Rassismus-Debatte Amerika hat Angst vorm schwarzen Mann
Barack Obama sah seinen Vater nur zweimal in seinem Leben, ein ganzes Buch hat der Präsident über diese traurige Erfahrung geschrieben, es heißt wehmütig: "Dreams from My Father". Wenn sich Obama nun selbst an die Stelle eines Vaters rückt, muss ihn ein Thema ganz persönlich berühren.
"Hätte ich einen Sohn, er würde aussehen wie Trayvon", sagte der mächtigste Mann der Welt gerade zu dem Fall, der Amerika noch immer aufwühlt. Trayvon Martin, 17 Jahre alt, wurde Ende Februar auf einem Gehweg in Florida von einem selbsternannten "Nachbarschaftswächter" erschossen. Neben Martins Leiche lagen eine Packung Eistee und ein paar Süßigkeiten. Der Junge hatte Hunger und Durst bekommen; das war der harmlose Grund für seinen Spaziergang durch die Nachbarschaft, der tödlich endete.
Seinem Todesschützen George Zimmerman war der schmächtige Teenager nämlich nicht geheuer, Martin führe "nichts Gutes im Schilde", gab Zimmerman der Polizei vor seinen Schüssen telefonisch durch, er murmelte dabei ein rassistisches Schimpfwort.

George Zimmerman: 150.000 Euro Kaution
Unheimlich war ihm Martin wohl aus einem einzigen Grund: wegen seiner schwarzen Hautfarbe. Im Florida-Fall geht es leider wieder um die historische Angst vor dem "schwarzen Mann", dem vermeintlichen Gewalttäter, sei er noch so jung - und umgekehrt der Angst des schwarzen Mannes vor genau diesem tödlichen Vorurteil.
"Stell dir vor, du schießt auf Obama"
Es ist eine Angst, die auch Obama ganz persönlich angeht. Der Präsident erhält rund 30 Todesdrohungen pro Tag, heißt es aus Sicherheitskreisen, weit mehr als jeder seiner Vorgänger. Als der republikanische Präsidentschaftsbewerber Rick Santorum soeben in Louisiana an einem Schießstand auf Zielscheiben feuerte, um sich bei waffenvernarrten Südstaatenwählern einzuschmeicheln, feuerte ihn eine Zuschauerin an. "Stell dir vor, du schießt auf Obama", rief sie.
Was hat sich also eigentlich verändert am Miteinander von Schwarz und Weiß in Amerika, seit im Weißen Haus eine schwarze Vorzeigefamilie wohnt? Wie hat sich dieses Land überhaupt seit dem Jahr 1955 entwickelt, als ein afroamerikanischer Junge in Mississippi von Rassisten ermordet wurde, weil er mit einer weißen Frau geflirtet haben soll? Oder seit 1984, als der Weiße Bernhard Goetz in manchen Kreisen zum Volksheld avancierte, weil er in einer New Yorker Metro vier schwarze Jugendliche anschoss, von denen er sich bedroht fühlte?
Gar nichts, schimpfen aufgebrachte Afroamerikaner. Sie verweisen auf Statistiken, wonach vor allem schwarze Männer noch immer deutlich ärmer sind als weiße; sie landen weit häufiger im Gefängnis, auch weil sie eher festgenommen und schärfer bestraft werden. Diese Kritiker zürnen, dass auch Präsident Obama derlei Ungleichheit bislang kaum gelindert habe.
All dies stimmt, doch etwas anderes stimmt ebenfalls: Amerika hat viele Fortschritte gemacht. Offener Rassismus führt längst zu gesellschaftlicher Ächtung, und ein junger Schwarzer hat oft bessere Aufstiegschancen als ein junger Türke in Deutschland.
Doch "Race matters", wie der Princeton-Professor Cornel West schreibt, die Hautfarbe kann nach wie vor eine Last sein. Manchmal diskret, wenn Taxifahrer nicht für einen schwarzen Mann stoppen oder der afro-amerikanische Restaurantgast klarstellen muss, nicht der Kellner zu sein. Obama hat derlei Erfahrungen selber beschrieben.
"Ähnliches könnte jedem Schwarzen widerfahren"
Manchmal aber eben noch ganz offen, und dann kann es nach wie vor um Leben oder Tod gehen, so wie nun in Florida. "Für jeden schwarzen Mann in Amerika, ob Millionär oder Mechaniker", schreibt "Washington Post"-Kolumnist Eugene Robinson, "ist diese Tragödie sehr persönlich. Ähnliches könnte jedem von uns widerfahren."
Obama kann solche Gefühle nachvollziehen wie kein Präsident vor ihm. Dennoch darf er sich seinen Zorn nicht anmerken lassen, wie seine sorgfältig gewählten Worte zum Florida-Skandal unterstrichen. Peinlich achtete er darauf, bloß nicht als wütender Schwarzer zu erscheinen - was ihm vorgehalten wurde, als er vor zwei Jahren nach der Festnahme eines afroamerikanischen Harvard-Professors das Vorgehen der Polizei "dumm" nannte.
Prompt lobten Politikstrategen, dass der Präsident zwar rührend über Martin sprach - aber sich "geschickt" jede offene Verurteilung von Rassismus verkniff.
Warum aber muss Obama so vorsichtig agieren, gerade in einem Wahljahr? Vermutlich, weil viele weiße Amerikaner kein schlechtes Gewissen mehr haben wollen - und ironischerweise Obamas Wahl als Entlastungsargument benutzen.
Mittlerweile, klagen schwarze Intellektuelle, scheiterten Rassismus-Diskussionen oft schon am Hinweis, so schlimm könne die Lage ja nicht sein, schließlich sei ein schwarzer Mann Präsident. Eine Mehrheit der Weißen in Amerika findet laut Umfragen, es werde noch zu viel über Hautfarbe geredet.
Aber wenn sich der erste Afroamerikaner im Weißen Haus nicht öffentlich über Rassismus aufregen darf, wurde bislang eben nicht genug darüber geredet.