US-Historiker
»Wir müssen uns wieder das Vertrauen der Welt verdienen«
Wenige kennen sich mit totalitären Systemen besser aus als Timothy Snyder. Er spricht darüber, warum der Putschversuch in den USA gescheitert ist und welche Langzeitschäden Donald Trump hinterlassen wird.
Donald Trump: Fähigkeit, Leute ungemein einzuschüchtern
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Zur Person
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Timothy Snyder ist Professor für Geschichte an der Universität Yale und Fellow am Institut für die Wissenschaft vom Menschen in Wien. Er ist einer der führenden Experten für die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts, im September erschien sein Buch »Die amerikanische Krankheit: Vier Lektionen der Freiheit aus einem US-Hospital« auf Deutsch (C.H. Beck, 158 Seiten, 12 Euro). Zuletzt veröffentlichte er einen Essay mit dem Titel »Der amerikanische Abgrund«, in dem er das Abdriften von Teilen der Republikaner zu einer antidemokratischen Partei beschreibt.
SPIEGEL: Herr Snyder, kann der neue Präsident Joe Biden dafür sorgen, dass die Vereinigten Staaten die Ära Donald Trump hinter sich lassen können wie einen bösen Traum?
Snyder: Ich fürchte, nein. Trump war eine außergewöhnliche Figur, weil er Talente besitzt, über die kein anderer republikanischer Politiker verfügt. Aber er ist auch deshalb Präsident geworden, weil Amerika schon länger an tiefer liegenden Problemen leidet, und die werden so schnell nicht verschwinden.
SPIEGEL: Was genau meinen Sie damit?
Snyder: Trump hat – und ich vermute, zu Recht – erklärt, dass der Amerikanische Traum nicht mehr existiert. Viele Menschen glauben nicht mehr daran, dass sozialer Aufstieg möglich ist. Außerdem gelang es Trump, Wähler davon zu überzeugen, dass Migranten und Einwanderer für die mangelnden Aufstiegschancen verantwortlich sind. Er hat einen Rassismus geschürt, an dem die USA schon lange leiden. Und schließlich gibt es in den Vereinigten Staaten ein Problem, das die Europäer im Auge haben sollten, weil es auch auf sie zukommt. Die Präsidentschaft Trumps war das Ergebnis einer Medienwelt, in der sich Fakten auflösen: Sein Aufstieg zeigt, wohin es führt, wenn seriöser Journalismus – gerade auf lokaler Ebene – zugrunde geht und durch soziale Medien ersetzt wird.