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Machtkampf in Venezuela Die Chavisten sind zurück

Nach einer turbulenten und brutalen Woche für Nicolás Maduro ist die Opposition schachmatt gesetzt. Der Staatschef führt das marode Land noch tiefer in den Sozialismus.

Als die 545 Delegierten der Verfassunggebenden Versammlung am Freitagmittag in die Nationalversammlung in Caracas einzogen, trugen sie auch zwei Porträts hinein.

Auf dem einen Bild ist Hugo Chávez abgebildet, Ex-Präsident und Gründervater des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Auf dem anderen Simón Bolívar, Befreier von Teilen Südamerikas und historische Persönlichkeit, auf den sich Chávez und seine Bewegung mit ihrer "bolivarischen Revolution" immer bezogen haben.

Diese Mitbringsel sind ein Akt der Reconquista. Denn die Opposition hatte die beiden Porträts im Januar 2016 nach dem Sieg bei der Parlamentswahl umgehend - und medial inszeniert - entfernt, nachdem sie dort zehn Jahre gehangen hatten.

Der Chavismus hat sich das Parlament zurückgeholt

Nun sind die beiden Ikonen der linksautoritären Regierung zurück am Sitz des Parlaments. Und mit ihnen hat auch der Chavismus wieder Besitz von dem neoklassizistischen Gebäude im Zentrum von Caracas ergriffen.

Die Verfassunggebende Versammlung (ANC) hat sich dort auf unbegrenzte Zeit und ausgestattet mit fast unbegrenzter Macht installiert. Gebildet wird sie ausschließlich von Ex-Ministern, Vertretern regierungsnaher Organisationen, Mitgliedern von Staatsbetrieben, Sympathisanten und Angehörigen Großkopferter des Chavismus.

Auch Cilia Flores Maduro, Frau des Staatschefs Nicolás Maduro, und dessen Sohn Nicolás junior gehören zu den Delegierten. Maduro senior blieb dem feierlichen Akt am Freitag fern. Er ließ aber über den Kurznachrichtendienst Twitter wissen: "Nichts und niemand wird die neue Geschichte verhindern. Wie werden siegen."

Tatsächlich geht der 54-Jährige zum Staatschef gewordene Busfahrer Maduro aus dieser turbulenten und gewalttätigen Woche in Venezuela als Punktsieger hervor: Es gelang ihm trotz Boykotts der Opposition und internationaler Kritik, die Versammlung wählen zu lassen, er saß den Vorwurf des Wahlbetrugs aus, und am Freitag konnte sich die "Constituyente" letztlich ohne die angekündigten Massenproteste und abgesichert von Einheiten der Nationalgarde konstituieren.

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Venezuela: Wie Maduro in nur sechs Tagen das Parlament kaltstellte

Foto: Ariana Cubillos/ AP

Zur ANC-Vorsitzenden beriefen die Delegierten die ehemalige Außenministerin Delcy Rodríguez, die ihr Land immer bissig und eloquent auf dem internationalen Parkett verteidigte.

Sie steigt neben Maduro zur mächtigsten Politikerin in Venezuela auf, denn die ANC ist mit umfassenden Vollmachten ausgestattet. Sie kann Institutionen des Staates auflösen, die Immunität der Parlamentarier aufheben, theoretisch stehen die Entscheidungen der Verfassunggebenden Versammlung sogar über denen des Staatschefs.

Eigentlich soll die ANC ein neues Grundgesetz für Venezuela ausarbeiten, das die kapitalistische und demokratische Grundordnung westlichen Musters durch ein sozialistisches Modell ersetzt.

ANC-Vorsitzende droht Opposition mit Verfolgung

Aber Rodríguez machte in ihrer Einstandsrede klar, dass das Ziel der ANC nicht die Abschaffung der Verfassung von 1999 ist, die damals noch Hugo Chávez initiiert hatte: "Wir werden hier alle Hindernisse aus dem Weg räumen, die ihre Umsetzung bisher behindert haben." Diesen Satz kann man als Drohung an die Gegner der linksautoritären Regierung lesen. Ihnen droht die weitere Beschneidung ihrer Freiräume.

Das machte die ANC-Vorsitzende in ihrer Rede weiter klar. Sie bezeichnete die Opposition im Land als "umstürzlerisch und faschistisch" und drohte ihr mit Verfolgung. Die USA warnte die langjährige Außenministerin: "Legt Euch nicht mit Venezuela an." Und der Internationalen Gemeinschaft, die massiv die ANC kritisiert hatte, hielt die Präsidentin des Gremiums entgegen: "Wie lösen unsere Konflikte unter Venezolanern."

Der Einberufung der ANC ist so etwas wie die "Stunde null" in Venezuela. Aber niemand kann genau sagen, was die kommenden Wochen bringen. Die Zukunft des Landes wird sich an drei wichtigen Fragen entscheiden:

Wird das Parlament, wie angedeutet, aufgelöst? Und werden die Oppositionellen weiter verfolgt? Damit würde sich Venezuela auf ein kubanisches Einparteien-Modell zubewegen, in dem auch die Institutionen gleichgeschaltet sind.

Was macht die Opposition? Sie muss sich neu sortieren und überlegen, ob die Massenproteste weiter Sinn ergeben. Seit April sind dabei mehr als 120 Menschen gestorben, verändert hat sich so gut wie nichts. Zudem ist das Oppositionsbündnis MUD aus fast 20 Parteien, von stramm rechts bis gemäßigt links, zerstritten. Schon die Frage, ob man sich an den Regionalwahlen im Dezember beteiligt, spaltet das Bündnis.

Wie reagiert das Ausland? USA, EU und weite Teile Lateinamerikas erkennen die ANC nicht an - Russland und China, die wichtigsten Wirtschaftspartner, aber schon. Die Mächte lehnen Einmischung von außen ab. Am Freitag wurde bekannt, dass der russische Ölkonzern Rosneft Venezuela im April eine Milliarde Dollar Vorschuss auf künftige Öllieferungen gezahlt hat. Und in Lateinamerika halten Kuba, Bolivien, Ecuador, Nicaragua und El Salvador weiter fest zu Maduro.

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