US-Vorwahlen Falke Obama, härter als Bush?
Washington - John Kerry hatte zum Vortrag im US-Senat gebeten. Der ehemalige Präsidentschaftsbewerber der Demokraten, jetzt ein sehr aktiver Unterstützer von Barack Obama, wollte eigentlich vor einer kleinen Runde über die Lage in Pakistan reden. Doch bald begann Kerry abzuschweifen. Der Senator berichtete von seiner jüngsten Reise nach Afghanistan mit den Kollegen Joseph Biden und Chuck Hagel. Auf dem Rückweg landeten sie in Frankfurt. "Und da fiel mir plötzlich ein, dass nur ein paar Hundert Kilometer weiter in Hamburg einst Drahtzieher der Anschläge vom 11. September lebten", berichtete Kerry seinen Zuhörern. So sei ihm wieder einmal klargeworden, welch globale Bedrohung der Terrorismus darstelle - und wie entschlossen alle westlichen Partner dagegen kämpfen müssten.
Wenige Stunden später klang Barack Obama selbst ganz ähnlich. Die Situation am Hindukusch sei untragbar, so der Präsidentschaftsbewerber. "Von den USA und Großbritannien wird verlangt, die Drecksarbeit zu machen, und niemand sonst will sich tatsächlich Feuergefechte mit den Taliban liefern."
Die europäischen Nato-Verbündeten müssten mehr Einsatz in Afghanistan zeigen, mahnte Obama. "Ich habe sehr klar gesagt, dass wir von ihnen mehr Unterstützung brauchen. Wir müssen vielleicht einige der Beschränkungen aufheben, die sie ihren Truppen dort auferlegt haben."
So hart hat US-Präsident Bush das Engagement der Kontinentaleuropäer in Afghanistan noch nie kritisiert. Aber wirklich überraschend sind Obamas Bemerkungen eigentlich nicht. Sowohl der Senator aus Illinois als auch seine Rivalin Hillary Clinton haben bereits häufiger ihre Unterstützung für mehr Nato-Truppen in Afghanistan angedeutet. Der designierte republikanische Präsidentschaftsbewerber John McCain tut dies ohnehin. Dessen enger Berater Henry Kissinger sagte unlängst im SPIEGEL-Gespräch: "Wir brauchen mehr deutsche Truppen, und wir brauchen mehr Nato-Truppen in Afghanistan. Was nicht angeht, ist, dass eines der Nato-Länder seine Soldaten bewusst in Gegenden schickt, in denen nicht gekämpft wird. Das ist keine gesunde Situation."
Auch Obama kann martialisch klingen
Verblüffend sind Obamas Worte höchstens für all jene, die von seiner möglichen Präsidentschaft eine Art Wunderheilung des transatlantischen Verhältnisses erwarten. Zwar dürfte Obama auf einen sehr freundlichen Empfang in Europas Hauptstädten hoffen: als erster Afroamerikaner im Weißen Haus, als früher Gegner des umstrittenen Irak-Krieges - der beide Seiten des Atlantiks entzweit hat wie kaum ein anderes weltpolitisches Ereignis.
Doch bei näherem Hinschauen wird Obama nicht mit allen Facetten der aktuellen US-Außenpolitik radikal brechen. Seine Rhetorik zur Terrorgefahr kann durchaus martialisch klingen. In seiner außenpolitischen Grundsatzrede "Den Krieg, den wir gewinnen müssen" erklärte er unmissverständlich: "Die Terroristen befinden sich im Krieg mit uns." Gerade bekräftigte Obama wieder, dass ein US-Präsident sofort handeln müsse, wenn dank verlässlicher Geheimdienstinformationen gesuchte Terroristen in Ländern wie Pakistan eliminiert werden könnten - nach dieser Manier hat dort die Bush-Regierung gerade einen hochrangigen al-Qaida-Terroristen getötet.
Zudem hat Obama zwar den Rückzug amerikanischer Irak-Truppen innerhalb von sechzehn Monaten nach Beginn seiner Amtszeit versprochen. Als Präsident will er unmittelbar den Abzug beginnen und ein bis zwei US-Brigaden (jede zwischen 3500 und 4500 Mann stark) pro Monat nach Hause bringen, bis Mitte 2010. Aber auch Obama unterscheidet zwischen Kampftruppen und nicht kämpfenden Truppen, die im Irak bleiben sollen - um Terroristen zu bekämpfen, zivile US-Einrichtungen zu schützen und irakische Sicherheitskräfte zu trainieren. Einen kompletten Abzug stellt also auch er nicht in Aussicht. Viele US-Beobachter erwarten zudem, dass er das Tempo des Rückzugs nach der Wahl anpassen könnte. Obamas Wahlkampf-Slogan, die USA müssten beim Rückzug so vorsichtig sein wie sie bei der Invasion unvorsichtig gewesen seien, lässt ihm dafür durchaus Spielraum.
Die Ausrede Bush zieht nicht mehr
Obamas Afghanistan-Bemerkungen erinnern aber auch die Europäer an Herausforderungen für sie durch einen Personalwechsel im Weißen Haus. Der unpopuläre Bush diente denen lange als perfekte Ausrede, um mehr Engagement im Anti-Terrorkampf zu verweigern. "Die Europäer sollen sich keine Illusionen machen", sagt Karen Donfried vom "German Marshall Fund" in Washington im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Auch ein Präsident Obama wird kurz nach Amtsantritt eine stärkere weltpolitische Rolle der Europäer - und der Deutschen - fordern. Interessant ist: Wenn es um Truppen für Afghanistan geht, unterscheiden sich die Positionen von Hillary Clinton, Barack Obama und John McCain nicht sehr. Alle sind sich einig, dass mehr Truppen im umkämpften Süden des Landes nötig sind."
Obama selbst zielt mit seinen Bemerkungen zu Afghanistan natürlich auf die heimische Öffentlichkeit. In den letzten Tagen ist gerade seine außenpolitische Kompetenz immer stärker zum Thema im Wahlkampf geworden. Die Republikaner versuchen bereits vehement, ihn als leichtsinnig-naiv im Umgang mit Diktatoren zu zeichnen - weil Obama bei Wahlkampfauftritten betont, auch mit Feinden Amerikas verhandeln zu wollen, um außenpolitische Fortschritte zu erzielen.
Vor allem aber wittert seine demokratische Rivalin Hillary Clinton ihre letzte Chance, mit einer Diskussion über Obamas Eignung als US-Oberkommandierender dessen Aufstieg zu stoppen. Gerade präsentierte Clinton einen neuen Werbespot. Der kulminiert in der Frage, wen die Amerikaner lieber im Weißen Haus sehen wollen, wenn um drei Uhr nachts ein Anruf zu einer Krise kommt. Sollte ihnen nicht wohler sein, suggeriert der Streifen, wenn die erfahrene ehemaligen "First Lady" das Telefon abnimmt?
Obamas Helfer reagierten mit einem eigenen Werbespot, in dem sie direkt auf deren Thema des Anrufs um drei Uhr morgens eingehen. Der Senator trat persönlich vor Fernsehkameras in Houston und sagte: "Die Frage ist doch: Was für eine Art von Urteilsvermögen zeigt man, wenn man den Anruf beantwortet?" Obama fuhr fort: "Wir hatten einen heiklen Krisen-Moment - das war die Entscheidung, in den Irak einzumarschieren. Und Senator Clinton hat die falsche Antwort gegeben. George W. Bush hat die falsche Antwort gegeben. John McCain hat die falsche Antwort gegeben."
Seine jüngsten Äußerungen zu Afghanistan sind im Kontext dieses erbitterten Schlagabtausches zu sehen. Zumindest scheint Obama seine Parteifreundin damit überrascht zu haben. Kurz nach seinen Äußerungen hielt es nämlich auch Hillary Clinton plötzlich für angebracht, mehr Einsatz in Afghanistan anzumahnen. Man müsse die Nato-Verbündeten, sagte die Senatorin vor Wählern in Texas, daran erinnern, dass dies auch ihr Krieg sei.