US-Vorwahlen Süßer Sieg für Cash & Kerry
New York - Irgendwann an diesem Abend gibt's einen kurzen Moment, da flimmert es über die Bildschirme der Nation wie eine Vorahnung auf das, was im Herbst kommen könnte. Links ein Foto von John Kerry, rechts eines von John Edwards, Seite an Seite im CNN-Siegerkarussell. Kerry & Edwards, John & John: Ist es das also, das beste Demokraten-Duo fürs November-Duell mit George W. Bush?
"Kerry for President, Edwards for Vice President", frohlockt James Carville, der ehemalige Top-Wahlstratege Bill Clintons und selbst ein eingefleischter Demokrat.
Carville, der die drollige Dynamik der Wahlen hier besser kennt als sonst kaum einer, hat nie Zweifel an Kerrys Nominierung zum Kandidaten gehabt, da war er vielen voraus. Nun hat er auch keine Zweifel mehr, dass Edwards dessen bester zweiter Mann ist. Reporterlegende Bob Woodward, seit Watergtate der ultimative Washington-Insider, stimmt zu: Auch er nennt Edwards am Ende der gestrigen Vorwahlnacht "klar den anderen Kandidaten auf der Bühne neben Kerry".
Ein immer plausibleres Bild. Zumindest nach diesen Vorwahlen in sieben US-Bundesstaaten quer durch die Nation, jener Generalprobe der oft entscheidenden "Super-Tuesday"-Mammutschlacht in vier Wochen. Doch schon Iowa hat gezeigt, dass solche Prognosen von heute morgen nichts mehr wert sein müssen.
Von Washington verraten
Kerry, der Senator aus Massachussetts, räumt jedenfalls auch diesmal wieder ab: in Arizona, Delaware, Missouri, North Dakota, New Mexico. Fünf Staaten auf einen Schlag, das ist noch nie einem zuvor gelungen, eine Art Super Bowl der Politik. "Er ist auf dem Weg zum Sieg", ahnt sogar Bob Dole grimmig, der republikanische Ex-Senator und selbst ein gebranntes Kind tragisch verlorener Wahlkämpfe, 1988 um die Nominierung, 1996 um den großen Preis.
Die Zuversicht lässt Kerry sichtlich aufblühen. Bisher steif und linkisch, macht er nun Witze, sonnt sich im Beifall, hat seine Stimme gefunden. Selbst sein Haar ist elektrisiert, statisch glänzt es im Scheinwerferlicht, als er seine Siegesrede hält: forsch, angriffslustig, staatsmännisch, ein echter Kandidat. Vorbei die Zeiten, da ihm seine Berater noch Videos des Rivalen Edwards vorspielen mussten, um ihm einzubläuen, wie man die Kameras betört.
Als erstes dankt Kerry den Kriegsveteranen, die er seine "Band of Brothers" nennt, wie damals in Vietnam. Dahinter steckt mehr als die Höflichkeit eines Gentlemans, sondern auch taktisches Kalkül: Die alten Kameraden sind Kerrys treueste Wählerarmee. Diesen 8,4 Millionen längst vergessenen Helden gibt Kerry nämlich nun eine neue Stimme, und ihre nie verheilten Seelenwunden spiegeln die gärende Unzufriedenheit, die das Land heute spaltet: Das Gefühl, von Washington verraten worden zu sein für eine Sache, die es nicht wert war.
Immer wichtiger für Kerrys Kampagne: Seine Frau Teresa Heinz (für den Wahlkampf eigens in Heinz-Kerry umbenannt) kommt beim Publikum gut an. So gut, dass die Republikaner sich schon auf die mögliche First Lady einschießen. Wegen des ererbten Vermögens seiner Frau nennen die Konservativen das Duo bereits "Cash & Kerry". Die millionenschwere Witwe des Ketchup-Magnaten Heinz hat allerdings bereits klargestellt: Für den Wahlkampf bekommt John von ihr keinen Cent - es sei denn, die Republikaner starten eine Schmutzkampagne gegen ihren Mann.
Das Geld wird knapp
Edwards, der andere, jüngere Senator, sichert sich South Carolina, seinen Heimatstaat, ohne dessen Gewinn er nicht weitergemacht hätte, und muss Oklahoma nur denkbar knapp an Wesley Clark abtreten, den Joker des Abends.
"In unserem Land, in unserem Amerika, ist alles möglich!", jubiliert Edwards, ganz der nette Schuljunge, in seinem engen Anzug und diesen nass gekämmten Bubi-Haaren, mit denen er in der südlichen Landeshauptstadt Columbia vor die kreischenden Anhänger tritt wie ein Backstreet Boy vor seine Girlie-Fans.
Und Edwards weiß, was diese Fans wollen. So ist auf einmal, auf wundersame Weise, sein Südstaaten-Akzent viel stärker geworden. Nun klingt er wie ein junger, wenngleich heiserer Clinton. Auch eine taktische Stimmwandlung: Schließlich ist in den USA noch nie jemand Präsident geworden, ohne sich mindestens fünf konservative Südstaaten zu sichern.
Auf der Suche nach der konföderierten Stimme bricht Edwards noch in der Nacht gen Memphis auf, um dort das schwüle Tennessee zu erobern und dann den einstigen Sklavenstaat Virginia, in beiden wird am nächsten Dienstag gewählt. Die Hast hat aber auch einen anderen Grund: Edwards geht langsam das Geld aus.
Unverdrossener Junggeselle
Wer also denkt, damit sei nun alles klar, täuscht sich natürlich. Gerade mal 269 Delegiertenstimmen wurden gestern verteilt, knapp zwölf Prozent der 2161, die am Ende notwendig sein werden für den Kandidaten. Viel kann passieren bis zum nächsten "Super Tuesday" am 2. März an dem 1151 Delegiertenstimmen vergeben werden. Oder bis zum darauf folgenden Dienstag, an dem mit Florida der letzte große US-Bundesstaat auf dem Vorwahl-Kalender steht. Oder sogar bis zum Bostoner Wahlparteitag Ende Juli, der offiziellen Kandidatenkür der Demokraten.
Es kann noch viel passieren: Darauf spekuliert auch mancher Verlierer dieser Wahlnacht. Joe Lieberman gibt zwar auf, mit einer edlen Abschiedsrede. Howard Dean aber bleibt im Rennen, stur und stoisch, trotz der teils unterirdischen Ergebnisse, die seinen Abstieg vom Spitzenreiter zur personifizierten Internet-Blase festschreiben. So gering waren Deans Erwartungen (und so leer seine Konten), dass er die sieben Staaten gleich von Anfang an aufgegeben und alle TV-Werbung und Auftritte dort ersatzlos gestrichen hatte. "Wir werden weiter voran gehen und gehen und gehen", brüllt er, doch es klingt aufgesetzt, resigniert. "Jeder ist besser als George W. Bush."
Das hofft auch Al Sharpton. Der hatte ja so auf ein gutes Ergebnis in South Carolina gesetzt, mit seinem starken schwarzen Wähleranteil. Doch von den zwölf mehrheitlich schwarzen Wahlbezirken des Bundesstaates ging kein einziger an den Bürgerrechtler aus New York, der sich zum Erbe Martin Luther Kings stilisiert hat. Sharpton stört das wenig: "Ich bin sehr ermutigt", plärrt er, auf seine erste, einsame Delegiertenstimme verweisend, die er gestern im Mini-Staat Delaware errungen hat.
Selbst Dennis Kucinich, der fröhliche Junggeselle und ewige Nachzügler, will weiter machen: "Ich habe endlich mehr als ein Prozent bekommen", strahlt er unverdrossen.
Gefühle mit im Spiel
Doch diese Nacht, in der sich die Möchtegern-Kandidaten erstmals landesweit bewähren mussten und vor einem demographisch repräsentativeren Publikum als vor den rein weißen Mittelständlern New Hampshires, hat noch mehr gezeigt als eine verfestigte Rangfolge. Sie hat abermals bekräftigt, dass es bei dieser Wahl weniger um Sachfragen geht als um eine Abrechnung mit dem Hause Bush.
Kerry, Edwards, Clark und Dean locken ja nur prophylaktisch mit ihren Plänen zur Gesundheitsreform oder ihren Vorstellungen zur irakischen Nachkriegsordnung. Sondern in Wahrheit damit, dass sie sich als die "wählbarsten", aussichtsreichsten Alternativen zu Bush präsentieren, also als beste Chance der Demokraten auf einen Machtwechsel. (Die jüngsten Umfragen geben ihnen Recht: Da liegen beide im hypothetischen Rennen knapp vor Bush.) "Bush schlagen" ist längst zum Wahlkampfthema Nummer eins geworden.
Eine kaum überraschende Konsequenz aus vier Jahren, in denen sich die Nation immer weiter auseinander gelebt hat, angefangen mit dem historischen Wahldebakel von 2000, dessen höchstgerichtliches Ende die Liberalen bis heute nicht verwunden haben. Die damals entstandene Kluft hat sich unter Bush nur vergrößert, sie ist kaum mehr ideologisch, sondern zutiefst persönlich. Demokraten an den Küsten, Republikaner im Landesinneren: Selten zuvor waren sich beide Seiten so verhasst, selten war Politik hier so privat, selten waren mehr Gefühle mit im Spiel, und wenn John Edwards von den "zwei Amerikas" spricht, dann meint er nicht zuletzt auch das.
Todeskuss von Al Gore
Ob "Kerry/Edwards" aber tatsächlich die beste Option der Demokraten für November ist, darüber zerbrechen sich die politischen Kaffeesatzleser seit gestern Abend offiziell die Köpfe. Schon werden erste Zweifel laut, ob gleich zwei Senatoren die beste Kombination seien und man nicht lieber als Vizepräsidenten einen Mann mit Exekutiv-Erfahrung anbieten sollte, einen Gouverneur zum Beispiel wie Bill Richardson aus New Mexiko, der ja als Uno-Botschafter auch schon mal im Kabinett saß. Oder vielleicht doch Hillary Clinton?
Auch hat Edwards einen zweiten Platz bisher kategorisch abgelehnt. Doch, so weiß Bob Dole aus eigener Erfahrung: "Das will nichts heißen." Ex-Kandidat Dole, gar nicht greis, liefert übrigens den besten Einzeiler des Abends, als er trocken feststellt, dass Deans Schicksal schon in dem Moment besiegelt gewesen sei, da sich Ex-Vizepräsident Al Gore so offen auf dessen Seite geschlagen habe, quasi ein Todeskuss: "Wenn Gore anruft - bloß nicht dran gehen!"