US-Wahlkampf Fänger im Mais

Die Präsidentschaftskandidaten der US-Republikaner stellten sich in Iowa, im tiefsten Mittleren Westen, einer ersten Testwahl. Sie warben mit Freibier, Country-Musik und Appellen an die Rechtsaußen-Parteibasis - ein bizarrer Vorgeschmack auf das, was droht, wenn der Wahlkampf erst richtig losgeht.

Ames - Eins muss man ihm lassen. Der texanische Kongressabgeordnete und Dorf-Gynäkologe Ron Paul, 71, rangierte im Präsidentschaftsrennen der US-Republikaner bisher zwar nur unter ferner liefen. Doch er hat ganz sicher die lautesten, engagiertesten, aufgewecktesten, energiegeladensten Anhänger.

Sie kreischen und brüllen und springen verklärt auf und ab, wie Kids im Ecstasy-Rausch. Sie rücken mit Kinderwagen, Hunden und Megaphonen an, einige auch mit Trommeln, Querflöten und Dreispitzen. Sie haben den Campus der Iowa State University in Ames mit Abertausenden Ron-Paul-Schildern zugepflastert.

"Wir sind eine Armee", bebt David Fisher, 39. "Eine Freiwilligen-Armee." Als Paul im März seine Kandidatur bekannt gab, schrieb sich der Ingenieur aus Des Moines, Iowas Hauptstadt, noch am selben Tag als Wahlhelfer ein. "Seit 20 Jahren bin ich ein republikanischer Aktivist", sagt er. "Doch dies ist das erste Mal, dass ich Geld gespendet habe. Viel Geld." Und warum? "Seine Botschaft. Die Botschaft der Freiheit. Ich liebe Dr. Pauls Botschaft der Freiheit."

Nun gut. Dr. Pauls Botschaft ist zwar nicht unbedingt nur eine Botschaft der Freiheit. Eher eine Botschaft scharfrechter Basiswerte (Einwanderungsverschärfung, Abtreibungsverbot, Schusswaffen für alle), vermischt mit Antikriegsparolen (bloß raus aus dem Irak) und radikalen Reformplänen (Abschaffung der Steuerbehörde IRS, des Bildungsministeriums und der US-Notenbank).

Wer hat das meiste Geld?

Und trotzdem hat es Paul seinen meist jugendlichen Fans angetan. Er ist, nach Barack Obama, der zweitpopulärste YouTube-Kandidat beider Parteien. Er ist der Kandidat mit den meisten "Friend"-Links auf MySpace.com. Und er ist an diesem Wochenende der Kandidat, der bei der Iowa Straw Poll, der ersten Testabstimmung der Republikaner, das größte Tohuwabohu zu inszenieren vermag, immerhin.

Das wäre auch schon das beste Wort für das, was gestern in Ames stattfand. Die Iowa Straw Poll - eine traditionsreiche, wiewohl unwissenschaftliche, undemokratische und faktisch eigentlich bedeutungslose Testwahl - zog neun Republikaner-Kandidaten, fast 35.000 Anhänger und ein Reporterheer aus aller Welt in die kleine Universitätsstadt im Zentrum Iowas im Herzen der USA. Auf einer Art Polit-Karneval zelebrierten sie vor allem sich selbst, demonstrierten ihre etwas bizarre Vorstellung von Basisdemokratie - und gaben einen Vorgeschmack auf das, was dräut, wenn der US-Wahlkampf erst mal so richtig losgeht.

Dazu muss man wissen, dass Iowa - der Staat, der vor allem wegen Mais, Sojabohnen und Ethanol bekannt ist - in US-Wahlkämpfen eine Sonderstellung einnimmt. Es ist der Staat, in dem stets die erste aller zeitgestaffelten Vorwahlen stattfindet, hier Caucus genannt. ("Iowa comes first", rufen sie einem hier gerne zu.) Und obwohl Iowa, zu 96 Prozent weiß, kaum als repräsentativer Querschnitt der USA gesehen werden kann, sagen seine Vorwahlen die späteren Nominierungen meist korrekt voraus. Und oft auch die Präsidenten, zuletzt George W. Bush.

Die Straw Poll ist eine Art Warmlaufen dafür. Ein Vorfühlen: Welcher Kandidat hat das Zeug, welcher nicht. Sprich: Wer hat das meiste Geld - und den am besten organisierten Apparat.

Der Spitzenreiter boykottiert

Dazu "kaufen" die Kandidaten so viele Fans wie möglich, indem sie ihnen den Eintritt zur Straw Poll (in diesem Jahr 35 Dollar) zahlen, sie in Bussen aus allen Ecken Iowas kostenlos nach Ames karren und dort in Festzelten bewirten. Dann tun sie vor versammelter Mannschaft so, als würben sie noch um Stimmen. Hernach wird zeremoniell abgestimmt und ausgezählt.

Sieger kriegen meist etwas PR-Auftrieb im Wahlkampf, nicht zuletzt durch die massive Präsenz der nachrichtenhungrigen US-Medien. Verlierern wird nahegelegt, an dieser Stelle aufzugeben. Denn wer nicht mal diese Farce meistert, kann sich den Rest des Wahlkampfs gleich sparen. Am meisten profitiert derweil die republikanische Landespartei: Die knöpft den Kandidaten hohe Teilnahmegebühren ab und verdient so im Schnitt eine Million Dollar.

Unter anderem deshalb beschlossen Rudy Giuliani, der Spitzenreiter der Republikaner, und John McCain, der kenternde Medien-Darling, die diesjährige Straw Poll zu boykottieren. Giuliani wollte das Geld nicht ausgeben. McCain konnte nicht: Er ist so gut wie pleite.

Dafür prallen die restlichen Kandidaten in der Hitze Zentral-Iowas um so lauter aufeinander. Zum Spaß haben die Organisatoren zwei weitere Namen mit auf die Abstimmliste genommen, von denen der eine (noch) gar nicht kandidiert (der schauspielernde Senator Fred Thompson) und der andere kaum jemandem bekannt ist (der Geschäftsmann John Cox). "Ich habe ein paar gute Ideen", versichert der joviale, silberhaarige Cox, der im schwarzen Anzug etwas verloren am Rande des Campus grüßt und beinahe kübelweise schwitzt.

Ein Mormone wirbt für einen Schwarzen

Das größte Festzelt hat natürlich der reichste Kandidat hier: Mitt Romney, der schöne Ex-Gouverneur von Massachusetts. In bester Lage, direkt neben dem Auditorium, wofür Romney auch 25.000 Dollar Platzmiete zahlt. Die anderen Kandidaten zahlen 20.000 oder 15.000 Dollar. Es gibt lange Biertische, eine Kletterwand und Rutschbahnen für die Kleinen. Bei so viel Spaß vergisst man schnell, dass Alan Fabian, Romneys Co-Finanzchef, gerade erst wegen Geldwäsche und Konkursbetrug angeklagt wurde und zurückgetreten ist.

Auch die anderen Kandidaten lassen sich nicht lumpen. Duncan Hunter, der aussichtslose Ex-Abgeordnete aus San Diego, lädt zum Country-Picknick, mit Strohballen, Luftballons und einer echten Eismaschine von 1915. "Wir wollen die Erwartungen nicht zu hoch stecken", sagt er. "Für uns ist das der Beginn eines Marathons." Seine Frau Lynne, im feschen Cowboy-Hut, sieht's pragmatischer. "Ich glaube nicht, dass das hier so wichtig ist, wie die Leute denken", sagt sie. "Aber wir vergnügen uns prächtig."

Mike Huckabee, Arkansas samtzüngiger Ex-Gouverneur, hat einen Sattelschlepper mit Huckabee-Schildern tapeziert und greift in die E-Gitarre, flankiert von einem Elvis-Imitator. Senator Sam Brownback lockt mit dem einzigen klimatisierten Zelt und einem Überraschungsgast, dem Schauspieler Stephen Baldwin ("seine Überzeugungen ruhen im Glauben"). John Cox verlost einen Urlaub im kalifornischen Resort Rancho Valencia Villas.

Dazwischen tummeln sich Nicht-Kandidaten mit diversen Agendas. Newt Gingrich signiert seinen Bürgerkriegs-Roman "Gettysburg" und disqualifiziert, wenn immer er ein Mikrofon sieht, alle Kandidaten pauschal: "Wir brauchen neue Ideen." Der Mormone Stephen Stone ist mit seinen drei Söhnen Ethan, 26, Ellery, 23, und Callan, 16, aus Salt Lake City angereist, um für eine Kandidatur des schwarzen Radio-Talkers Alan Keyes zu trommeln, der sich 2000 gut gegen Bush und McCain behauptet hatte: "Alan ist die großartigste öffentliche Figur dieser Generation", sagt Stone. Und der Psychiater Hugh Cort aus Alabama informiert alle, die sich interessieren, dass auch er kandidiere, und zwar, um die USA vor dem nuklearen Holocaust zu bewahren: "Ich bin ein international anerkannter Anti-Terror-Experte."

Eine Mauer zu Mexiko

Zum Schluss schwingen die offiziellen Kandidaten im Auditorium noch mal Reden, die irgendwie alle gleich klingen. Gott, Waffen, Abtreibung, Schwulen-Ehe, Immigranten - alle Ur-Instinkte der Basis werden bedient. Romney verteufelt "Porno-Schmutz", der ultrarechte Abgeordnete Tom Tancredo will eine Mauer zu Mexiko bauen, Cox empfiehlt sich als "Anti-Hillary", Ex-Gouverneur Tommy Thompson erneuert sein beliebtes Wahlversprechen, bis 2015 den Brustkrebs abzuschaffen. Und Ron Paul lässt sich nichts davon anmerken, dass seine Frau Carol mit einer Herzschwäche ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Ach ja, das Stimmergebnis. Romney gewinnt erwartungsgemäß, mit 4516 Stimmen (32 Prozent). Huckabee ergattert sich einen überraschenden zweiten Platz, gefolgt von Brownback, Tancredo und, ja, Dr. Ron Paul. John Cox, der Geschäftsmann, ist mit 41 Stimmen weit abgeschlagenes Schlusslicht.

Das Resultat verzögert sich um eineinhalb Stunden. Ein Wahlautomat streikt, weshalb 1500 Stimmen per Hand ausgezählt werden müssen. Insofern ist die Iowa Straw Poll am Ende dann doch einigermaßen repräsentativ.

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