US-Wahlkampfsongs Der Soundtrack der Kandidaten
Das Apollo Theater ist ein Wallfahrtsort. Die historische Konzerthalle in Harlem war ein Brennpunkt der US-Bürgerrechtsbewegung und eine Bühne für Jazz- und Soulgrößen wie Ella Fitzgerald und James Brown. Michael Jackson hatte hier 1969 mit gerade mal neun Jahren seinen ersten umjubelten Auftritt, beim legendären Singwettbewerb "Amateur Night", der bis heute regelmäßig stattfindet.
Der Amateursänger, der sich erst vor kurzem im Apollo Ruhm erträllerte, heißt Barack Obama. Bei einer Spendengala im Januar stimmte er den Hit "Let's Stay Together" des Soulsängers Al Green an, der in der Loge saß. "I'm…", begann Obama zu lautem Jubel, die Orginal-Tonart des Songs von 1972 (F-Dur) mit perfektem Pitch treffend, "… sooo in love with you…" Der Präsident grinste, das Publikum tobte.
Greens Ballade von Treue in stürmischen Zeiten ("Loving you whether, whether / times are good or bad, happy or sad") ist die ideale Ode an ein Amerika, das den Honeymoon nach Obamas Wahl 2008 längst vergessen hat. Prompt wurde der Oldie zum neuen Goldie: 16.000 Fans luden ihn tags darauf herunter, ein Plus von 490 Prozent. Al Green zeigte sich "begeistert" über die präsidiale Propaganda.
Jetzt darf er sich noch mehr freuen: Das Weiße Haus hat "Let's Stay Together" zu einer seiner Wahlkampfhymnen für dieses Jahr gekürt. Zwei Dutzend Songs umfasst die offizielle "Campaign Playlist", veröffentlicht am Donnerstag auf Obamas Facebook-Seite. Im Online-Radio Spotify gibt es sogar 28 Tracks, mit denen die Anhänger fortan vor und nach seinen Auftritten bedröhnt werden.
Doch nicht nur der Präsident hat einen Soundtrack für seine Soundbites. Auch Mitt Romney, Newt Gingrich, Rick Santorum und Ron Paul kleiden ihre Events in Musik. Doch während das bei denen eher eine oft identisch klingende Hitparade patriotischer Gassenhauer ist, zeigt Obama einen anderen Musikgeschmack.
Die Auswahl ist vielsagend. Vor vier Jahren noch untermalte er seinen Wahlsieg mit einem souligem Motown-Mix - einem "Crescendo der Hoffnung", wie Bill Werde, Redaktionschef des Musikmagazins "Billboard", dem Nachrichtendienst Bloomberg sagte. Die neue Hitliste ist viel pragmatischer und wahlstrategisch durchdacht.
Alles außer Rap
Soul/R&B bleibt zwar das Top-Genre, mit neun Songs aus vier Jahrzehnten - von "The Weight" (Aretha Franklin, 1969) bis "Love You I Do" (Jennifer Hudson, 2006). Doch der Rest ist meist Mainstream fürs moderate Middle America. Leitmotive: Ausdauer, Courage, Comeback. "You gotta crash and burn / you gotta make some stances and take some chances", singt Country-Star Darius Rucker in "Learn to Live": Du musst alles verlieren, Stellung beziehen, Risiken eingehen.
Nichts ist Zufall, jedes Genre spricht eine andere Wählergruppe an. Neben dem obligatorischen Patrioten-Country gibt es arglosen Classic Rock für die Mittelklasse ("We Take Care of Our Own" von Bruce Springsteen), Indie Rock für Jungwähler ("We Used to Wait" von Arcade Fire) und Oldies für Babyboomer und Altrocker ("Your Smiling Face" von James Taylor). Für Pop sorgen Ricky Martin und No Doubt.
Nur eine Sparte fehlt: Rap. "Ein schockierendes Versäumnis", schimpft Mike Allen im "Atlantic". Zumal Rap-Stars wie Jay-Z zu Obamas Top-Unterstützern gehören. Doch ihre von Sex und Gewalt geprägten Texte wären Munition für die Republikaner, die Obama allzu gerne als "angry black man" porträtieren.
Bei den Republikanern dagegen wird fast nur Country gespielt. Mitt Romney, der Favorit unter den Präsidentschaftsbewerbern, greift gern auf den Song "Made in America" von Toby Keith zurück. Der 50-Jährige gilt als einer der erfolgreichsten Country-Barden - und auch als einer der patriotischsten. Den Song hat er nach dem Tod seines Vaters und den Attacken vom 11. September geschrieben. Es geht um einen alten Mann, dessen Herz bricht, wenn er im Ausland produzierte Autos sieht oder Kleidung, die nicht in den USA zusammengenäht wurde. Über der Farm weht die US-Flagge, und seine Frau feiert täglich Unabhängigkeitstag.
Von Hengsten und Träumen
Unverzichtbar für Romney ist Kid Rock. Mit dessen Hit "Born Free" kehrt der Kandidat stets in die Hallen hinein - egal ob in Iowa oder Florida. "Frei, wie ein reißender Fluss / Stark, wie der Wind, der mir entgegen weht / Träume jagend, gegen die Zeit kämpfend / Tief wie die tiefste Schlucht / Wild wie ein ungezähmter Hengst / Ich wurde frei geboren." Nun ist zwar der steife Romney alles andere als ein "ungezähmter Hengst", doch was soll's, der Song hat sich zu seinem Markenzeichen entwickelt, die Anhänger gehen kräftig mit.
Wer den größtmöglichen Kontrast zu Romney wolle, sagt Newt Gingrich, der müsse eben Newt Gingrich wählen. Ob's stimmt? Was die Wahlkampfsongs angeht, sind sich die beiden jedenfalls zum Verwechseln ähnlich. Auch Gingrich lässt gern mal den patriotischen Toby Keith durch die Lautsprecher dröhnen und setzt ansonsten auf "Only in America" von Brooks & Dunn: "Nur in Amerika / Wo wir so weit träumen wie wir wollen / Da werden wir alle unsere Chance bekommen." Sehr passend für den Kandidaten Gingrich, der sich längst ins Weiße Haus geträumt hat und der selbsterklärte einzig legitime Erbe Ronald Reagans ist.
Dass Romney und Co. so entschieden auf Country setzen, hat auch einen praktischen Grund: Viele Künstler anderer Musikrichtungen mögen sich nicht von den Republikanern vereinnahmen lassen. Als etwa Romney nach seinem Vorwahl-Triumph in Florida mal was anderes machen wollte und auf seiner Siegerparty in Tampa die Fußball-WM-Hymne von Südafrika ("Wavin' Flag") spielen ließ, meldete sich kurz darauf der zuständige Rapper K'naan - und drohte mit Klage.
Es ist verflixt. "Fast alle Songs, auf die Abermillionen Amerikaner emotional reagieren, können die Republikaner nicht nutzen, weil der Künstler das nicht unterstützt", zitierte jüngst die "New York Times" den Ärger von Steve Schmidt, eines Polit-Strategen, der 2008 den damaligen Präsidentschaftskandidaten John McCain managte. Und Ed Rollins, der schon für Reagan arbeitete, sagte an gleicher Stelle über die Songschreiber: "Es sind immer die Republikaner, gegen die sie sich wehren." Bei Demokraten jedenfalls würden sie nicht aufschreien.
Kein Wunder, dass Mitt Romney bei all dem Theater auch gern mal auf Musik aus der Konserve verzichtet. Er singt dann einfach selbst, wie Obama. Romneys Lieblingslied ist "America the Beautiful". Und es vergeht kein Wahlkampfauftritt, ohne dass er nicht ein paar Zeilen daraus zitiert - meist jedoch nur sprechend.
In Florida wagte Romney es neulich jedoch, tatsächlich zu singen. Es war ein traurig-schräges Schauspiel, mit dem er sich zum Gespött der Late-Night-Comedians machte.
Bei der "Amateur Night" im Apollo hätten sie ihn sofort von der Bühne gebuht.