S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Böse, böser, Romney

In den Medien ist der Wahlkampf ums Weiße Haus schon entschieden: Mitt Romney gilt seit seiner eigenwilligen Wähleranalyse als chancenlos. Leider helfen Beschwörungsformeln in der Demokratie nur bedingt weiter: Der Republikaner hat nicht die Presse auf seiner Seite - aber die Zahlen.
US-Präsidentschaftskandidat Romney: Als Kinderschreck eine Enttäuschung

US-Präsidentschaftskandidat Romney: Als Kinderschreck eine Enttäuschung

Foto: JIM YOUNG/ REUTERS

Schade, dass man die amerikanischen Präsidentschaftswahlen nicht in deutschen Redaktionsräumen abhalten kann. Dann wäre die Sache längst entschieden und man müsste über Mitt Romney keine Zeile mehr verlieren.

Gemessen an dem heiligen Ernst, mit dem das interessierte Publikum hierzulande den US-Wahlkampf verfolgt, wäre es vermutlich überhaupt am besten, man würde die Deutschen abstimmen lassen. Oder zumindest den Kreis der Wahlberechtigten auf die 47 Prozent beschränken, die der republikanische Bewerber gerade als überzeugte Obama-Anhänger abgeschrieben hat. Es ist ja seit langem ein Skandal, dass über das Schicksal der freien Welt so viele "verbitterte" Leute befinden dürfen, die sich "an Waffen oder Religion oder ihre Abneigung gegen alle Menschen, die anders sind", klammern.

Oh, sorry, falsches Zitat. Das war eine Beleidigung aus dem letzten Wahlkampf.

Diesmal also ist nicht Obama über die Anhänger der Republikaner hergezogen (was immer in Ordnung geht), sondern Mitt Romney über die Demokraten (was gar nicht okay ist). Nun steht überall zu lesen, dass der ehemalige Gouverneur aus Massachusetts kurz vor dem Ende sei. Wer die Berichterstattung schon seit etwas längerem verfolgt, fragt sich, wie tief dieser Mann eigentlich noch sinken will. Schon vor einer Woche hieß es, Romney stehe praktisch vor dem Aus, beziehungsweise sei auf dem Weg nach ganz unten. Wahrscheinlich durchschlägt er bei den Umfragen demnächst die Nulllinie und betritt dann den Bereich der Negativquote.

Als Kinderschreck ist er eine Enttäuschung

Kommunikativ mag der Auftritt in Florida, dessen Video-Mitschnitt jetzt überall im Web zirkuliert, ein grober Fehler sein: In der Sache hat der republikanische Präsidentschaftskandidat die politische Landschaft ziemlich akkurat beschrieben, als er sagte, dass 47 Prozent der Wähler für Obama stimmen werden , "komme, was da wolle". Nur Amateure können annehmen, dass es in Wahlkämpfen darum geht, das Volk für sich einzunehmen. Tatsächlich muss das Ziel sein, seine Anhänger zur Wahl zu bringen, plus ein paar von denen, die zwischen den Lagern hin und her schwanken. Wem das besser gelingt als dem Vertreter der Gegenseite hat am Ende die Nase vorn, so einfach ist das. Mobilisierung entscheidet Wahlen, nicht allgemeine Sympathiewerte oder das Urteil der Presse.

Was die Besetzung als Kinderschreck angeht, ist Romney eigentlich eine Enttäuschung: Er hat nicht viel mit der Tea-Party-Bewegung am Hut und auch nicht mit dem Gott-Sei-bei-uns des aufgeklärten Journalismus, der rechten Schneekönigin Sarah Palin (die war auf dem Nominierungsparteitag in Tampa noch nicht einmal eingeladen). Wer sich ein wenig im Netz umschaut, wird schnell feststellen, dass Romney in seinem politischen Leben schon so ziemlich jeden Standpunkt vertreten hat, der auch Demokraten am Herzen liegt.

Er hat sich für eine Gesundheitsreform stark gemacht, als er noch in Massachusetts regierte; er war für das Recht von Frauen auf Abtreibung und selbst Steuererhöhungen waren mit ihm schon zu haben. Kurz, er ist ein ziemlich ausgeglichener Kerl, dessen einzige Extravaganz der Glaube seiner Vorfahren an die Vorzüge der Polygamie ist. Plus: Er kennt sich aus mit Ökonomie, was vielleicht kein ganz schlechtes Argument ist, wenn man die größte Volkswirtschaft der Welt leiten will.

Warnung an alle Obama-Fans

Vermutlich wird auch deshalb so viel über Stilfragen geredet, weil Romney vielleicht nicht die Umfragen, aber die Zahlen auf seiner Seite hat. In einem ausführlichen Stück im Magazin "Newsweek" hat der nicht eben als Radikaler verschriene Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson gerade eine viel beachtete Bilanz der letzten Jahre vorgelegt . Man muss alle Obama-Fans vor der Lektüre warnen, sie könnte zu heftigem Schluckauf führen.

Man kann tausend Entschuldigungen finden, aber die Zahlen sind so: Seit 2008 haben 3,6 Millionen Amerikaner ihre Erwerbsunfähigkeit erklärt und sich in staatliche Hilfsprogramme begeben. Das Wachstum lag im vergangenen Jahr nicht bei 4,0 Prozent, wie in Obamas Haushalt vorgesehen, sondern bei 1,8 Prozent, und es gibt wenig Aussicht, dass es dieses Jahr deutlich besser wird. Die Schulden sind gemessen an den Einnahmen, und das ist die entscheidende Vergleichsgröße, von 165 Prozent im Jahr 2008 auf 262 Prozent gestiegen.

"Willkommen in Obamas Amerika" schließt Ferguson seine Bilanz, der in Amerika vom linken Lager heftig angefeindet wird: "Wir sind auf dem Weg zu einer 50-50-Nation: Die eine Hälfte zahlt die Steuern, die andere Hälfte nimmt die Leistungen entgegen." Das ist ziemlich genau das, was auch Romney in seinem mittlerweile weltberühmten Auftritt sagte, den jetzt alle für den vorläufigen Tiefpunkt des Wahlkampfs halten.

Vor kaum etwas fürchtet sich der brave deutsche Kolumnist so sehr wie vor einem Republikaner im Weißen Haus, da müssen sogar die Sorge vor dem Klimawandel oder dem nächsten Sarrazin in den Hintergrund treten.

Leider helfen magische Rituale in der säkularen Welt nur bedingt weiter, das gilt auch für die mediale Beschwörungszeremonie. Erinnert sich noch jemand an die Wahl 2004, als George W. Bush gegen John Kerry antrat? Natürlich waren gutmeinende Menschen fest davon überzeugt, dass der anständige Herr Kerry das Rennen machen würde. Dann fuhr Bush für die Republikaner das beste Ergebnis seit Jahren ein und alle, die eben noch eine Niederlage vorausgesagt hatten, standen im Regen.

Journalisten können sehr nachtragend sein. Diese Beleidigung durch die Wirklichkeit haben viele den Republikanern bis heute nicht verziehen.

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