
Edel Rodriguez/ DER SPIEGEL


Die Lage: USA 2021 Das Weiße Haus wird desinfiziert

Liebe Leserin, lieber Leser,
heute beschäftigen wir uns mit dem Einzug der Bidens ins Weiße Haus, mit der Zukunft des Senders Fox News und mit dem zweiten Impeachment gegen Donald Trump.
Joe Biden schwört heute auf den Stufen des Kapitols den Amtseid als 46. Präsident der USA. Donald Trump wird ab 12 Uhr Ortszeit nicht länger der »Commander-in-Chief« sein. Wenn ich durch Washington laufe, habe ich das Gefühl in einem Kriegsgebiet zu leben. Überall stehen Soldaten mit Helmen, in Tarnanzügen, in den Händen halten sie halb automatische Gewehre. 25.000 Nationalgardisten bewachen die Hauptstadt am Tag der Amtseinführung.
Das alles wirkt düster. Trotzdem ist es Zeit für ein wenig Optimismus. Amerika, diese stolze Nation, erwacht mit dem Abschied von Trump und der Amtseinführung von Biden endlich aus einem vier Jahre dauernden Albtraum. Der Wechsel an der Spitze mag für Millionen Trump-Fans eine bittere Stunde sein, doch mit Biden haben die Vereinigten Staaten eine echte Chance auf einen Neuanfang.
Niemand, der bei Trost ist, sollte dieses Land unterschätzen. Das große Comeback ist möglich. Man mag im Ausland den Kopf schütteln über das Chaos beim Sturm auf das Kapitol, über das offenkundige Versagen der Regierung im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Doch Amerika ist immer noch ein Riese – und das Land war stets in der Lage, sich nach Krisen neu zu erfinden.
Joe Biden, der Opa im Weißen Haus, sollte ebenfalls nicht unterschätzt werden. In den vergangenen Monaten hat er auf dem Weg zur Macht wenig Fehler gemacht. Er hat Minister berufen, die nicht nur die Diversität Amerikas verkörpern, sondern die auch allesamt politische Vollprofis sind. Bidens bedächtige Art mag auf viele Menschen einschläfernd wirken, doch nach dem hektischen, kopflosen Regieren der Trump-Jahre ist eine »ruhige Hand« im Weißen Haus vielleicht genau das, was Amerika braucht.
Der neue Präsident twittert nicht selbst, er schaut wenig Fernsehen und lässt sich generell ungern vom hyperschnellen »News-Cycle« der US-Medien treiben. Nächtliche Überraschungs-Tweets, in denen Minister gefeuert oder Kriege angedroht werden, sind von ihm sicherlich nicht zu erwarten.
Biden ist zudem ein Menschenfreund. Er steht für das genaue Gegenteil von Trump. Er hat in seiner langen politischen Karriere gelernt, dass Polarisierung nie zu etwas Gutem führt. Anders als der bisherige Präsident betrachtet er politisch Andersdenkende nicht per se als Feinde. Mit seiner ausgleichenden Art könnte er dafür sorgen, dass das politische Klima in den USA endlich entgiftet wird.
Trumps Abschied
Donald Trump und seine Frau Melania wollten die Bidens nicht – wie sonst bei Amtsübergaben üblich – am Weißen Haus empfangen. Sie sind bei der Ankunft der neuen Bewohner schon in Mar-a-Lago. Der neue Präsident wird nun vom »Usher« begrüßt, das ist eine Art Chef-Diener am Sitz des Präsidenten, der sich um das Management des präsidialen Haushaltes kümmert. Der aktuelle Usher wurde von Trump persönlich angeheuert, er arbeitete zuvor in einem Trump-Hotel.
Die Zeitungen in den USA sind voll von kuriosen Details, wie es hinter den Kulissen der Residenz zuging und zugeht. So erfährt man, dass Melania Trump schon seit 14 Tagen eifrig gepackt haben soll, sie konnte den Abschied aus dem Weißen Haus wohl kaum abwarten.
Die privaten Wohnräume des Staatschefs im Weißen Haus werden für den neuen Präsidenten und die neue First Lady Jill Biden nach dem Auszug der Trumps tiefengereinigt und desinfiziert. Ein schöner Service, wenn man bedenkt, dass Mietverträge für normale Menschen meist lediglich eine besenreine Übergabe erfordern.
Die Bidens erhalten auf Staatskosten neue Betten und Matratzen, was als Standardprozedur bei einem Regierungswechsel gilt. Weil die Bidens – anders als die Trumps – wohl in einem Zimmer und Bett schlafen, wird allerdings nur eine neue Matratze benötigt.
Etwas komplizierter gestaltet sich derweil die Übergabe des Atomkoffers, des sogenannten »Footballs«. Mithilfe der Ausrüstung in diesem Koffer kann der US-Präsident bekanntlich im Ernstfall Atomraketen starten. Die Ledertasche, die stets von einem Offizier oder von einer Offizierin getragen wird, kann diesmal nicht einfach so an den neuen Präsidenten übergeben werden. Weil Trump schon vor der Amtseinführung der Bidens in Florida sein wird, fliegt der Koffer zusammen mit ihm in Richtung Süden. In der Minute, in der Biden dann vor dem Kapitol den Amtseid ablegt, schalten sich die Trump-Codes ab und in Washington wird ein zweiter Koffer mit neuen Codes für Biden bereitgestellt.
Trump, die nächste Staffel ist schon in Arbeit
Die Trump-Präsidentschaft in ihrem ganzen Irrsinn ist oft mit einer Netflix-Serie verglichen worden. Die vielen Plot-Twists, der ständige Wechsel der Handlung und die Erwartung der nächsten Katastrophe fühlten sich tatsächlich auch für mich manchmal an, als sei das alles von Drehbuchschreibern erfunden worden. Leider war es aber bitterer Ernst.
Serienfans sei trotzdem gesagt: Es ist noch eine weitere Staffel in Arbeit, »Das Impeachment«. Der US-Senat soll schon bald den Prozess gegen Donald Trump starten, es wird der Auftritt diverser Zeugen erwartet, auch Trump selbst könnte zu seiner Rolle bei den Ereignissen rund um den Sturm auf das Kapitol befragt werden. Melania, Jared und Ivanka sind vermutlich ebenfalls wieder mit dabei, aber wie immer in Nebenrollen.
Schlecht für Trump: Der Chef der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, hat nun erklärt, Trump habe den Sturm »provoziert«. Diese klare Ansage lässt vermuten, dass McConnell und andere Republikaner doch gewillt sein könnten, gemeinsam mit den Demokraten für Trumps Verurteilung zu stimmen. In der Konsequenz könnte Trump so nicht nur seine Pensionsansprüche und weitere Privilegien von Ex-Präsidenten wie kostenlosen Transport verlieren. Ihm droht auch das berüchtigte Ämterverbot, was bedeutet, dass er nie wieder als Präsident kandidieren dürfte. Dann wird diese Serie hoffentlich für immer abgesetzt.
Was treibt Fox News?
Apropos Fernsehen. Der TV-Kanal Fox News hat Trump vier Jahre lang eine große Bühne bereitet. Einige Kritiker wie Chris Cuomo vom Konkurrenzsender CNN sprachen abfällig vom Staatsfernsehen, weil sie bei Fox News – nicht in allen – aber in vielen Sendungen selbst den größten Trump-Blödsinn kritiklos in die Welt hinausposaunten. Zuletzt wurden dort Trumps Lügen über die angeblich gestohlene Wahl in mehreren Sendungen unterstützt.
»Wir haben die Beweise. Dieser Betrug wird weitergehen und Amerika ist für die nächsten 20 Jahre erledigt«, tönte beispielsweise die Moderatorin und Trump-Freundin Jeanine Pirro, die ein Millionenpublikum erreicht. Trumps Anwälte wie Rudy Giuliani oder Sidney Powell waren bei Fox Dauergäste und durften ihre Verschwörungstheorien verbreiten.
Wer allerdings erwartet, die Verantwortlichen bei Fox News, namentlich der Eigentümer Rupert Murdoch, würden sich nun entschuldigen oder sonst wie Abbitte leisten, hat sich vertan. Von Entschuldigungen oder auch nur dem Hauch eines schlechten Gewissens ist nichts zu sehen oder zu hören. Stattdessen soll eine der schlimmsten Trump-Propagandistinnen in der Sendergruppe, die Moderatorin Maria Bartiromo, sogar noch befördert werden. Sie soll möglicherweise eine neue »Meinungssendung« in der Primetime von Fox News am frühen Abend erhalten.
Unsere US-Storys der Woche
Diese beiden Geschichten aus unserem US-Team der letzten Tage möchte ich Ihnen ans Herz legen:
Abschiedsbrief an den US-Präsidenten: Gut, dass wir Sie los sind, Mr Trump
Joe Bidens Kampf gegen das Erbe seines Vorgängers: Dämon Trump und sein Exorzist
Herzlich,
Ihr
Roland Nelles

Seine Arbeiten erregen Aufsehen, seine Illustrationen sind weltbekannt: Edel Rodriguez' Kunst ist immer wieder auf SPIEGEL-Titelbildern zu sehen, auch das Logo für diesen Newsletter hat er gezeichnet. Ein Interview mit dem Illustrator aus dem Jahr 2017 finden Sie hier.
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