre. In Libyen, wo Diktator Muammar al-Gaddafi nur noch Geschichte ist, sieht die Wasserversorgung ebenfalls schlecht aus.
Die Welt trete in eine Phase der "Agflation" ein, heißt es in den Essays - einer Inflation, die durch steigende Preise für Agrargüter angetrieben werde. Hinzu käme der Einfluss von Dürren und Wüstenbildung. Das Angebot an Wasser falle in weiten Teilen des Nahen Ostens, während Bevölkerungszahlen nach wie vor stiegen.
Militärische Abschreckung versagt
"Wir haben den Punkt erreicht, an dem ein regionales Wetterereignis globale Auswirkungen haben kann", schreiben die Forscher. "Keine dieser Annahmen mag für sich genommen alarmierend sein. Zusammengenommen führen sie jedoch zu Bedingtheiten, die uns den größeren Kontext des Arabischen Frühlings verstehen lassen."
Ihre Empfehlung an die Politik: Das Zusammenspiel zwischen Klima, Migration, Verstädterung, ökonomischen und sozialen Trends müsse eine Umschichtung der politischen Prioritäten nach sich ziehen: weg von der Fixierung auf militärische Abschreckung, wie sie während des Kalten Krieges sinnvoll war. Hin zu umfassenden Konzepten für Nachhaltigkeit und Entwicklung.
Um dies zu erreichen, haben die Wissenschaftler ihre Ergebnisse in Deutschland etwa mit dem Planungsstab des Auswärtigen Amtes besprochen. In Washington gehört der Gründer des CAP, John Podesta, ohnehin zu den engsten Vertrauten von US-Präsident Barack Obama.
Doch auch im Nahen Osten muss ein Umdenken einsetzen, wie "New York Times"-Autor Thomas Friedman in einer Kolumne zu der neuen Studie schreibt: "Statt die Lehre zu ziehen, dass die Folgen des Klimawandels unbedingt abgemildert werden müssen, tut die arabische Welt genau das Gegenteil." Arabische Staaten seien die wichtigsten Lobbyisten gegen jede Senkung von Subventionen für Öl oder Benzin, notiert Friedman. "Laut dem Internationalen Währungsfonds geben sie bis zu 20 Prozent ihres Staatshaushalts für derlei Subventionen aus - mehr als 200 Milliarden Dollar pro Jahr."