US-Vorwahlen Die Demokraten laden die Dreckschleudern
Washington - Hillary Clinton war gerade 20 Jahre alt und Studentin am Wellesley College, als Martin Luther King ermordet wurde. Biographen berichten von ihrer Reaktion auf die Todesnachricht. Die blutjunge Hillary schleuderte ihre Tasche gegen die Wand, sie weinte, sie schrie laut: "Ich halte es nicht mehr aus! Hört das denn nie auf?"
Heute, reife 60 Jahre alt und Präsidentschaftsbewerberin, äußert sich Clinton abgeklärter. "Die Rhetorik Martin Luther Kings war wichtig", erklärte sie vorige Woche Wählern in New Hampshire. "Doch es brauchte einen Präsidenten wie Lyndon B. Johnson, um den Traum von der Rassengleichheit durchzusetzen."
Ein ziemlich durchsichtiger Versuch, die mitreißende Rhetorik ihres Rivalen Barack Obama - der oft mit eben diesem Martin Luther King verglichen wird - abzuwerten. Wichtiger als Worte, so suggerierte Clinton mit dem Vergleich, seien Taten. Die starke Führung eines erfahrenen Präsidenten. So wie in den sechziger Jahren Johnson. Ergänzen sollten die Zuhörer: So wie heute sie.
Der Satz mag Clinton in New Hampshire geholfen haben, wo sie in letzter Minute Obama noch abfing. Doch nun sorgt er für eine der hässlichsten Blüten des bisherigen Wahlkampfes.
Die Clintons fühlen sich nämlich unter Rassismus-Verdacht, weil das Obama-Camp ihnen seit Tagen Herabsetzung der Verdienste von Martin Luther King vorwirft. Am Sonntagmorgen schimpfte Hillary Clinton in der TV-Sendung "Meet the Press": "Das Obama-Team verzerrt diese Bemerkung absichtlich. Das ist so unfair. Ich habe mein ganzes Leben für Bürgerrechte, Frauenrechte, Menschenrechte gekämpft."
Ihr Rivale berief umgehend eine Telefonkonferenz am Sonntagnachmittag ein, um zu kontern: "Sie hat viele Menschen beleidigt, die Martin Luther Kings Rolle herabgesetzt sehen. Zu suggerieren, das sei unsere Schuld, ist absurd."
In der Tat haben neben Obama führende Repräsentanten der afro-amerikanischen Gemeinschaft in den USA Clintons Bemerkung heftig kritisiert. James Clyburn, einflussreicher schwarzer Kongressabgeordneter aus South Carolina, sagte: "Wir müssen sehr vorsichtig sein, wie wir über diese Epoche reden. Dieser Kommentar hat mich sehr geärgert." Die bekannte Journalistin Marjorie Valbrun wurde in der "Washington Post" noch deutlicher: "King ist fast ein Heiliger in vielen schwarzen Haushalten. In ihrem Bemühen, einen hoffnungsvollen schwarzen Politiker wie Obama anzugreifen, hat sie auch sein Erbe beleidigt."
Kampf um die schwarzen Wähler
Die Debatte kommt für die Clintons höchst ungelegen. In South Carolina, wo am 26. Januar die übernächste wichtige Vorwahl der Demokraten stattfindet, ist die Hälfte der Wähler schwarz. Auch am "Super-Tuesday" am 5. Februar, an dem 22 Bundesstaaten abstimmen, spielen schwarze Wähler eine gewichtige Rolle. Lange lag Clinton bei denen vorne. Weil sie in ihrer Karriere tatsächlich stets engagiert für Rassengleichheit gekämpft hat, weil ihr Mann Bill Clinton sehr beliebt in dieser Bevölkerungsgruppe ist - und weil Barack Obama trotz (oder gerade wegen) seiner schwarzen Hautfarbe unter ihnen mit vielen Vorurteilen zu kämpfen hatte.
Der junge Senator aus Illinois tritt nämlich weniger kämpferisch auf als andere schwarze Bürgerrechtler wie Al Sharpton oder Jesse Jackson, die nach wie vor insbesondere weißen Rassismus anprangern. Seine Politik der Versöhnung behält Obama auch in Reden über die Rassenkonflikte bei. Und er spart nicht mit Kritik an jungen schwarzen Männern, die ihre Familien im Stich lassen oder Bildung als etwas "Weißes" verunglimpfen. Skeptiker wie Jacksons ehemaliger Wahlkampfmanager Kevin Alexander Gray sagen deshalb über ihn verächtlich: "Er ist wie ein Weißer." Obama musste zudem lange damit leben, dass Schwarze einem Bewerber mit ihrer Hautfarbe ohnehin nicht zutrauen, von Weißen gewählt werden zu können - oder fürchten, er werde irgendwann doch ermordet werden.
Rassismus und Sexismus - die Demokraten scheinen sich entscheiden zu müssen: Wollen sie mit einem schwarzen oder einem weiblichen Kandidaten Geschichte schreiben?
Aber Obama hat seine schwarzen Landsleute in den vorigen Monaten aggressiv umworben. Außerdem half ihm sein triumphaler Sieg in Iowa, wo er seine Wählbarkeit selbst in weißen Regionen unter Beweis stellte. Aktuell kann er in Umfragen unter schwarzen Wählern daher auf fast doppelt so viele Stimmen hoffen wie Clinton. Obamas Niederlage in New Hampshire könnte diesen Trend wieder umdrehen - doch mussten sich die Clintons schon am Tag danach von den Kommentatoren der "New York Times" vorhalten lassen, sie hätten zumindest mit rassistischen Untertönen geliebäugelt.
Gemeint war damit nicht nur Clintons Bemerkung über Martin Luther King. Die ehemalige First Lady hatte auch suggeriert, die Wahl eines weiblichen Präsidenten bedeute mehr "change" - Wandel - für die USA als ein schwarzer Bewohner des Weißen Hauses. Ehemann Bill wetterte zudem gegen angebliche "Märchen" Obamas. Er tat das so aggressiv, dass Kommentatoren schon spitz vermerkten, die Clintons hätten ihr ganzes politisches Leben von der Hoffnung auf einen schwarzen Präsidenten geredet. Doch könnten sie wohl nicht damit umgehen, dass das ausgerechnet gegen sie passiert.
Schon vor einem Monat hatte außerdem ein Clinton-Mitarbeiter Obamas Drogenkonsum als Jugendlicher - den der in seiner Biographie selbst zugegeben hatte - öffentlich als Bürde im Kampf gegen die Republikaner dargestellt. "Sie werden ihn fragen, ob er auch Drogen verkauft hat", fragte der Mitarbeiter. Er wurde dafür gefeuert, Clinton entschuldigte sich persönlich bei Obama. Aber gestern schien der Milliardär Robert L. Johnson, einer der wichtigsten schwarzen Unterstützer von Clinton, bei einer Wahlveranstaltung der Senatorin mit einer zweideutigen Formulierung diese Vorwürfe wieder aufleben zu lassen. Marjorie Valbrun kommentiert: "Sie wollen Obama wie einen typischen schwarzen Drogendealer aussehen lassen."
"Du bist liebenswert genug, Hillary"
Die aktuelle Rassismus-Debatte vermischt sich ironischerweise eng mit einer anderen, bei der Clinton wieder im Mittelpunkt steht: der über Sexismus. Ist Amerika reif für eine weibliche Präsidentin? Entzündet hat sich diese Diskussion an den Reaktionen auf Clintons emotionale Reaktion auf die Frage einer Frau in New Hampshire, wie sie jeden Morgen mit dem Druck des Präsidentschaftsrennens klarkomme. Sie konnte die Tränen nur mühsam zurückhalten.
Viele Wahlkampfexperten spekulieren, dieser Moment habe insbesondere Frauen dort noch in letzter Minute für Clinton stimmen lassen. Weil sie Clintons Frustration nachvollziehen konnten - und verärgert waren über die zynischen Reaktionen männlicher Kommentatoren, die ihr Berechnung unterstellten. Und dann hatte Obama sich selbst wenige Tage vorher nicht gerade ritterlich gezeigt gegenüber seiner Rivalin. Bei einer TV-Debatte grunzte er auf die Frage, warum Clinton nicht beliebter sei, nur ein grimmiges "Du bist liebenswert genug, Hillary" - ohne sie auch nur anzugucken.
Die hitzigen Debatten spiegeln die Zerrissenheit der Demokraten. Der Kampf für die Rechte von Frauen und von Minderheiten ist seit langem tief verwurzelt im Selbstverständnis der Parteianhänger. Nun könnten sie mit einem weiblichen oder einem schwarzen Kandidaten Geschichte schreiben - und stehen vor dem Dilemma, sich entscheiden zu müssen. Vielleicht sollten Clinton und Obama doch einfach gemeinsam antreten. Als Kandidaten fürs Amt des Präsidenten und Vizepräsidenten. Nur wird das mit jedem Schlagabtausch unwahrscheinlicher.